Vom Sprint zum ESG-Marathon
Bei ESG-Themen gibt es gerade zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits mehren sich Schlagzeilen über verheerende Waldbrände und Überschwemmungen, andererseits sind viele Menschen des Themas müde geworden. Für Philipp Bäcker, Leiter Nachhaltigkeit bei der R+V Versicherung, ist das der Punkt, der ihn zurzeit „am meisten umtreibt“, berichtet er im Podcast „Nachhaltiges Investieren“.
Denn Nachhaltigkeit berührt für Versicherungen zentrale Fragen, bis hin zum Geschäftsmodell: „Ich glaube, dass die die Stärke von Versicherern in Zukunft nicht mehr das sein wird, was unsere Stärke in der Vergangenheit war“, sagt er. Die Branche müsse sich stärker fragen, wie man Risiken versicherbar und bezahlbar halten könne – etwa durch Prävention und Beratung der Versicherungsnehmer. Entscheidend ist aus Beckers Sicht, dass Umweltrisiken stärker mitgedacht werden. „Kein Versicherungsprodukt wird einen Schaden verhindern. Es ist vor allem erstmal das Bewusstsein von Kunden.“ Versicherungen sollten dann „bestmöglich unterstützen in der Prävention“.
Für Bäcker, der nach Stationen im Consulting und im CEO-Büro der R+V Versicherung seit viereinhalb Jahren die ESG-Themen verantwortet, hat Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche viele Facetten: in der Kapitalanlage, in der Versicherbarkeit von Umweltrisiken, als Schadensereignis bei Extremwetterphänomenen. Nach außen müsse für die Kunden über alle Bereiche hinweg ein einheitliches Gesamtbild entstehen – und auch innerhalb der Organisation müsse Nachhaltigkeit in der Breite gelebt werden. „Wir haben eine gewisse Klammerfunktion“, sagt Bäcker über sein Team.
Immer wieder kommunizieren
Nachhaltigkeitsmanagement ist für ihn Multi-Stakeholder-Management. Zu Beginn habe er unterschätzt, „wie viel man über das Thema immer und immer wieder reden muss, damit es zum Wirken kommt“. Denn vieles lasse sich am besten dezentral in den Fachbereichen umsetzen. Dort müssten sich alle Beschäftigten fragen, was sie in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich noch machen können. „Das weiß ich im Zweifel von zentraler Stelle nicht unbedingt.“
Wir merken, dass beim Thema Nachhaltigkeit eine gewisse Erschöpfung eingetreten ist.
Philipp Bäcker, R+V Versicherung
Bäcker engagiert sich auch im Vorstand des Vereins für Umweltmanagement und Nachhaltigkeit in Finanzinstituten (VfU). In dem Mitte der 90er Jahre gegründeten Netzwerk sind Sustainable Finance Professionals aus mehr als 60 Finanzunternehmen aktiv, von Versicherungen über Asset Manager bis hin zu Banken. Eine Beobachtung teilten die Nachhaltigkeitsmanager über die Gewerke hinweg: „Wir merken, dass beim Thema Nachhaltigkeit eine gewisse Erschöpfung eingetreten ist“, beobachtet Bäcker.
Learnings aus dem Leistungssport
Ein Grund dafür ist seiner Einschätzung nach die hohe Belastung durch regulatorische Neuerungen wie die CSRD. Doch auch „ein fehlendes Backing von oben“ sei problematisch. Viele Menschen seien aus ihren angestammten beruflichen Positionen in Nachhaltigkeitsrollen gewechselt, „ganz pathetisch gesprochen mit dem Anspruch, die Welt einen Ticken besser zu machen.“ Nun sei es wichtig, die Stimmung wieder zu heben und in die Umsetzung zu kommen. „Sind wir mal ganz ehrlich, die großen Herausforderungen kommen ja eigentlich noch“, meint Bäcker. „Da brauchen wir motivierte und kompetente Menschen.“
Selbst könne er sich auch an kleinen Fortschritten erfreuen, sagt der Nachhaltigkeitsmanager. Dass es manchmal drei Schritte vorwärts und zwei zurück gehe, entmutige ihn nicht. „Vielleicht, weil ich auch mal Leistungssportler war und weiß, wie man mit Rückschlägen umgeht.“ Als Leichtathlet hatte Bäcker sich auf die Sprint-Distanzen über 100 und 200 Meter spezialisiert. Beim Thema Nachhaltigkeit setzt er nun dagegen stärker auf eine Langfristperspektive: „Wenn ich mir die längeren Zeithorizonte anschaue von einem, zwei oder drei Monaten, dann merke ich: Okay, da hat sich doch was getan. Das gibt mir dann neue Kraft.“