„Bitcoin ist gleichzeitig ein Risk-on- und Risk-off-Asset“
Im Interview: Adrian Fritz
„Bitcoin ist gleichzeitig ein Risk-on- und Risk-off-Asset“
Research-Chef von 21Shares sieht weiter großen Kaufdruck und viel Rückenwind bei Bitcoin – Kryptowährung könnte mittelfristig bis auf 138.500 Dollar klettern
Das Krypto-Urgestein Bitcoin ist jüngst auf neue Rekordhöhen geklettert. 21Shares-Experte Adrian Fritz sieht gute Gründe dafür, dass der Höhenflug noch weitergeht und erklärt im Interview der Börsen-Zeitung wie sich Bitcoin zu anderen Asset-Klassen verhält und was sich gerade verändert.
Herr Fritz, nach einer mehrmonatigen Schwächephase ist Bitcoin zuletzt auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Welche Gründe sehen Sie dafür? Was treibt Bitcoin?
Darauf gibt es nicht die eine Antwort. Es sind ganz viele Faktoren, die momentan zusammenkommen. Eine Sache ist die Entspannung im Zoll-Konflikt, vor allem zwischen den USA und China. Das beflügelt Risikoanlagen. Auch die Schwäche des US-Dollars und die Erwartung an eine expansive Fiskalpolitik fördert Assets wie Bitcoin und macht digitale Wertspeicher um einiges attraktiver. Was ich auch spannend finde, waren vor kurzem die Auktionen für die Longdated US-Treasuries, die ziemlich schwach rüberkamen. Wenn der Markt ganz allgemein eine Systemunsicherheit verspürt, dann ist ein digitaler Wertspeicher wie Bitcoin natürlich die perfekte Alternative. Es gibt also gerade sehr viel Rückenwind auf makroökonomischer Ebene. Noch viel wichtiger ist aber die momentane Angebots- und Nachfragedynamik bei Bitcoin.
Was meinen Sie damit?
Wir haben auf der einen Seite die Regulierung, die sich in den USA verändert. Vor allem erwarten wir eine Pro-Krypto-Gesetzgebung. Da gibt es zum Beispiel die StableCoin-Regulierung, der Genius Act, der momentan besprochen wird. Es gibt Bundesinitiativen in Texas und New Hampshire. Und es gibt momentan über 30 verschiedene US-Staaten, die eine strategische Bitcoin-Reserve aufbauen wollen. Texas und New Hampshire haben den Gesetzesvorschlag mittlerweile schon durchgebracht. Das bedeutet letztendlich nicht nur eine Adoption auf institutioneller Ebene, sondern eben auch Kaufdruck. Desweiteren sind da natürlich noch die ETFs, die es seit Anfang letzten Jahres in den USA gibt. Mittlerweile fangen auch Pensionskassen an, in Bitcoin zu investieren. Die ETFs haben über 100 Mrd. AuM (Assets under Management, Anm. der Redaktion), das ist schon eine beträchtliche Zahl. Zuletzt gibt es global immer mehr Firmen, die eine strategische Bitcoin-Reserve aufbauen.
Haben Sie dafür Beispiele?
MicroStrategy mit Michael Saylor oder Strategy, wie sie jetzt heißen, sind das beste Beispiel. Die haben mittlerweile schon über 500.000 Bitcoin aufgekauft. Aber es gibt auch andere Player, die nachziehen. In Japan gibt es eine Firma, die sich Metaplanet nennt. In Europa gibt es The Blockchain Group, eine französische Firma, die anfängt, Gelder zu sammeln, um Bitcoin aufzukaufen. In den USA gibt es Twenty One Capital, das ist ein Zusammenschluss von dem Stablecoin-Emittent Tether und größeren Firmen wie Cantor Fitzgerald, die auch 3 Mrd. gesammelt haben, um Bitcoin zu kaufen. Das ist sehr spannend, weil im Jahr kommen nur 165.000 Bitcoin neu in Umlauf. Die, die ich gerade genannt habe, haben aber mittlerweile schon über 750.000 Bitcoin aufgekauft. Das ist eine große Angebot-Nachfrage-Dynamik, die sich im Preis wiederspiegelt.
Vor dem jüngsten Hoch hat sich das digitale Gold anders entwickelt als Gold. Was verbindet und was unterscheidet die Asset-Klassen?
Ja, das stimmt. In den ersten Monaten des Jahres war die Wertentwicklung entgegengesetzt. Wir haben vor allem am Anfang des Jahres, als der Zollkrieg losging, gesehen, wie Gold immer neue Allzeithochs durchbrochen hat. Bitcoin lag Anfang Mai noch unter den 100.000 Dollar, zieht jetzt aber langsam nach. Die beiden Asset-Klassen verbinden einige Merkmale: Bei beiden gibt es eine Knappheit und dementsprechend werden sie oft als Inflationsschutz betrachtet. Gold hat eine endliche Fördermenge, Bitcoin ist definitiv auf 21 Mill. Stück begrenzt. Beide werfen keine Erträge, also keine Zinsen ab.
Und die Unterschiede?
Gold ist klar etabliert, hat über Jahrhunderte eine Erfolgsbilanz als sicherer Hafen. Bitcoin dagegen etabliert sich momentan erst. Das sieht man an der Volatilität und dem Reifegrad. Gold hat 20 Bill. Marktkapitalisierung, hat schon die ganze Adoptionskurve durch und ist dementsprechend um einiges schwankungsresistenter. Was ich auch wichtig finde, ist, dass Bitcoin 24/7 gehandelt wird. Man sieht das immer ganz schön, wenn es zu geopolitischen Spannungen kommt oder makroökonomische Events gibt, dann ist es oft der Bitcoin, der der Proxy ist und als erstes reagiert.
Sind wirtschaftliche Unsicherheiten für Gold ein Treiber und für Bitcoin eine Bremse?
Nicht unbedingt. Es war schon so, dass Bitcoins volatiler auf Veränderungen der makroökonomischen Lage reagiert haben, aber meiner Meinung nach wird Bitcoin immer resistenter. Wir sehen hier schon die ersten Anfänge. Seit einiger Zeit, vor allem seit 2023, gibt es hier wirklich einen Wandel. Das beste Beispiel war für mich im Frühjahr 2023, als die Silicon Valley Bank zugrunde ging. Da hat Bitcoin zwar kurz reagiert, aber dann eine Rally hingelegt. Bitcoin wird also als alternativer Schutz vor zum Beispiel Bankausfällen wahrgenommen. Immer mehr Investoren sehen Bitcoin als Alternative, wenn das Misstrauen gegenüber dem etablierten Finanzsystem wächst.
Anders als beim Gold war die Entwicklung von Bitcoin und den auch recht volatilen Tech-Werten in diesem Jahr lange relativ ähnlich. Haben Sie dafür eine Erklärung? Oder ist das Zufall?
Ich würde nicht sagen, dass das ein Zufall ist. Da kommen mehrere Faktoren ins Spiel. Bitcoin ist in einer spannenden Situation, weil es ein Risk-on und ein Risk-off-Asset gleichzeitig ist. Risk-off-Asset aufgrund der Eigenschaften, der begrenzten Anzahl, der Dezentralität und der Zensurresistenz. Auf der anderen Seite ist Bitcoin noch ein junges Asset und wird von vielen noch als Risk-on-Asset im Portfolio betrachtet. Wichtig ist, dass Bitcoin stark durch makroökonomische Faktoren beeinflusst wird, ganz ähnlich wie Tech-Aktien. Das beste Beispiel dafür sind Inflationsängste, die Geldmenge und auch die Zinspolitik und Entscheidungen der Fed.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Wir haben das vor ein paar Jahren gesehen, als die Federal Reserve gesagt hat, sie werden die Zinsen erhöhen, da kam es zu einem Krypto-Bärenmarkt. Das war das erste Mal in der Geschichte von Bitcoin. Da die Zinsen in die Höhe geschossen sind, hat sich Bitcoin wie traditionelle Risk-on-Assets verhalten und dementsprechend im Preis eingebüßt. Das ändert sich jetzt aber so ein bisschen. Wir haben ein hohes Zinsniveau, aber der Bitcoin ist trotzdem bei über 100.000. Einer der wichtigsten Makrofaktoren für Bitcoin ist die globale Geldmenge. Und die globale Geldmenge spiegelt natürlich auch ein bisschen die Inflationsrate oder die Abwertung des Geldes wider. Wenn man die globale Geldmenge und den Bitcoin-Chart übereinanderlegt, aber mit einer Verschiebung von zwölf Wochen, dann sieht man, wie schön parallel diese zwei Kurven momentan verlaufen.
Wie ist die Korrelation vom Bitcoin zu Devisen?
Wir vergleichen Bitcoin zwar immer mit dem US-Dollar, dem Euro oder dem Schweizer Franken, aber ich habe mir vor kurzem einen Chart Bitcoin gegen das ägyptische Pfund angeschaut oder auch gegen die türkische Lira über die letzten fünf Jahre. Diese Währungen sind komplett auf Null gegen Bitcoin. Und das ist so spannend, weil wir vor allem in diesen Ländern eine große Bitcoin-Adoptionsrate haben.
Viele Leute wollen sich vor Geldabwertung schützen und investieren dementsprechend in Bitcoin. Vor allem jüngere Leute.
Wie sehen Sie das Verhältnis zum Dollar?
Oft gab es eine inverse Korrelation zum Dollar, sprich, Dollar und Bitcoin, die liefen eigentlich immer gegenläufig. Bei einem starken Dollar ging der Bitcoin eher nach unten und genau andersrum. Aber momentan ändert sich auch dieses Narrativ. Immer mehr Leute entdecken Bitcoin als Hedge oder wirklich als Wertspeicher gegen Geldabwertung.
Erwarten Sie, dass Bitcoin auch in Zukunft so volatil wie in der Vergangenheit bleibt, oder dürfte mit dem zunehmenden Einstieg großer, institutioneller Investoren auch eine gewisse Stabilisierung einhergehen?
Absolut. Mit einer größeren Marktkapitalisierung wird langfristig auch die Volatilität von Bitcoin abnehmen. Natürlich ist Bitcoin relativ gesehen immer noch um einiges volatiler als viele traditionelle Assets, aber wir sehen über die letzten 10 bis 15 Jahre, wie die Bitcoin-Volatilität mit mehr Marktreife und Liquidität immer mehr abnimmt. Das ist ein Trend, von dem ich denke, dass er sich fortsetzen wird. Nehmen wir nochmal den Vergleich zum Gold: Gold hat eine Marktkapitalisierung von 20 Bill. Da braucht es ziemlich viel, um den Goldpreis zu bewegen. Und bei Bitcoin wird das wahrscheinlich sehr ähnlich sein, je größer dieses Asset wird. Dementsprechend nimmt auch die Volatilität ab. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht kurzfristig immer noch zu größeren Schwankungen kommen könnte, aber langfristig gesehen wird die Volatilität ganz klar abnehmen.
Wo erwarten Sie Bitcoin am Jahresende?
Wir sind verhalten bullish gestimmt. Es gibt Preisprognosen, die irgendwo in die halbe Million gehen oder auf 250.000. Da sind wir vorsichtiger. Wir sehen Bitcoin am Ende des Jahres bei 138.500 Dollar. Es gibt den ganzen Rückenwind mit den ETFs, mit den Bitcoin-Firmen, die strategische Reserven aufbauen, mit der Gesetzgebung, die sich verändert, mit der Zinspolitik, sodass wir denken, dass diese Marke geknackt werden könnte.
Ich frage jetzt auch noch einmal umgekehrt: Was könnte dazu führen, dass der Bitcoin noch mal abstürzt? Was sind die größten Gefahren, die Sie sehen?
Es gibt natürlich viele Risikofaktoren. Für unwahrscheinlich halte ich eine erneute Zinserhöhung. Aber eine straff bleibende Geldpolitik würde den Bitcoin-Preis dämpfen. Etwas Größeres sind für mich regulatorische Rückschläge. Von den ganzen Diskussionen, die besonders in den USA momentan stattfinden, erhofft man sich ziemlich viel. Wenn es hier aber Verzögerungen geben sollte, dann wäre das ein Dämpfer für den Markt. Was man auch nie vergessen sollte, sind Hacks oder größere Systemrisiken. Da sehe ich die Gefahr zwar weniger bei einem etablierten Asset wie Bitcoin, aber der Krypto-Asset-Markt wird oft als ein Ganzes betrachtet. Größere Hacks wären hier auf jeden Fall nochmal ein Rückschlag.
Zur Person: Adrian Fritz verantwortet als Global Head of Research bei 21Shares die Research-Abteilung des Krypto-ETP-Anbieters. Gemeinsam mit seinem Team liefert er fundierte Einblicke in den Kryptomarkt, mit einem Fokus auf Bitcoin, DeFi und weitere digitale Assets sowie deren Entwicklung im globalen wirtschaftlichen und geopolitischen Kontext.
Das Interview führte Tobias Möllers. Das vollständige Interview lesen Sie unter www.boersen-zeitung.de.
Das Interview führte Tobias Möllers.