Immobilienmarkt

Wohn­immobilien sind nicht überbewertet

Noch vor wenigen Wochen hatte die Bundesbank vor Überbewertungen am Wohnungsmarkt gewarnt. Dann griff Russland die Ukraine an. Nun droht Europa die Stagflation – und Wohnimmobilien avancieren zum sichersten aller Häfen. Der Krieg in der Ukraine hat...

Wohn­immobilien sind nicht überbewertet

Noch vor wenigen Wochen hatte die Bundesbank vor Überbewertungen am Wohnungsmarkt gewarnt. Dann griff Russland die Ukraine an. Nun droht Europa die Stagflation – und Wohnimmobilien avancieren zum sichersten aller Häfen. Der Krieg in der Ukraine hat alle Prognosen zunichtegemacht. Er trifft die deutsche und europäische Wirtschaft zu einer Zeit, da sie sich von der Coronakrise noch nicht erholt hatte. Drastisch steigende Energiepreise und Lieferkettenprobleme drücken nun das Wachstum erheblich. Große Unsicherheiten über den weiteren Verlauf des Konflikts lassen ein Abrutschen in eine Rezession nicht unmöglich erscheinen. Gleichzeitig ist ein Ende der hohen Inflation nicht in Sicht, im März 2022 lag diese bei über 7%, und selbst zweistellige Raten mochte der Wirtschaftsweise Volker Wieland Ende März nicht mehr ausschließen. Bei Älteren werden angesichts dessen Erinnerungen and die Ölkrise in den 1970er-Jahren wach. Deren Folge war damals eine sogenannte Stagflation. 

Unproduktive Krisenwährung

In solchen Zeiten fällt vielen Anlegern die Orientierung schwer. Liquide Mittel verlieren rapide an Wert, der Aktienmarkt hat bereits stark korrigiert und weist hohe Volatilitäten auf. Zugleich bleiben die meisten Festzinsprodukte unattraktiv, da die EZB wegen der Konjunkturrisiken ihre Niedrigzinspolitik nur sehr zaghaft beenden dürfte. Manche Investoren retten sich da in unproduktive Krisenwährungen wie Gold, dessen Preis im März zwischenzeitlich wieder die Marke von 2000 Dollar je Unze überschritten hatte.

Immobilien dürften im Stagflations-Umfeld die aussichtsreichere Option sein. Historisch waren sie für Investoren in Zeiten von Stagflation deutlich performanter als zum Beispiel US-Equities. Als Sachwerte sind sie relativ wertstabil, und dies im Gegensatz zum gelben Edelmetall auch dann, wenn die Zeiten wieder besser werden. Doch muss man sorgfältiger als in ruhigen Marktphasen abwägen, in welche Nutzungsarten und Objekte man investiert.

So können gewerbliche Mieter je nach Branche von der Konjunktur oder von Lieferkettenproblemen betroffen sein, und bestimmte Gewerbeimmobilien können entsprechend Miet- oder Bewertungsrückgänge erleiden. Zudem stellen die rasant steigenden Baukosten die Branche vor einige Herausforderungen. In jedem Fall sollten Investoren den Fokus auf Objekte legen, die sich entweder in absoluten Spitzenlagen befinden oder großes Potenzial für Wertsteigerungen durch Investments und aktives Management aufweisen. Insbesondere in sogenannten B-Lagen ist jetzt nicht die Zeit, auf Preissteigerungen allein aufgrund eines günstigen Marktumfelds zu spekulieren.

Wie bitte? Wohnimmobilien?

Der sicherste Hafen im derzeitigen Umfeld sind Wohnimmobilien – auch wenn sich mancher die Augen reiben mag. Schließlich sind die Bewertungen allein im letzten Jahr um weitere 11% gestiegen, und die Bundesbank hatte noch im Februar vor „Überbewertungen“ gewarnt. Doch trotz hoher Preise: Im aktuellen Umfeld ist bei Wohnimmobilien kein dramatischer Nachfrageeinbruch zu erwarten. Der große Nachfrageüberhang in den Städten besteht weiter, und der Zustrom von Kriegsflüchtlingen wird die Situation weiter verschärfen – der Zentrale Immobilien Ausschuss rechnet mit einem zusätzlichen Bedarf von bis zu 500000 Wohnungen.

Die Direktinvestition in Wohnimmobilien ist im heutigen Kontext also weiterhin eine gute Anlageoption, darunter insbesondere Neubauwohnungen. Bei ihnen wird der Mietvertrag mit einem Mieter nach Fertigstellung neu abgeschlossen und an den Verbraucherpreisindex gekoppelt werden. So wird der Eigentümer vor realen Verlusten geschützt. Bei Altbauwohnungen sind die Mietverträge häufig bereits geschlossen und die Möglichkeiten für Mieterhöhungen gesetzlich beschränkt. Einen Vorteil haben auch höherwertige Wohnungen in sehr guten Lagen, da sie von möglichen Mietausfällen infolge der gesamtwirtschaftlichen Lage weniger stark betroffen sind, zumal deren Mieter meist über eine attraktive Bonität verfügen. Zudem gibt es gerade in den Ballungszentren nach wie vor eine große Diskrepanz zwischen dem Bedarf an Neubauwohnungen und der tatsächlichen Pipeline an Projekten. Dies liegt nicht zuletzt an den langwierigen behördlichen Prozessen bei der Baurechtsschaffung.

Krisenresistenz nutzen

Neben Direktinvestitionen in Immobilien, die oft hohen Kapitaleinsatz erfordern und mit großem Aufwand verbunden sind, bieten sich Anlegern auch eine Reihe von Finanzprodukten, um die Krisenresistenz der Anlageklasse zu nutzen. So gibt es klassische Immobilienfonds mit unterschiedlichem Fokus hinsichtlich der Nutzungsarten. Einen ganz anderen, aber nicht minder interessanten Zugang zu Immobilien bieten Real-Estate-Debt-Fonds, die Projektentwicklern und anderen Immobilieninvestoren Fremdkapital zur Verfügung stellen. Banken ziehen sich aus der Finanzierung von Bau- oder sogenannten Value-add-Projekten zunehmend zurück oder werden restriktiver – häufig aber aus regulatorischen Gründen und nicht, weil das Geschäft nicht attraktiv wäre. Dadurch entsteht bei den Entwicklern eine Finanzierungslücke. Die sogenannten alternativen Finanzierer sind bei Entwicklern deswegen zunehmend gefragt, auch weil sie flexibler und schneller agieren als die Banken, und können Zinsen fordern, die deutlich über der Inflationsrate liegen.

Risikostreuung

Immobilien- und Real-Estate-Debt-Fonds bieten auch die Möglichkeit einer Diversifizierung des Portfolios über Geografien, Strategien und Marktsegmente hinweg. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland machen deutlich, wie schnell einzelne Länder und ganze Regionen zum Risikogebiet werden können.

Eine geografische Risikostreuung, etwa über verschiedene europäische Länder und die USA, ist darum mehr als sinnvoll, mit Direktanlagen aber für Privatanleger und selbst für kleinere institutionelle Investoren kaum umsetzbar. Außerdem wichtig: Weitet man seinen Anlagefokus über den Euroraum hinaus aus, lässt sich zudem das Währungsrisiko diversifizieren.

Auch in dieser Krise spielen Immobilien, insbesondere Wohnimmobilien, ihre Stärken aus. Wenn Investoren die spezifischen Risiken bestimmter Nutzungsarten berücksichtigen, Möglichkeiten zur Inflationsabsicherung nutzen und auf eine gute Risikostreuung achten, dürfte die Anlageklasse trotz großer Unsicherheiten ihrem Ruf als „Betongold“ gerecht werden.