Bruegel-Interimsdirektorin Maria Demertzis

„Wir werden noch mehr Wild-West-Fallouts sehen“

In der EU müssen sich Anbieter von Kryptowährungen sowie Kryptodienstleister künftig einer strengen Regulierung unterwerfen. Maria Demertzis, Interimsdirektorin des einflussreichen Thinktanks Bruegel, glaubt dennoch, dass die Gefahr globaler Schocks auch mit den neuen MiCA-Regeln noch längst nicht gebannt ist.

„Wir werden noch mehr Wild-West-Fallouts sehen“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Die neue Kryptoasset-Regulierung in Europa, auf die sich die EU-Gesetzgeber Ende Juni verständigt haben, hat nach Einschätzung des Brüsseler Thinktanks Bruegel noch längst nicht alle Gefahren beseitigt, die von der Kryptobranche für die Finanzwirtschaft ausgehen. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung verweist Bruegel-Interimsdirektorin Maria Demertzis darauf, dass eine dezentrale Finanzierung, wie sie auch die Kryptobranche biete, auch mit einem zunehmenden Bedarf an Aufsicht und Überwachung einhergehe. Die Markets-in-Crypto-Assets-Ver­ord­nung (MiCA) der EU und die entsprechenden Bemühungen in den USA versuchten zwar in gewisser Weise, einige Bedenken auszu­räumen, er­läutert Demertzis. „Aber sie unterziehen die Kryptoasset-Dienstleister nicht in gleichem Maß einer regulatorischen Prüfung wie herkömmliche Finanzinstitute. Wir werden noch mehr Wild-West-Fallouts in der Branche sehen, bevor das passiert.“

Gefahr von globalen Schocks

Zahlreiche EU-Politiker hatten nach der MiCA-Einigung betont, mit der neuen Gesetzgebung werde auch der Wild-West-Zustand im globalen Kryptomarkt beendet. Demertzis verweist jetzt aber darauf, dass MiCA sich etwa gar nicht mit der Art und Weise befasse, wie Kryptoasset-Dienstleister, also sogenannte Crypto Asset Service Provider (CASPs), mit dem Thema Kreditaufnahme und -vergabe umgehen. Der sich schnell entwickelnde Markt nutze die Möglichkeiten, die die zugrunde liegende Technologie biete, um innovative Produkte zu schaffen, beispielsweise Flash-Darlehen, er­läutert Demertzis. Innovationen im Finanzbereich führten in der Regel auch zu neuen Möglichkeiten, wie Kreditgeber und Kreditnehmer mit Risiken umgingen.

„Es ist aber gefährlich, wenn die Branche mit Möglichkeiten der Aufteilung und Verteilung von Risiken experimentiert“, warnt die Bruegel-Expertin und verweist darauf, dass das bestimmende Merkmal der de­zentralen Finanzierung ja auch sei, dass sie grenzenlos und daher für viele zugänglich sei. „Und je populärer die Branche wird, desto größer ist sowohl das Risiko, dass etwas schiefgeht, als auch, dass daraus ein weltweiter Schock entsteht.“

Demertzis zieht als Vergleich den Prozess der Verbriefung im Vorfeld der Finanzkrise heran, bei dem große Risiken in kleine Komponenten aufgeteilt und auf viele verteilt wurden. „Wir wissen heute, dass zwar jede einzelne Partei dieses Prozesses da­von profitiert hat, das System jedoch viel stärker vernetzt und anfälliger für Schocks wurde.“

Ein typisches Beispiel ist für Demertzis auch, was vor ein paar Wochen mit dem mittlerweile in den Gläubigerschutz geflüchteten Kryptoanbieter Celsius passiert ist. Einzahlungen von Kryptomünzen im Celsius-Netzwerk hätten bis zu 18% Zinsen eingebracht. Es habe wenig überrascht, dass dies über eine Million Investoren angezogen habe, so Demertzis in dem Gespräch. Dass diese Investoren ihre Vermögenswerte abzuziehen begannen, als der Markt für Kryptowährungen abstürzte, sei dann „eine klassische Reaktion auf einen Markt in Not“ gewesen. Das Vertrauen in solche Märkte sei zudem auch nicht gestärkt worden, als Binance, eine der größten Kryptobörsen nach Handelsvolumen, ebenfalls die Auszahlungen von Bitcoin unter Berufung auf einen technischen Fehler ausgesetzt habe.

„Wäre Celcius eine Bank gewesen, wären zwei Dinge anders gewesen“, betont Demertzis. „Erstens wäre es viel schwieriger gewesen, Zinssätze zu zahlen, die so deutlich von der derzeitigen durchschnittlichen Rendite abweichen.“ Die Möglichkeit, Massen von Investoren anzuziehen und damit die Kosten eines Fallouts zu erhöhen, wäre damit viel geringer gewesen. „Aber auch wenn es in dem Fall einen Run gegeben hätte, wäre ein gewisser Betrag der Einlagen staatlich garantiert gewesen“, sagt die Bruegel-Interimschefin. „Dies sind entscheidende Merkmale, um das Vertrauen in das Finanzsystem aufrechtzuerhalten.“

Positive Stablecoin-Vorgaben

Die MiCA-Regulierung wird nach Ansicht von Demertzis den Markt allerdings auch positiv prägen. Sie verweist darauf, dass Kryptoasset-Dienstleister künftig eine Genehmigung für den Betrieb benötigen und dann auch beaufsichtigt werden. Gleichzeitig würden die CASPs den Gesetzen zur Bekämpfung der Geldwäsche (AML) unterliegen, die illegale Aktivitäten verhindern werden – eine Befürchtung, die mit dem Kryptomarkt aufgrund seiner Anonymität ja häufiger verknüpft wurde. Mit MiCA müsse eine Industrie, die von Natur aus eigentlich grenzenlos sei, künftig eine legale Präsenz in der EU haben, damit sie überwacht werden könne.

Dass der neue Gesetzesrahmen von den Kryptodienstleistern verlangt, ihren Klima- und Umweltfußabdruck anzugeben, hält Demertzis ebenfalls für positiv. Die Vorgaben seien zwar nicht so ehrgeizig, wie es hätte sein können, erläutert sie in dem Gespräch. Sie ließen aber Möglichkeiten strengerer Beschränkungen in der Zukunft zu.

Den wichtigsten Beitrag liefert MiCA nach Einschätzung von Demertzis mit Vorgaben, die eigentlich nicht weit genug gehen: Stablecoins, also jene Kryptomünzen, die an reale Vermögenswerte gebunden sind, unterliegen in der EU in Zu­kunft einer Eins-zu-eins-Reservepflicht, teilweise in Form von Einlagen. „Die Anforderung für Reserven und das Halten von Einlagen ahmt die Art und Weise nach, wie Aufsichtsbehörden mit Banken umgehen“, analysiert Demertzis. Die langfristige Erkenntnis sei damit, „dass der Kryptomarkt zu einem parallelen Strang innerhalb des Finanzsystems wird“.

Die Kryptoanbieter selbst haben nach den Worten von Demertzis zwei Gründe, den neuen Regulierungsrahmen MiCA zu begrüßen. Die Regulierung einer zuvor nicht regulierten Aktivität normalisiere und legitimiere diese, sagt die Expertin. „Zumindest im Prinzip gibt eine solche Regulierung Stabilität und ermutigt andere, sich zu beteiligen.“ Und zum Zweiten: Die Regeln gelten für die gesamte EU. Unternehmen müssten damit nicht mehr durch nationale Rechtsordnungen navigieren. Dies schaffe einen einheitlichen Markt und ermögliche Skalierbarkeit.

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