Hennie Verbeek-Kusters

„Vor uns liegt noch ein weiter Weg“

Geldwäsche ist ein großes Problem nicht nur, aber auch in den Niederlanden. Die Leiterin der Antigeldwäschebehörde, Hennie Verbeek-Kusters, stellt ein deutlich gesteigertes Bewusstsein in ihrem Land fest, dass Geldwäsche ein wichtiger Bestandteil der ausufernden organisierten Kriminalität in den Niederlanden ist.

„Vor uns liegt noch ein weiter Weg“

Daniel Zulauf.

Frau Verbeek-Kusters, der Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist Ihr Beruf. Aber Sie sind auch Bürgerin der Niederlande. Wie erleben Sie die Welle von Mafia-Morden in Ihrem Land?  

Das sind schlimme Ereignisse, die mich auch ganz persönlich schockieren. Sie zeigen, wie weit die organisierte Kriminalität bereit ist zu gehen. Aber als Leiterin der Antigeldwäschebehörde kann ich auch feststellen, dass die Vorgänge ein Politikwandel bewirkt haben.

Was haben die Mafia-Morde in Ihrer Behörde bewirkt?  

Die finanziellen Aspekte spielen im nationalen Mafia-Abwehrdispositiv eine prominente Rolle. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass die Möglichkeiten der Geldwäsche ein sehr wichtiges Element für die Entwicklung der organisierten Kriminalität darstellen. 

Können Sie konkrete Maßnahmen nennen? 

Es gibt eine breit angelegte Gegenoffensive. Meine Behörde erhält zum Beispiel schon seit einiger Zeit substanziell mehr Ressourcen.  

Sie erhalten viele Hinweise auf verdächtige Finanztransaktionen. Aber Kritiker sagen, es geschehe viel zu wenig damit. Haben sie recht?

Teilweise schon. Es kommen immer auch Informationen herein, die für die Strafverfolgungsbehörden keinen direkten Nutzen haben. Das ist normal und hat mit den gesetzlichen Einschränkungen der Strafverfolgung zu tun. Wir sollten uns fragen, wie wir diese Informationen besser auswerten können.  

Gibt es Ideen? 

Manche Informationen, die bei uns derzeit noch unbenutzt liegen bleiben, könnten zum Beispiel über den Umweg via Steuerbehörde verwendet werden, zum Beispiel wenn die Herkunft großer Vermögen nicht erklärbar ist. Wir investieren auch viel in die IT, um die Auswertung der Verdachtsmeldungen zu verbessern und das Meldeverfahren besser zu strukturieren. Aber letztlich sind auch unsere Ressourcen immer zu knapp. Damit müssen wir leben.  

Wir sprechen über mehr Ressourcen, bessere IT-Lösungen und andere Ideen. Aber was kann die Geldwäscheabwehr im Kampf gegen die Mafia wirklich erreichen?  

Wie sollte ich Ihre Frage verstehen? 

Gemessen an Ausmaß der kriminellen Machenschaften ist der Ertrag doch eher bescheiden oder nicht?

Sie haben recht. Vor uns liegt noch ein weiter Weg. Das hat auch damit zu tun, dass der Kampf gegen die organisierte Kriminalität von keinem einzelnen Land, sondern nur ge­meinsam gewonnen werden kann. Aber vielleicht bewegen wir uns tatsächlich nicht schnell genug. Trotzdem haben wir wichtige Fortschritte erzielt. Bei uns in den Niederlanden ist das Problem der Geldwäsche jetzt definitiv in den Köpfen der Politiker verankert. Das war vor zehn Jahren nicht der Fall.  

Wie war es dann vor zehn Jahren? 

Damals dachten viele, Geldwäsche sei ein Verbrechen, in dem es keine Opfer gebe. Das ist eine grundfalsche Sicht. Wenn man das Blut nicht auf der offenen Straße sieht, muss das nicht heißen, dass kein Blut fließt. Unsere beiden größten Banken ING und ABN Amro haben in den vergangenen Jahren Strafen in der Höhe von Hunderten von Millionen Euro bezahlt, weil sie der Geldwäscheabwehr keine Priorität eingeräumt hatten.  

Können Sie verstehen, dass die Chefs dieser Banken andere Prioritäten setzten? 

Ehrlich gesagt kann ich das nicht verstehen. Umso weniger, als die Maßnahmen zur Geldwäscheprävention ja gesetzlich vorgeschrieben sind. Es gibt die Regeln, dass die Banken ihre Kunden wirklich kennen und dass sie verdächtige Transaktionen umgehend melden müssen. Diese Regeln haben die beiden Banken sträflich vernachlässigt.  

Trotzdem sind die seinerzeitigen Chefs dieser beiden Banken sowohl straf- als auch zivilrechtlich unbehelligt geblieben. Der frühere ING-Chef Ralph Hamers ist jetzt Chef der UBS in der Schweiz. Nimmt die niederländische Bevölkerung dies einfach hin? 

Nein. Sie wissen doch selbst, dass die Strafverfolgungsbehörde die Untersuchung gegen Ralph Hamers noch einmal aufrollen muss. Das passiert nicht zuletzt deshalb, weil die Bevölkerung das so will. Es gibt bei uns eine intensive Debatte über die Verantwortung der Spitzenmanager.

Wären schärfere Sanktionen gegen die Top-Manager effektiv? 

Ob sie effektiver wären als die Strafen, welche die niederländische Staatsanwaltschaft den Banken auferlegt hat, kann ich nicht beurteilen. Wir haben ja bisher nur Erfahrungen mit den Strafzahlungen. Diese sind aber sehr wirkungsvoll. Die Banken haben inzwischen Tausende von Leuten eingestellt, um die Qualität ihrer Antigeldwäschesysteme zu verbessern. Ich stelle fest, dass die Geldwäscheabwehr jetzt auch ein Teil der Kultur und des Selbstverständnisses der Banken wird. Seit kurzem arbeitet meine Behörde in einem Public-Private-Partnership mit den Banken zu­sammen.  

Die Niederlande sind das einzige Land in Europa, das die Banken für ihre Fehlleistungen im Bereich der Geldwäscheabwehr richtig hart angefasst hat. Sind die niederländischen Banken schlechter als andere?

Es stimmt nicht ganz, was Sie sagen. Auch Großbritannien ist sehr streng gegen HSBC vorgegangen.

Weichen Sie aus? 

Nein. Ich würde Ihre Frage so beantworten: Vielleicht arbeiten die niederländischen Banken wirklich schlechter als die anderen Banken in Europa. Vielleicht ist es aber auch so, dass die Behörden in anderen Ländern weniger hart gegen ihre Banken vorgehen, als die Behörden hier dies tun.  

ING und ABN Amro gelten in Ihrer Terminologie als „Gatekeeper“. Was ist damit gemeint? 

Damit sind alle Akteure des Finanzplatzes gemeint, die in der ersten Verteidigungslinie zur Abwehr krimineller Gelder stehen. Dazu gehören Banken, aber auch Rechtsanwälte, die zum Beispiel Steuerberatungen für Unternehmen machen.

Ist die Mitarbeit der Rechtsanwälte wichtig? 

Natürlich. Sie spielen eine zentrale Rolle im System und sind deshalb genauso wie die Banken verpflichtet, verdächtige Transaktionen zu melden.  

Es gibt Stimmen wie die niederländische Polizeigewerkschaft, die behaupten, die Niederlande er­füllten die Kriterien eines Narco-Staates. Teilen Sie diese Sicht? 

Nein. In einem Narco-Staat gibt es keine unabhängigen Institutionen, keinen Rechtsstaat mehr. In den Niederlanden funktionieren die Institutionen immer noch gut. Ich sehe nicht, dass unsere Behörden schon tiefgehend infiltriert sind. Aber wir verschließen unsere Augen nicht vor dem Problem: Jede Art von organisierter Kriminalität zieht Korruption nach sich. Es gibt Korruption ohne organisierte Kriminalität, aber es gibt keine organisierte Kriminalität ohne Korruption.  

Der italienische Journalist und Mafia-Experte Roberto Saviano kritisierte die Niederlande im Sommer im „Corriere della Sera“ als eines der kriminellsten Länder der Welt. Übertreibt er? 

Ich bin einverstanden mit Herrn Sa­viano, wenn er sagt, dass unsere Be­mühungen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität in der Konsequenz auch dazu führen müssen, das Rechts- und Steuersystem des Landes genau anzuschauen, um sehen zu können, wie dieses System den kriminellen Gruppen in die Hände spielen könnte. Zumal sie das System fast sicher missbrauchen werden. Aber ich habe Ihnen auch dargelegt, dass wir unsere Augen nicht vor der ernsthaften Bedrohung des subversiven Verbrechens verschließen. Darum widerspreche ich Roberto Saviano in dessen Urteil, die Niederlande seien das kriminellste Land der Welt.  

Das Interview führte

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