Jörg Hofmann, IG Metall

„Ich erwarte eine klarere Position von der Politik“

Der IG-Metall-Chef spricht über Streiks in Krisenzeiten und Corona als Ausrede für Jobabbau

„Ich erwarte eine klarere Position von der Politik“

Anna Steiner.

Herr Hofmann, aktuell liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch weit auseinander in den Tarifverhandlungen. Wo liegt das Problem?

Die Arbeitgeber sind bisher nicht auf unsere Forderungen eingegangen. Wir wollen in dieser Tarifrunde vor allem drei Dinge erreichen: Die Sicherung von Beschäftigung, passgenaue Zukunftstarifverträge für die Betriebe sowie die Stabilisierung der Entgelte. Der sogenannte Strukturvorschlag der Arbeitgeber dagegen ist eine Wundertüte ohne Inhalt. Er bleibt völlig vage – bis auf eine Ausnahme: Nachdem wir schon für 2020 keine Tariferhöhung vereinbart hatten, soll es 2021 wieder keine Erhöhung geben. Das ist keine Basis für Tarifverhandlungen.

Wie stabil sind Ihre Geduldsfäden noch angesichts der Nullrunde 2020?

2020 haben wir einen Abschluss unter dem Eindruck des tiefen Abbruchs der industriellen Produktion gefunden. Jetzt läuft es wieder in weiten Teilen. Und daher bestehen wir darauf, dass der Weg aus der Krise fair gestaltet wird. Wir werden unsere Zielsetzungen in einem Verhandlungsergebnis wiederfinden – und dafür haben wir Geduld und Ausdauer.

Am 1. März endete die Friedenspflicht in den aktuellen Verhandlungen. Wie weit ist die IG Metall bereit zu gehen?

Die Warnstreiks, die seit Dienstag in ganz Deutschland laufen, zeigen vor allem eins: Die Mitglieder stehen klar hinter den Forderungen. Die IG Metall ist handlungsfähig und bereit, auch unter Coronabedingungen für ihre Forderungen zu kämpfen.

Sind Warnstreiks unter Coronabedingungen überhaupt ein Druckmittel?

Natürlich. Viele Betriebe der Metall- und Elektroindustrie sind weiterhin voll ausgelastet. Die Warnstreiks werden Druck auf die Arbeitgeber erzeugen, seien Sie sich da ganz sicher.

Die IG Metall fordert unter anderem 4% mehr Lohn. Ist das angesichts der Krisensituation gerechtfertigt?

Hier muss ich korrigieren: Wir fordern nicht 4% mehr Lohn, sondern ein Volumen von 4%, das flexibel eingesetzt werden kann. In Betrieben, die gut laufen, können die 4% zur Erhöhung der Entgelte eingesetzt werden. In den Betrieben, die zurzeit nicht voll ausgelastet sind, können die 4% umgewandelt in freie Zeit zur Beschäftigungssicherung genutzt werden – zum Beispiel im Rahmen einer Vier-Tage-Woche mit Teilentgeltausgleich.

Wie sinnvoll sind flächendeckende Tarifverträge in Zeiten, in denen die Unternehmen durch Strukturwandel und Krise doch sehr unterschiedlich betroffen sind?

Flächentarifverträge sind weiterhin zeitgemäß. Sie garantieren weitgehend gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Betriebe der einzelnen Branche, legen Mindeststandards fest und schützen die Beschäftigten vor Lohndumping. Wettbewerb soll da stattfinden, wo er zu Zukunft und Wohlstand beiträgt: im Wettbewerb um Innovationen, mehr Kundennutzen, bessere Qualität und Klimaschutz. Daneben: Unsere Forderung nach einem Volumen von 4% geht auf genau diese unterschiedlichen Situationen in den Betrieben ein, indem dieses Volumen flexibel eingesetzt werden kann.

Um den letzten großen „Erzwingungsstreik“ zu finden, muss man in der Geschichte schon einige Jahre zurückgehen. Sind die Gewerkschaften heute zahnlose Tiger?

Entscheidend ist doch, was wir für unsere Mitglieder erreichen. Und da müssen wir uns gewiss nicht verstecken. Mit unserem Tarifabschluss 2018 in der Metall- und Elektroindustrie haben wir Vereinbarungen zu selbstbestimmteren Arbeitszeiten erkämpft, die zukunftsweisend sind. 2020 haben wir über tarifliche Regelungen und Druck auf die Politik Arbeitsplätze gesichert und Aufzahlungen auf das Kurzarbeitergeld durchgesetzt. Wir haben mit großem Erfolg Aktionen in den Betrieben durchgeführt, etwa zur Sicherung von Standorten und Beschäftigung – immer unter Einhaltung der erforderlichen Hygiene- und Abstandsregelungen.

Im vergangenen Jahr sagten Sie, Sie sähen 150000 Jobs als gefährdet an. Hat sich an dieser Einschätzung inzwischen etwas geändert?

Leider nein. Im Jahr 2020 sind bereits 120000 Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie abgebaut worden. Zudem wurden Zehntausende Leiharbeiter abgemeldet. Die Zahlen verdeutlichen die Brisanz der aktuellen Lage. Ich erwarte deshalb, dass die Arbeitgeber endlich konstruktiv mit uns an einer Lösung arbeiten.

Liegen die Ursachen des Jobabbaus in der Coronakrise oder eher im Strukturwandel, der etwa die Automobilbranche fest im Griff hat?

Beides ist der Fall. Wir haben es zum einen mit der Transformation der Industrie zu tun, die uns vor gewaltige Herausforderungen stellt. Beispielsweise kann uns die Elektrifizierung der Antriebe Tausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie kosten. Um diesen Wandel sozialverträglich zu gestalten, brauchen wir Sicherheit durch Investitionen in zukunftsfähige Produkte und Prozesse an den deutschen Standorten, außerdem Qualifizierungsmaßnahmen für die Beschäftigten. Auf der anderen Seite wird die Coronakrise von einigen Arbeitgebern als Vorwand genutzt, um längst geschmiedete Pläne zum Arbeitsplatzabbau zu rechtfertigen. Unternehmen wie Conti bauen unter dem Vorwand Corona Personal in Deutschland ab und verlagern ins billigere Ausland. Das ist nicht hinzunehmen. Hier erwarte ich eine klarere Position der Politik, nicht zuletzt, weil viele Unternehmen von staatlichen Subventionen profitiert haben.

Rechnen Sie 2021 mit einer wirtschaftlichen Erholung?

Wir gehen davon aus, dass sich der Wachstumspfad des vierten Quartals 2020 auch 2021 fortsetzt. Noch nicht in allen Branchen in gleicher Dynamik, und es bleibt die Herausforderung der Transformation. Aber die Richtung stimmt.

Die Kurzarbeit hat laut Bundesagentur für Arbeit 1 Million Jobs gerettet. Wie lange werden wir die Kurzarbeit noch brauchen?

Kurzarbeit ist ein bewährtes Instrument zur Sicherung von Beschäftigung und zur Bewältigung der Coronakrise. Dazu hat die Bundesregierung Forderungen der IG Metall aufgegriffen, den Zugang zum Kurzarbeitergeld zu erleichtern, Arbeitgeberzuschüsse steuerfrei zu stellen und Kurzarbeit mit Weiterbildung zu verbinden. Diese Regelungen laufen allerdings Ende dieses Jahres aus, während die Transformation eine Herausforderung für Jahre darstellt. Die Transformation darf nicht nur auf tariflicher und betrieblicher Ebene gestaltet, sondern muss auch mit politischen Maßnahmen flankiert werden. Hierzu haben wir, um ein Beispiel zu nennen, unsere Idee von einem Transformationskurzarbeitergeld eingebracht.

Was können die Tarifbeschäftigten vom laufenden Jahr erwarten?

Auch 2021 wird ein Jahr der Herausforderungen sein: Die Coronakrise ist noch nicht bewältigt, und die Transformation der Industrie hat erst begonnen. Wichtige Wahlen in der Politik, allen voran die Bundestagswahl, stehen an. Die IG Metall wird auf allen Ebenen für ihre Forderungen kämpfen, damit wir auch in Zukunft gute Arbeit haben.

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