Die relative Schwäche Deutschlands
Wie einst die Deutsche Mark gelten Bundesanleihen seit jeher als der Maßstab für Qualität und Sicherheit am Finanzmarkt. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner verlieh den Bundesanleihen sogar das Prädikat „Goldstandard“. Der exzellente Ruf Deutschlands als Schuldner basiert zum einen darauf, dass es die einzige große Volkswirtschaft in der Eurozone ist, die seit Jahrzehnten von den großen Ratingagenturen durchgängig die Bestnote „AAA“ erhält. Zum anderen waren die Renditen von Bundeswertpapieren in ihrem jeweiligen Laufzeitenbereich stets die niedrigsten innerhalb der Eurozone, da sie am Finanzmarkt als so gut wie risikofrei bewertet wurden. Sie dienen außerdem als Referenzgröße für alle anderen Staatsanleihen der Eurozone, um landespezifische Risiken gegenüber dem „risikofreien Zins“ zu bemessen.
Die Ratingagenturen bescheinigen Deutschland zwar noch immer eine Top-Bonität. Am Markt hat das Selbstverständnis Deutschlands aber zuletzt einige kleinere Kratzer verkraften müssen. Eine weitere wichtige Benchmark für Zinsen in der Eurozone ist die Euro-Swap-Kurve. Sie stellt die Zinssätze dar, zu der professionelle Marktteilnehmer, darunter Banken, untereinander Zinstauschgeschäfte vornehmen. Mittlerweile hat sie den Rang der wichtigsten Bewertungskurve am europäischen Finanzmarkt erlangt. Von jeher galt der Grundsatz, dass die Swap-Zinssätze jeweils über den Renditen gleichlaufender Bundesanleihen lagen, da die Zinstauschgeschäfte im Gegensatz zu Bundesanleihen nicht gänzlich risikofrei waren. In den vergangenen Wochen ist jedoch Erstaunliches passiert. Beide Rendite- bzw. Zinskurven, jene von Bundesanleihen und Swaps, liegen nun praktisch gleichauf. Bei zehnjährigen Laufzeiten notierten Bundrenditen auf einmal sogar höher als laufzeitkongruente Swap-Zinssätze. Und auch die Risikoaufschläge von Staatsanleihen der Eurostaaten sind stark gesunken, ohne dass die Gründe primär darin lägen, dass die landesspezifischen Risiken abgenommen hätten.
Strukturelle Probleme
Die Gründe für dieses Novum am Finanzmarkt liegen vielmehr in der relativen Schwäche Deutschlands und der wachsenden Überzeugung der Anleger, dass auch Bundesanleihen nicht (mehr) risikofrei sind. Während der Corona-Krise oder zu Beginn des Ukraine-Krieges war die Einschätzung des Marktes noch eine andere. Damals lagen die Euro-Swap-Zinssätze noch deutlich über den Bundrenditen, weil Anleger in Zeiten der Krise dem sicheren Hafen Deutschland den Vorzug gaben. Corona liegt inzwischen hinter uns und auch der Krieg in der Ukraine dauert bereits mehr als 1.000 Tage. Während sich viele Euro-Staaten von den Krisen wirtschaftlich erholen konnten, hat Deutschland mit etlichen strukturellen Problemen zu kämpfen. Die Wirtschaft ist seit Beginn des Jahrzehntes nicht mehr gewachsen, und im Euro-Wachstumsvergleich liegt Deutschland seit geraumer Zeit bereits auf einem der hinteren Plätze.
Die Gründe für die strukturellen Probleme der Wirtschaft sind bekannt: die hohen Energiepreise, die Transformation der Autoindustrie, die hohen Steuersätze, Rückstände in der Digitalisierung und nicht zuletzt das Bürokratie-Problem. Die aktuell größten Sorgen der Anleger drehen sich aber um das Thema Zölle, die der neue US-Präsident Trump erhöhen möchte. Deutschland ist besonders stark exportorientiert. Die Bundesrepublik weist ein hohen Handelsbilanzüberschuss mit den USA auf und würde nach Einschätzung der Investoren im Kreis der Staaten der Eurozone am stärksten betroffen sein. Das Ungünstige hierbei: Trump hat zwar neue Zölle angekündigt, aber bislang weiß niemand, wann und in welcher Höhe und welche Produktgruppen es beträfe. Das Gros der Anleger rechnet vor allem mit höheren Zöllen auf Autos, was einmal mehr Deutschland besonders hart träfe.
Politisches Vakuum
Aber nicht allein die Sorge vor Trump treibt die Anleger um. Es geht auch um das politische Vakuum in Berlin nach dem Bruch der Ampel-Koalition. Derzeit herrscht eine große Unsicherheit, welche Regierung folgen und ob es ihr gelingen wird, die Strukturprobleme zu lösen. Das ist ebenfalls eine Last für Bundesanleihen.
Abseits der Probleme in Deutschland nimmt auch die EZB-Politik Einfluss auf das Marktgeschehen. Ende dieses Jahres wird die EZB ihre Anleihekaufprogramme gänzlich abschließen und keine Reinvestitionen mehr vornehmen. Damit entfällt ein wichtiger Nachfrager am Markt, der zudem weniger preissensitiv agierte als die meisten Investoren. Bundesanleihen galten wegen der EZB-Anleihekaufpolitik außerdem als knappes Gut, was auch auf die restriktive Fiskalpolitik Berlins zurückging. Durch die wegfallende EZB-Nachfrage sollte das Knappheitsargument aber entfallen und Anleger sind im Vorgriff des Auslaufens der Anleihekäufe kaum noch bereit, Knappheitsprämien für deutsche Staatsanleihen zu bezahlen.
Die Frage, die am Finanzmarkt nun heiß diskutiert wird, lautet: Ist die relative Schwäche der Bundesanleihen ein temporäres Phänomen oder bekommen wir amerikanische Verhältnisse, wo seit geraumer Zeit Renditen von US-Staatsanleihen oberhalb der USD-Swap-Zinssätze liegen?
Rekordhohe Schulden
Kurzfristig spricht wenig dafür, dass wir in der Eurozone zu den alten Verhältnissen zurückkehren. Das Gros der Anleger wird sicherlich erst die politischen Entwicklungen in Berlin und Washington abwarten wollen. Herrscht einmal Klarheit, welchen Kurs Trump einschlägt, und halten sich die negativen Folgen für die Eurozone und vor allem Deutschland in Grenzen, könnte sich der Markt auch wieder anderen Themen zuwenden. Problempunkte in der Eurozone bleiben die (zu) hohe Neuverschuldung vieler Länder und die auf Rekordniveau verharrenden Schuldenstandsquoten. Frankreich ist hierbei im Fokus der Anleger, weil sich die Minderheitsregierung in Paris schwertut, eine Parlamentsmehrheit für einen Haushalt für das kommende Jahr zu finden, die die angedachten Sparpläne mitträgt. Bei einer weiteren Verwässerung der Kürzungspläne droht das Defizitziel für 2025 in Höhe von 5% des BIP in weite Ferne zu rücken. Frankreichs Schuldenstandsquote droht indes immer neue Rekordstände zu erklimmen.
Italien hat hingegen einen fiskalischen Konsolidierungskurs eingeschlagen, der sich bereits auszahlt. 2026 könnte das Budgetdefizit erstmals seit langem wieder unter die 3%-Maastrichtgrenze fallen. Der Markt honoriert die Entwicklung, was sich an den deutlich gesunkenen Risikoprämien italienischer Staatsanleihen ablesen lässt. Dennoch reicht der Rückgang nicht, um auch die Schuldenstandsquote zu senken, da Italiens nominales Wirtschaftswachstum weiter eher schwach ist und sich in einem Umfeld höherer Zölle auch keine Besserung abzeichnet. Gleichzeitig fällt es vielen Staaten schwer, den Spargürtel noch enger zu schnallen, weil die Aufwendungen für den Schuldendienst durch die in den vergangenen Jahren gestiegenen Renditen für Staatsanleihen merklich angewachsen sind.
Als Sparmeister hat Deutschland mit solchen Problemen nicht zu kämpfen, was Anleger goutieren dürften, sobald sich der Fokus des Marktes wieder stärker von der deutschen Wachstumsschwäche auf die Schuldenproblematik der anderen Euro-Staaten verschiebt.
Daniel Lenz ist Leiter Strategie Euro-Zinsmärkte bei der DZ Bank.