Emerging Markets: Naher Osten wird Thema
Emerging Markets: Naher Osten wird Thema
Naher Osten wird Thema
Der Schwellenländerexperte Ninety One macht Stimmungswandel aus: Risiken in Industrieländern rücken in den Fokus
hip London
Der Assetmanager Ninety One hat einen Stimmungswandel bei seinen Kunden ausgemacht, wenn es um Investments in Schwellenländern geht. Die Konversation habe sich von Fragen wie der, ob Emerging-Markets-Risiken fair bewertet seien und ob man da investieren müsse, wegbewegt, sagt Jaspal Boparai, Co-Head of UK Institutional, vor Journalisten in London. Teils auch wegen des „Liberation Day“ im April, an dem US-Präsident Donald Trump seine Zölle verkündete, komme nun die Frage: „Was sind die Risiken in den entwickelten Märkten, die ich nicht sehe?“
Um dies zu beantworten, hat Ninety One die Fundamentaldaten von Industrie- und Schwellenländern einander gegenübergestellt. Dazu fasste man die 13 entwickelten Länder in der J.P. Morgan GBI Benchmark zu einer „Republic of DM (Developed Markets)“ zusammen, die 19 Emerging Markets im J.P. Morgan GBI-EM zu einer „Republic of EM“.
Niedrigere Verschuldung
Dabei zeigte sich, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schwellenländer in Dollar zwar um 40% niedriger ist. Auf Grundlage von Kaufkraftparitäten ist es jedoch um 27% höher. Erklären lässt sich das mit Währungseffekten, Abweichungen bei den Lebenshaltungskosten und der unterschiedliche Produktivität.
Die Bevölkerung der Emerging Markets sei vier Mal so groß wie die der Industrieländer. Entsprechend niedrig sei das BIP pro Kopf. „Und das schafft enorm viel Platz für Wachstum“, sagt Grant Webster, Co-Head of FX & Souvereign. Die Verschuldung der „Republic of EM“ ist um 60% niedriger als die der Industrieländer. Sie beläuft sich auf 80,9% des Bruttoinlandsprodukts. Bei der „Republic of DM“ sind es 119,5%. Zudem weisen die Emerging Markets mittlerweile einen Leistungsbilanzüberschuss von 0,3% auf, die entwickelten Länder dagegen ein Defizit von 0,6%. Dabei sind die Anleiherenditen der „Republic of EM“ um 70% höher.
Bessere Bonitätsnoten
„Die Geldpolitik in den Emerging Markets war einfach sehr orthodox“, sagt Webster. „In den Industrieländern ist sie dagegen in letzter Zeit etwas weniger orthodox geworden.“ Die solide Geld- und Fiskalpolitik vieler Schwellenländer spiegele sich in besseren Bonitätsnoten der Ratingagenturen wider. Allein im dritten Quartal hätten die drei großen Ratingagenturen 15 Länder aus den Emerging Markets heraufgestuft, sagt Webster. Die Vereinigten Staaten wiesen dagegen ein Haushaltsdefizit auf, das man am Boden einer Rezession erwarten würde. „Man muss sich fragen, wohin sich das Defizit entwickelt, wenn die USA in eine Rezession eintreten, und wie sie das finanzieren wollen.“
Europäische Kunden hätten schon früh in Emerging Markets investiert, sagt Boparai. Für viele US-Kunden seien sie erst dieses Jahr in den Fokus gerückt. Es gebe noch keine enormen Flows, „aber wir sehen sehr gute erste Anzeichen“.
Weg von den Kohlenwasserstoffen
Aber was sind die großen Themen? „Vor fünf oder zehn Jahren hätte ich gesagt: Das wichtigste, was in den Emerging Markets passiert, ist die Inklusion und Integration Asiens“, sagt Alan Siow, Co-Head of Emerging Market Corporate Debt bei dem Vermögensverwalter. „Das Thema des laufenden und vermutlich auch den nächsten Fünfjahreszyklus ist die Integration des Nahen Ostens.“ Dort steige bei Unternehmensanleihen die Emissionstätigkeit, während sie in Asien zurückgegangen sei.
„Es ist die Geschichte von Volkswirtschaften im Wandel, dem Versuch, sich von einer kohlenwasserstoffbasierten Wirtschaft weg zu diversifizieren“, sagt Siow. Dafür suchten sie Finanzierungen in Dollar und anderen Währungen.
Weniger Angebot
Unternehmensanleihen aus den Emerging Markets hätten seit Jahresbeginn eine Rendite von 8% abgeworfen, sagt Siow. Das sei mehr als US-Investment-Grafe oder High-Yield-Anleihen. Es gab einen Rückgang der Emissionstätigkeit, der größtenteils auf China zurückzuführen sei. Nach der Pandemie habe das Land bei Corporate-Bond-Emissionen in Dollar das frühere Volumen nicht mehr erreicht. Dieses Jahr hätten Firmen stattdessen versucht, durch Börsengänge in Hongkong Geld einzusammeln.
„Keine große Sache“
Insgesamt würden aus Schwellenländern mehr Corporate Bonds zurückgezahlt als neu ausgegeben, sagt Siow. Die Tiefe der lokalen Märkte habe zugenommen. Sowohl auf der Ebene der Staaten als auch der Unternehmen habe man aus der Asienkrise 1997/98, dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und der Pandemie gelernt. „Private Markets sind noch keine große Sache in den Emerging Markets“, sagt Siow. Man habe das Glück, dass sich extravagante Working-Capital-Finanzierungen oder Reverse Factoring dort noch nicht durchgesetzt hätten.
„Covenant-heavy“
Matt Christ, der für das Thema Emerging Market Transition Debt zuständige Portfoliomanager, zeigt am Beispiel von sechs Private-Markets-Deals, dass es sich dabei sämtlich um „Covenant-heavy“-Transaktionen gehandelt habe. Die Gläubiger konnten also Kreditklauseln (covenants) in ihrem Sinne durchsetzen, was am europäischen oder US-Markt nicht mehr so einfach geht. Denn dort geben mittlerweile die Schuldner den Ton an. Zudem lag der Beleihungsgrad der Sicherheiten bei maximal 44%.
Ninety One geht davon aus, dass der Dollar schwächer wird. Haushaltsdefizite, hohe Assetpreise und eine Politik, die einen schwächeren Dollar favorisiert, dürften dafür sorgen. Natürlich gibt es auch Risiken: Ein starkes reflationäres Umfeld in den USA gehört dazu, sagt Webster.
Risiko USA
Sollte sich die Inflation dort nicht abkühlen und die Wirtschaft sehr robust bleiben, könnte die Federal Reserve darüber nachdenken, nicht nur die Zinsen langsamer zu senken, sondern im nächsten Jahr den Leitzins zu erhöhen. „Und wir wissen, dass es kein gutes Umfeld für die Emerging Markets ist, wenn die USA sehr stark sind und der Rest der Welt schwach.“
Noch läuft es: Der Index für EM-Schuldentitel in Lokalwährungen erreichte in den vergangenen Wochen einen neuen Höchststand. Das gab es zuletzt 2013.
Für den Assetmanager Ninety One ist klar: Die Integration des Nahen Ostens wird das große Thema, so wie einst die Inklusion Asiens. Bemerkenswert ist, dass sich die Fundamentaldaten der Schwellenländer stark verbessert haben. Sie weisen in aggregierter Betrachtung mittlerweile einen Leistungsbilanzüberschuss auf.
