"EZB nimmt die Abwertung wohlwollend zur Kenntnis"
Die Abwertung des Euro ist aus Sicht von Sonja Marten noch nicht abgeschlossen. Die Leiterin der Devisenanalyse der Frank- furter DZBank rechnet zum Jahresende mit einem Kurs von 98 US-Cent, wie sie im Interview der Börsen-Zeitung sagt. Dies entspräche einer weiteren Abwertung von mehr als 7% zum aktuellen Niveau.- Frau Marten, zahlreiche Notenbanken schwächen derzeit mittels Zinssenkungen oder quantitativer Lockerung ihre Währung. Stecken wir schon mitten im globalen Währungskrieg?Sonja Marten: Über das Thema Währungskrieg wird in der Tat viel diskutiert, ich würde davon aber nicht sprechen. Man muss mit dieser Begrifflichkeit vorsichtig umgehen. Der sogenannte Abwertungswettlauf ist schließlich ein Kreisverkehr, in dem immer einer hängen bleibt. Derzeit ist das der US-Dollar. Generell stellt sich die Frage: Wer könnte Interesse daran haben, an seiner Währung herumzuschrauben? Es gibt einige Währungen, die wie der US-Dollar oder auch Sterling überbewertet sind, die allerdings auch fundamental betrachtet vergleichsweise robust aussehen. Wenn eine Währung aus fundamentaler Sicht gut dasteht, kann die Notenbank schwerlich dagegen angehen. Gleichzeitig gibt es Währungen, die schon unterbewertet sind und bei denen keine Notwendigkeit für die Zentralbank besteht, aktiv zu werden. Man sieht das gut an der schwedischen Krone: Sie ist ohnehin schon eher unterbewertet, die Riksbank wird es wohl kaum darauf anlegen, ihre Währung noch weiter abzuschwächen. Schweden steckte ja auch schon vor dem Beginn des Ölpreisverfalls in der Deflation.- Die Angst vor einer Deflation, also einer Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und sinkender Nachfrage, wird von Notenbanken wie der Europäischen Zentralbank als Begründung für ihre unkonventionelle Geldpolitik angeführt. Kann diese wirksam sein?Natürlich geht es für eine Notenbank irgendwann darum, die Inflationserwartungen zu stabilisieren. Eine Deflation ist aber nur dann etwas Schlimmes, wenn Konsumausgaben verschoben werden, weil die Verbraucher mit weiter fallenden Preisen rechnen. Der Ölpreis hat in den vergangenen Monaten natürlich eine sehr zentrale Rolle gespielt, weshalb man sich schon die Frage stellen muss, ob eine stark expansive Geldpolitik in dieses Umfeld passt oder ob die Inflationsentwicklung nicht außerhalb der Kontrolle der EZB liegt.- Die Konjunkturlage in der Eurozone hat sich zuletzt aufgehellt. Könnte die EZB ihr Anleihekaufprogramm deshalb auch früher beenden?Das Programm ist in beide Richtungen flexibel angelegt. Es könnte quasi unendlich weiterlaufen oder auch vorzeitig beendet werden. Die EZB wird aber sehr vorsichtig sein. Bevor sie nicht sicher ist, dass die Inflationserwartungen stabil und auf dem von ihr angestrebten Niveau sind, wird sie auch nicht über eine frühzeitige Beendigung nachdenken. In den ersten Wochen wird es für die EZB ohnehin darum gehen, dass sie ihre angekündigten Ziele beim Ankaufvolumen erreicht.- Haben die Käufe letztlich das Ziel, den ohnehin schon stark abgewerteten Euro weiter zu schwächen?Ich denke, die EZB nimmt die Abwertung wohlwollend zur Kenntnis. Die Währung ist ein Element, der Abwertungseffekt ist im Sinne der EZB, die die Inflationserwartungen stabilisieren will. Wir erwarten einen Euro-Kurs von 0,98 Dollar zum Jahresende.- Wie lange werden sich die USA den starken Dollar noch anschauen?In der Historie haben sich die USA meist nicht an einem starken Dollar gestört. Sie können als große Volkswirtschaft auch gelassen bleiben, auch wenn sie in den vergangenen Jahren vielleicht etwas anfälliger geworden sind, etwa wegen der Gewinne von US-Konzernen außerhalb der Vereinigten Staaten.- Dann könnte die Federal Reserve ja ohne große Bauchschmerzen die Leitzinsen erhöhen.Die ganze Welt schaut ja wie gebannt auf ein Wort: geduldig. Damit verbunden ist die Frage, ob es im nächsten Statement der Fed noch steht oder nicht und damit eine Zinserhöhung signalisiert wird oder nicht. Ich denke, Frau Yellen hat es nicht eilig, sie wird warten können. Die Wirtschaft läuft zwar gut, und auch die Löhne werden irgendwann steigen. Im Moment steht aber noch die niedrige Inflationsrate im Vordergrund. Der konjunkturelle Aufschwung ist aber auch irgendwann wieder vorbei, und die Fed muss darauf achten, das Zeitfenster für eine Zinserhöhung nicht zu verpassen. Eine Normalisierung der Geldpolitik ist auch nötig, damit sie wieder geldpolitisch in beide Richtungen agieren kann. Vom starken Dollar wird sich Yellen bei dieser Entscheidung wohl nicht beeinflussen lassen. In diesem Kontext erwarten wir den ersten Zinsschritt gegen Ende des Jahres.- Steht die Bank of England vor einem ähnlichen Problem?Oh, die Bank of England hat die Märkte 2013/2014 mit einer Achterbahnfahrt vom Feinsten verwirrt. Jetzt denken viele, dass gar nichts von ihr kommt. Es besteht meines Erachtens aber immer noch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die britische Notenbank die Zinsen schneller erhöht, als vom Markt momentan erwartet wird. Man darf nicht vergessen, dass sich zwischenzeitlich schon zwei Mitglieder im geldpolitischen Komitee für steigende Zinsen ausgesprochen hatten.- Wie hoch ist das politische Risiko vor den Wahlen Anfang Mai und damit für Pfund Sterling?Die Risiken werden noch ausgeblendet. Die größte Gefahr wäre ein Wahlausgang, bei dem zur Mehrheitsbildung die Ukip-Partei benötigt würde. Der Preis dafür könnte ein Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft schon im Jahr 2016 sein. Umgekehrt wäre das Referendum bei einer Koalition von Labour und der Schottischen Nationalpartei vom Tisch. Der Markt preist dies alles aber noch nicht ein, weil es einfach noch zu viele “Wenns” gibt.- Die Bank of Japan hat zwar den Yen mit massiven Anleihekäufen geschwächt, scheint aber bei der Erreichung ihres Inflationsziels von 2 % nicht voranzukommen. Woran hängt es?Das Problem der japanischen Geldpolitik besteht darin, dass sie nicht in der Realwirtschaft ankommt. Die Bank of Japan pumpt Geld ins System – und es passiert nichts. Das könnte übrigens auch der EZB drohen, weil es in Europa teilweise auch einen Mangel an Strukturreformen gibt. Der dritte Pfeil der Abenomics neben der expansiven Geld- und Fiskalpolitik, die angebotsorientierten Strukturreformen, wurde nie wirklich angegangen. Premierminister Shinzo Abe ist mit viel Elan gestartet und dann an den veralteten Strukturen in Japan gescheitert.- Was bedeutet das für den Yen?Der Yen handelt schon seit längerem kaum auf Daten aus Japan. Vielmehr weist er eine hohe negative Korrelation zu den globalen Aktienmärkten auf wegen seiner Rolle als Finanzierungswährung beziehungsweise sicherer Hafen.- Wie lange wird der Yen diese Rolle noch spielen können angesichts einer japanischen Staatsverschuldung von rund 250 % der Wirtschaftsleistung?Das hängt stark von der demografischen Entwicklung ab. Über 90 % der japanischen Staatsanleihen, JGB, befinden sich derzeit in Händen heimischer Investoren, vor allem Pensionsfonds sind stark investiert. Dazu kommen die Käufe der BoJ, die so aggressiv im Markt auftritt, dass der Handel in JGB im vergangenen Jahr mehrfach ausgesetzt werden musste. Solange es noch Käufer und Nachfrage gibt, muss man sich keine Gedanken über die Staatsfinanzierung machen. Aber es ist kein gesundes System, auch wenn es schon eine Weile funktioniert.- Wird mit dem Aufstieg Chinas auch die Landeswährung Renminbi am globalen Devisenmarkt weiter an Gewicht gewinnen?In den vergangenen Jahren haben wir große Fortschritte gesehen, China hat viel getan. Die Entwicklung wird in dem Tempo vorangehen, in dem China es möchte. Es ist noch reichlich Luft vorhanden, gemessen an der globalen Bedeutung der chinesischen Volkswirtschaft. Derzeit ist der Markt aber noch nicht transparent genug, auch weil nicht genügend Assets für Investitionen in Renminbi zur Verfügung stehen.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.