Unternehmensanleihen

Der EZB-Effekt macht Corporates anfällig

Aufgrund des Effekts der Anleihekäufe der EZB auf die Corporate Spreads sind Unternehmensanleihen anfällig gegenüber einer weiteren Normalisierung der Geldpolitik.

Der EZB-Effekt macht Corporates anfällig

Von Thomas Weber *)

Schon immer haben Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik auch die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen beeinflusst. Über den Leitzins nahmen sie Einfluss auf Kreditangebot und -nachfrage, um die Konjunktur zu stimulieren oder zu bremsen, was wiederum Auswirkungen auf Credit Spreads hatte. Seit dem Beginn der quantitativen Lockerung, also dem massenhaften Ankauf von Wertpapieren, der in der Eurozone im Jahr 2015 begann und seit 2016 auch Corporate Bonds beinhaltet, ist der Zusammenhang zwischen Geldpolitik und Credit Spreads sogar noch viel größer geworden. Die Politik der Notenbank wirkt dabei an vielen Stellen des Wirtschaftsgeschehens und auf die Märkte.

Es ist aufschlussreich, den Credit Spread, also den Renditeaufschlag einer risikobehafteten Unternehmensanleihe gegenüber einer „risikolosen“ Anlage, in seine Teile zu zerlegen, um den Wirkmechanismus der EZB-Politik zu verstehen. Wichtig ist der erwartete Verlust einer Anleihe, bestehend aus Ausfallwahrscheinlichkeit und Verlustquote bei Ausfall. Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist in den letzten Jahren durch die EZB-Maßnahmen tendenziell gesunken, da die lockere Geldpolitik das Wachstum und damit die Umsätze und Gewinne der Unternehmen gesteigert hat. Vor allem aber haben niedrige Zinsen die Schuldentragfähigkeit erhöht. In Zeiten von Negativrenditen können selbst hohe Schuldenberge kostengünstig refinanziert werden. Sofern fallende Finanzierungskosten nicht durch ein riskanteres Geschäfts- oder Finanzprofil kompensiert wurden, war der EZB-Effekt­ auf die Bonität von Unternehmen positiv. Sichtbar ist diese Entwicklung beispielsweise an der Zahl der jährlichen Unternehmensinsolvenzen in Deutschland, die seit Jahren einen Abwärtstrend aufweisen.

Risikoprämie entscheidend

Wichtiger als die Ausfallwahrscheinlichkeit ist aber die über den erwarteten Verlust hinausgehende Risikoprämie, die Investoren für die Übernahme des Kursrisikos bei Anleihen fordern. Die Risikoprämie ist darin begründet, dass der tatsächliche Verlust höher als der erwartete Verlust sein kann. Einer Studie der Deutschen Bundesbank aus dem Jahr 2014 zufolge entfallen auf die Risikoprämie etwa zwei Drittel­ des gesamten Credit Spreads. Die anderen beiden Komponenten, erwarteter Verlust und Illiquidi­tätsprämie, machen je etwa 15% aus. Bei der Risikoprämie ist unseres Erachtens der größte Effekt der Anleihekaufprogramme zu spüren. Denn die Märkte haben gelernt, dass die EZB im Krisenfall stets bereit ist einzuspringen und durch ein immer höheres Kaufvolumen allzu große Spreadbewegungen verhindert. Und in einem solchen Umfeld mit geringer Volatilität braucht es auch keine hohen Risikoprämien.

Nur auf die Liquidität im Markt hatte die EZB keinen positiven Einfluss. Die von Marktphasen relativ unabhängigen Käufe der Zentralbanken stellen zwar ein gewisses Liquiditätsangebot dar. Da die EZB aber als Buy-and-Hold-Investor auftritt und ihre Bestände typischerweise bis zur Fälligkeit hält, wird der Markt durch das abnehmende Volumen frei handelbarer Anleihen immer illiquider. Aus analytischer Sicht ist eine höhere Illiquiditätsprämie daher gerechtfertigt. Der positive Einfluss der EZB auf die Ausfallwahrscheinlichkeit und die Risikoprämie dürfte die negativen Auswirkungen auf die Liquidität jedoch weit überwiegen.

Insgesamt ist es unstrittig, dass die Geldpolitik der letzten Jahre Credit Spreads reduziert hat. Mit ihren Anleihekäufen verfolgt die EZB ja gerade das Ziel, die Finanzierungsbedingungen für Haushalte und Unternehmen zu verbessern. Die Höhe des EZB-Effekts zu bestimmen ist ungleich schwieriger. Helfen kann ein Blick auf den Markt für Kreditversicherungen. Denn im CDS-Markt werden wie am Anleihemarkt Kreditrisiken gehandelt, nur ohne die verzerrenden Effekte der Anleihekaufprogramme. Betrachtet man die CDS-Bond-Basis (Spreadunterschied zwischen CDS- und Anleihemarkt) für ein Portfolio von Nichtfinanzunternehmen über einen längeren Zeitraum, ist der Effekt der EZB-Anleihekäufe augenscheinlich. Vor Juni 2016 und in der Zeit von Januar bis Oktober 2019 betrug die durchschnittliche Basis im zehnjährigen Laufzeitenbereich etwa 11 Basispunkte. Zu Zeiten der Nettoanleihekäufe (ohne die Akutphase der Coronakrise, als ein hoher Liquiditätsbedarf herrschte) lag die Basis hingegen bei etwa 26 Basispunkten. Die Bondkäufe sind also für rund 15 Basispunkte des Unterschieds verantwortlich, was ein hoher Wert ist, wenn man das aktuelle Spreadniveau von etwa 55 Basispunkten für vorrangige Unternehmensanleihen heranzieht.

Eine andere Herangehensweise für die Bestimmung des EZB-Effekts ist ein auf volkswirtschaftlichen Indikatoren und Marktdaten basierendes Modell zur Erklärung von Credit Spreads. Nimmt man die EZB-Corporate-Bond-Käufe als erklärende Variable in das Modell auf, ergibt sich für den Zeitraum seit der Finanzkrise bis heute ein Einfluss der Käufe in Höhe von rund 20 Basispunkten. Bei den Schätzungen handelt es sich eher um die Untergrenze des EZB-Effekts, der allein durch die Verschiebung des Angebots-Nachfrage-Verhältnisses am Bondmarkt verursacht wird. Denn die ultraexpansive Geldpolitik wirkt sich auch auf die Konjunktur und die Bonität der Unternehmen aus, was durch die Basis und das Regressionsmodell nicht separat erfasst wird.

Geht man von einem direkten EZB-Effekt in Höhe der geschätzten 15 bis 20 Basispunkte aus, sind Unternehmensanleihen anfällig gegenüber einer weiteren Normalisierung der Geldpolitik. Im Vergleich zur Fed, die das Ende der Anleihekäufe bereits beschlossen hat und nun über den Zeitpunkt ihrer ersten Zinsanhebung diskutiert, ist die EZB noch zwei Schritte zurück. Zwar hat auch die Europäische Zentralbank eine Drosselung ihrer Anleihekäufe beschlossen. Mit einem Ende der Nettokäufe oder gar einem ersten Zinsschritt noch in diesem Jahr rechnen wir allerdings nicht. Bis auch die Spreads von Unternehmensanleihen den Rückzug der EZB vollumfänglich einpreisen, könnte es daher noch einige Monate dauern. Eine gewisse Schwäche bei Corporate Bonds war seit Jahresanfang bereits zu spüren. Die Risikoaufschläge liegen aktuell etwa 5 Basispunkte höher als noch zu Beginn des Jahres. Auch wenn hierfür in erster Linie das hohe Volumen an Neuemissionen verantwortlich sein dürfte, sollten Anleger den nachlassenden EZB-Effekt in den kommenden Monaten nicht außer Acht lassen.

*) Thomas Weber ist Senior-Corporate-Bond-Stratege der DZBank.

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