Chinas Anleger blicken angstvoll in Richtung USA

Rosiges Konjunkturszenario lässt Konsumwerte noch kalt - Furcht vor weiteren US-Restriktionen

Chinas Anleger blicken angstvoll in Richtung USA

Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas jüngste Konjunkturdaten sind geeignet, weiteren Optimismus in Sachen Wirtschaftserholung von der Corona-Pandemie zu entfachen. Im August verzeichnete die Industrieproduktion wieder stramme Wachstumsraten, während die Einzelhandelsumsätze erstmals seit Jahresbeginn wieder zugelegt haben. Damit wird eine sich nun abzeichnende Wiederbelebung des seit Ausbruch der Viruskrise am Boden liegenden chinesischen Binnenkonsums als wesentlichem Wachstumstreiber zum Anlegerthema. Allerdings beißen die Investoren im Reich der Mitte nicht wirklich an. Getreu der Maxime “Sell on the good news” haben konsumverwandte Werte in den vergangenen Tagen eine zum Teil kräftige Korrektur durchgemacht, die auch die Leitindizes Shanghai Composite und CSI 300 im Wochenverlauf um mehr als 2 % einbüßen ließ. DiversifikationschanceDie jüngste Einschätzung von Fed-Chef Jerome Powell, dass sich die US-Wirtschaft nur äußerst schleppend erholen wird, belastet zwar das Aktienmarktsentiment, dürfte globale Fondsmanager aber letztlich positiv für ein verstärktes Engagement im chinesischen Markt für A-Aktien stimmen. Der Kontrast eines deutlich V-förmigen Konjunkturverlaufs im Reich der Mitte zu den mauen Perspektiven in führenden Industrieländern spricht zumindest für ein fundamental abgestütztes Engagement im weltweit zweitgrößten Aktienmarkt. In gewisser Weise dürften die stark auseinanderdriftenden Konjunkturtrends in den führenden Volkswirtschaften China-Engagements auch unter dem Diversifikationsaspekt fördern, denn diese Entwicklung unterstreicht die bereits geringe Korrelation der chinesischen Aktienmarktbewegungen zum Börsentrend in westlichen Ländern.Dabei spielt auch die neue wirtschaftspolitische Ausrichtung Pekings eine Rolle, die sich im Zuge der immer weiteren Spannungen zwischen China und den USA mit dem Gedanken einer wirtschaftlichen Entkopplung anzufreunden beginnt. Der derzeit in Arbeit befindliche neue Fünfjahresplan wird in erster Linie darauf abgestellt, Chinas Wirtschaft autarker zu gestalten. Dies läuft vor allem auf Regierungsprogramme zur Ankurbelung des Binnenkonsums und Förderung des Dienstleistungssektors hinaus, wovon Konsumwerte und nicht zuletzt auch Technologieaktien langfristig profitieren werden. Trump als KorrekturfaktorGegenwärtig allerdings stellen die immer mehr auch auf technologischer Ebene geführten bilateralen Streitigkeiten zwischen den beiden weltgrößten Volkswirtschaften den schärfsten Risikofaktor für den chinesischen Aktienmarkt dar. In dem von Kleinanlegern dominierten Handelsgeschäft kommt es immer wieder zu empfindlichen Reaktionen auf neue Restriktionen der US-Behörden gegenüber chinesischen Unternehmen. Sollte es in den Wochen vor der US-Präsidentenwahl zu einer neuerlichen Offensive gegen chinesische Technologieunternehmen, insbesondere im Halbleitersektor kommen, sind Angstreaktionen möglich, die zu einer breiten Marktkorrektur führen könnten, warnen Experten. Gerade im Herbst werden weitere verbale Attacken gegen China seitens US-Präsident Donald Trump erwartet.Angesichts der schweren Herausforderungen für chinesische Technologieaktien und der Hoffnung auf eine anziehende Konsumkonjunktur sehen Analysten Chancen, dass Value-Investoren besser zum Zug kommen werden. Die Frage ist allerdings, ob dies auch für dividendenträchtige Finanzsektoraktien gilt. Während chinesische Lebens- und Schadensversicherer nach einer heftigen Delle zu Jahresbeginn von der Konsumerholung profitieren können, sieht es bei den sowieso in Ungnade gefallenen Banken genau umgekehrt aus. Hatten sie noch im ersten Quartal mit hohen einstelligen Gewinnzuwächsen geglänzt, sind sie im zweiten Quartal von drastisch steigenden Kreditausfallrisiken erfasst worden. Erstmals seit fünfzehn Jahren verzeichnen Chinas Großbanken kräftige Ergebnisrückgänge und dürften auch im weiteren Jahresverlauf schlecht abschneiden.Chinas Kleinanleger machen trotz historisch niedriger Bewertungsrelationen einen großen Bogen um die chinesischen Kreditriesen, zumal sie im Verdacht stehen, über kurz oder lang ihr regulatorisches Kapital auffüllen zu müssen. Im bisherigen Jahresverlauf haben die Papiere der chinesischen Großbanken rund 20 % eingebüßt und sind gegenwärtig zu echten Schnäppchenpreisen zu haben. So ist die Marktbewertung der vier größten Banken des Landes erstmals seit ihrem Börsenauftritt unter die Hälfte ihres Buchwerts gerutscht, was für eine drastische Unterbewertung spricht. Allerdings sehen die Experten angesichts weiter aufgestauter Kreditrisiken und drohender Kapitalengpässe gegenwärtig wenig Chancen für eine Renaissance von chinesischen Bankaktien.