Volker Schilling

„Eine mäßige Inflation macht der Börse nichts aus“

Inflation ist aus Sicht von Volker Schilling das Thema für die Kapitalmärkte in den nächsten zehn Jahre. Der Gründer der Fondsboutique Greiff AG setzt daher auf Aktien. Aber auch Gold sei attraktiv.

„Eine mäßige Inflation macht der Börse nichts aus“

Wolf Brandes.

Herr Schilling, lange hat man unter Investoren noch von einer Zinswende geredet. Nun scheinen die Aussichten zu lauten: Nullzinsen ohne Ende. Wie reagieren Sie auf diese Umstände?

In einer Welt ohne Zinsen ist nicht mehr entscheidend, was Geld kostet, sondern wer Geld erhält. Wer einen guten Zugang zum Kapital besitzt, der hat bei Nullzinsen handfeste Vorteile. Jetzt zählen die drei Kriterien Bonität, Konformität und Rentabilität. Ich muss also nicht nur kreditwürdig sein, sondern auch ein angepasstes Verhalten an den Tag legen. Damit meine ich zum Beispiel die Taxonomie, die dazu führen wird, dass nur der Zugang zu Geld bekommt, der sich im Sinne von ESG ordentlich verhält. Das dritte Kriterium Rentabilität wiegt heute stärker: Wer gut wirtschaften kann und erfolgreich ist, dem wird Geld nachgeworfen.

Es gibt Marktbeobachter, die an steigende Zinsen glauben. Sie gehören dazu. Warum?

Während viele Menschen die nominalen Zinsen im Blick haben, wissen wir im Finanzbusiness, dass wir real denken müssen. Das heißt, beim Zins muss man immer die Inflation mitdenken. Inflation ist das Thema der nächsten zehn Jahre. In dem Zusammenhang sehe ich ganz klar die Reflation und die finanzielle Repression, die daraus folgt. Viele sagen, die aktuelle Inflation sei vorübergehend – das glaube ich nicht. Es sind nicht nur kurzfristige Basiseffekte. Da gibt es beispielsweise die Rohstoffpreise, die deutlich angezogen haben und die weiter klettern werden. Ein Grund dafür ist der Umbau der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Dafür braucht es gewaltige Rohstoffmengen. Wenn wir wegwollen von einer totalen Globalisierung und uns regionale Lieferketten wünschen, dann wird auch das höhere Kosten verursachen.

Können Sie den Zinsanstieg quantifizieren?

Nehmen wir die Preise bei Vorprodukten, die um 10% und mehr steigen werden. Das wird in den kommenden zwölf Monaten in der allgemeinen Inflationsrate zu einem Anstieg auf 3 bis 7% führen. Hinzukommen steigende Immobilienpreise, die die Mieten verteuern. Allein in den USA haben wir seit einem Jahr eine Wertsteigerung bei Immobilien von 10%. Damit liegen die Bewertungen sogar höher als vor der Krise 2008. Es gibt weitere Faktoren wie steigende Löhne angesichts der Knappheit von Fachkräften und der demografischen Entwicklung.

Die Inflation führt nicht automatisch zu steigenden Zinsen, oder?

Bei einer US-Inflation von zuletzt 5,4% und einer Rendite der US-Staatsanleihen von 1,3% sind das real ­–4,1% Zinsen. Solche negativen Realzinsen gibt es nur extrem selten, das wird sich ändern. Zweitens: Eine starke Inflation und ein starkes Wirtschaftswachstum hatte fast immer stark steigende Zinsen zur Folge.

In den USA ist aber im zweiten Quartal das Gegenteil passiert.

Richtig, weil die Marktteilnehmer das Narrativ glauben wollen, dass die Inflation vorübergehend ist. Das ist auch die Begründung der US-Notenbank Fed für ihre Politik. Das ist ein großer Fehler. Die Renditen sind im zweiten Quartal aber gesunken, weil die US-Regierung nur wenig Schulden neu aufgenommen hat und sich aus anderen Quellen bedienen konnte. Das wird für das dritte und vierte Quartal anders aussehen, dann wird das Kaufprogramm der Fed nicht ausreichen, um die neue Verschuldung der USA zu finanzieren. Investoren am freien Markt werden höre Zinsen verlangen und bekommen.

Wohin gehen die US-Zinsen?

Über die 2-Prozent-Marke, weil sich der Markt nicht mit weniger abspeisen lässt.

Wie sieht es mit den Zinsen bei Bundesanleihen aus?

Die Tendenz ist völlig identisch, nur auf einem anderen Niveau. Minus 0,4% sind für einen Investor natürlich inakzeptabel. Aber man kann und sollte im Bereich der Anleihen ausweichen auf inflationsgeschützte Bonds. Bei Unternehmensanleihen gibt es in den Schwellenländern durchaus noch Chancen.

Lassen Sie uns über Aktien reden. Alle sagen, sie seien alternativlos.

So abgedroschen das klingt – es ist so. Der Aktienmarkt profitiert von einer starken Wachstumsphase nach der Coronakrise. Nach China und den USA werden auch in Europa die Zahlen weiter anziehen. Das Wachstum ist in Europa noch nicht ausreichend in den Aktienkursen eingepreist. Hinzukommt: Für die Aktienmärkte ist eine erhöhte Inflation unproblematisch. Eine mäßige Inflation zwischen 3 und 4% macht der Börse überhaupt nichts aus.

Werden die Menschen in die Aktien getrieben?

Das kann man so sagen. Wir stehen kurz davor, bei der Zahl der Aktionäre in Deutschland den Stand von 2000 zu erreichen. Sachwerte sind en vogue, das sehen wir bei Aktien und auch bei Immobilien.

Bei allen Aktienmärkten?

Es gibt erhebliche Unterschiede bei den Bewertungen. Nehmen wir zum Beispiel den Technologiebereich in den USA. Dort gibt es Titel, die auf Dauer zu hoch bewertet sind.

Also Amazon, Apple, Microsoft & Co. würden Sie nicht kaufen?

Man muss differenzieren. Bei echten Cash-Maschinen ist das in Ordnung und dann sind auch die Bewertungen angemessen. Schwierig wird es, wenn der Cash-flow in der Zukunft liegt. Bei steigenden Zinsen führt das zu dramatischen Bewertungsänderungen und dann haben diese Aktien ein Problem.

Sie meinen beispielsweise Tesla?

Ja, ich wäre vorsichtig bei „Long Duration Stocks“, die kaum Gewinne machen. Generell ist das Thema digitale Revolution natürlich ein gewaltiger Treiber, ähnlich wie vor 100Jahren die industrielle Revolution. Es wird Gewinner dieser Umwälzung geben – und möglicherweise zählt eben Amazon dazu, Tesla eher nicht.

Welche weiteren Trends sehen Sie angesichts der Coronakrise?

Der Stay-at-home-Trend ist ausgereizt. Interessanter sind Aktien, die auf die Wiederöffnung setzen. Angesichts der Ersparnisse seit Ausbruch der Krise haben die Konsumenten jetzt die Möglichkeiten und auch die Mittel, beispielsweise wieder zu verreisen.

Also Lufthansa und Tui kaufen?

Wir würden eher auf Amadeus setzen. Ein elektronisches Buchungsportal für die Reiseindustrie läuft sofort an. Die Airlines müssen erst ihre Probleme in den Griff kriegen. Interessant ist aber auch Disney: Die haben es geschafft, mit ihrem Kanal das Zu-Hause-Thema zu adressieren und werden jetzt mit den Freizeitparks, Kreuzfahrten und Filmrechten von der Öffnung profitieren.

Wir haben über Tesla gesprochen, wie sehen Sie die Autobranche?

Gerade aus deutscher Sicht finde ich sie spannend. Wie es VW schafft, die Marke aufzupeppen – auch wenn viele Altlasten dranhängen. Ich sehe bei den deutschen Herstellern die Transformation in Richtung E-Mobilität und das scheint sich langsam auszuzahlen. VW würde ich Tesla ganz klar vorziehen.

Würden Sie oder tun Sie es?

Da bin ich gespalten. Die neue Mobilität ist eines der großen Zukunftsthemen. Das Auto wird eine große Rolle dabei spielen. Aber wir werden viel weniger Autos brauchen als heute. Noch produziert VW mit dem alten operativen Geschäft gute Cash-flows und investiert in die neuen Bereiche. Aber ich kann mir vorstellen, dass man mit einem Drittel der Autos in Deutschland auf Dauer klarkommen würde, weil es künftig um das Benutzen und nicht das Besitzen geht. Das macht es für die Hersteller schwierig. Ich bin ungern in einem Segment investiert, der kein Wachstumsmarkt mehr ist.

Sind Sie ein Fan des deutschen Aktienmarktes?

Man macht als Investor nichts verkehrt, wenn man den Dax kauft. Das ist einer der wenigen Indizes, die nicht überbewertet sind. Der Dax ist ein klarer Kauf. Ich finde dabei angesichts von Cash-flows und Dividenden eine Eon spannender als eine Deutsche Bank. Auch die zweite Reihe ist sehr interessant, etwa ein Unternehmen wie Heidelberger Druck, die schon abgeschrieben waren und sich jetzt neu er­finden.

Was halten Sie von Gold?

Eine attraktive Anlageklasse. In Zeiten höherer Inflation sollte man Gold in schwachen Phasen einsammeln und bis zu 10% gewichten. Ich bin auch ein Freund von Kryptoassets.

Sind Ihnen Aktien zu defensiv?

Kryptoassets sind ein fantastischer Baustein in der Allokation. Nicht, weil man damit Rendite erzielen kann, sondern weil sie kaum korreliert sind mit anderen Anlageklassen. Daher kann man damit Risiken reduzieren – so komisch das klingt. Wir setzen Kryptoassets auch in defensiven Mandaten mit einer Gewichtung von 1 bis 1,5% ein.

Gehören zu einer guten Allokation heute Papiere aus China?

Chinesische Aktien sind zurückgekommen, bedingt durch die staat­lichen Eingriffe. Dieses Risiko ist jetzt eingepreist. Das zeigt den Markt­teilnehmern, dass China nicht eine pure Erfolgsstory des neuen Kapi­talismus ist. Es gibt das politische Risiko eines übermächtigen Staates, der machen kann, was er will. Das haben wir zum Beispiel bei Alibaba gesehen oder im Bildungsbereich. In China sehe ich noch nicht den Zeitpunkt gekommen, im großen Stil zu investieren. Weitere Eingriffe des Staates können schnell dazu führen, dass institutionelle Gelder abfließen. Das ist mir zu riskant. In einem halben oder in einem Jahr sollte man sich die chinesischen Aktien nochmals anschauen. Eine andere Sache wäre es, als Privatanleger einen Sparplan auf einen Chinafonds abzuschließen.

Als attraktiv gelten chinesische Staatsanleihen. Was halten Sie davon?

Nachvollziehbar ist das, weil die Währung vorteilhaft ist. Der Yuan ist zwar keine anerkannte Staatswährung, aber auf dem besten Weg dahin. Allerdings gilt auch hier, dass mögliche Abflüsse von institutionellen Investoren ein hohes Risiko darstellen. Gleichwohl bekommt man immerhin einen Kupon, der das Risiko einigermaßen vergütet.

Das Interview führte

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