Pim van Vliet

„Faktor­investments führen zu besseren Ergebnissen“

Für Anleger sind es aktuell wegen hoher Inflation und Rezessionsgefahren schwierige Zeiten. Im Interview der Börsen-Zeitung zeigt sich Pim van Vliet, Fondsmanager bei Robeco, davon überzeugt, dass Faktorinvestments am Aktienmarkt gegenwärtig zu besseren Ergebnissen führen.

„Faktor­investments führen zu besseren Ergebnissen“

Dieter Kuckelkorn.

Herr van Vliet, Sie haben eine umfassende und sehr langfristige wissenschaftliche Studie zu Aktien und Faktorinvestments in Zeiten hoher Inflation durchgeführt, was zweifellos ein derzeit äußerst aktuelles Thema darstellt. Was sind die Hauptergebnisse Ihrer Studie?

Nun, wir haben uns Daten über nicht weniger als 145 Jahre angesehen und sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass traditionelle Anlagestrategien sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen in Zeiten hoher Inflation zu schlechten Ergebnissen führen. Wir haben dann untersucht, wie sich die Ergebnisse ändern, wenn bestimmte Faktorinvestment-Strategien eingesetzt werden wie Value und Low Risk bei Vermeidung hoch bewerteter Assets. Das bislang einzigartige an dieser Studie ist, dass derartige Faktor-Strategien an Marktdaten über einen sehr langen Zeitraum getestet worden sind.

Wie schlagen sich Faktorinvestments über einen so langen Zeitraum?

Die gute Nachricht ist, dass diese über den Zeitraum hinweg zu deutlich besseren Ergebnissen geführt haben als herkömmliche Ansätze, dass sich also Faktor-Strategien in Zeiten hoher Inflation bewähren. Sie führen zu zusätzlichen Erträgen, die in derartigen Phasen auch dringend benötigt werden. Durch das Hinzufügen von Faktoren wie Value kommt man also über den gesamten Investmentzyklus hin zu höheren Renditen.

Gilt das über den gesamten betrachteten Zeitraum hinweg?

Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich mit den betrachteten Strategien über 60 bis 70% der betrachteten Zeit höhere Renditen erzielen lassen, wobei alles über 50% statistisch relevant ist. Faktor-Strategien sind also nicht zu jedem Zeitpunkt überlegen, daher ist es ja auch insbesondere für private Investoren so herausfordernd, konsistent bei derartigen Strategien zu bleiben. Sie führen zwar meistens zu besseren Ergebnissen, aber eben nicht immer. Dies kann insbesondere bei privaten Anlegern zu Zweifeln führen trotz der langfristigen Überlegenheit der Strategien, wir haben also bei deren Anwendung ein Behavioral-Problem. Man ist oft der größte eigene Feind beim Investieren.

Also raten Sie dazu, unbedingt bei der gewählten Faktor-Strategie zu bleiben?

Ja, genau. Dies gilt einerseits für Aktieninvestments generell, die in sechs von acht Jahren positive Renditen erzielen, und andererseits insbesondere für Faktoranlagestile. Man sollte langfristig strategisch investieren über den gesamten Zyklus hinweg.

Welche Faktoren haben sich dabei als besonders erfolgreich erwiesen?

Die drei wichtigsten Faktoren sind Value, Low Risk und Momentum. Quality haben wir als Faktor ebenfalls hinzugefügt, wobei es allerdings schwieriger ist, für die Untersuchung geeignete Daten über den gesamten betrachteten Zeitraum zu finden.

Sind diese Strategien hauptsächlich in Zeiten hoher Inflation überlegen oder ist dies über den gesamten Zeitraum der Fall?

Die Überlegenheit dieser Strategien lässt sich für alles beobachten, was man als schwierige Zeiten für Anleger definieren kann. Wir haben uns in der Studie nicht nur Zeiten hoher Inflation angesehen, sondern auch Rezessionen sowie natürlich auch die Kombination von Inflation und Rezession, also die Stagflation. Die Situation in einer Stagflation ist für die Renditen aus der Anlage in Aktien und Anleihen noch einmal deutlich schlimmer. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass sich auch in derartigen Zeitabschnitten mit dem Investment in den genannten Faktoren höhere Renditen erzielen lassen. Dies ist ein wichtiges Ergebnis, weil es darauf hindeutet, dass diese Prämien nicht so sehr eine Kompensation für klassische Risiken sind, sondern eine Prämie, die aus menschlichem Verhalten entsteht. Ein Behavioral-Problem ist gleichzeitig eine Chance für Investoren. Das ist nicht nur akademisch von Bedeutung, sondern auch in aktueller Lage von hoher Relevanz.

Inwiefern?

Wir kommen aus einem der besten Jahrzehnte für die Kapitalanlage insgesamt, mit hohem Gewinnwachstum und niedriger Inflation. Jetzt aber sehen wir uns Deglobalisierung, Knappheit und Problemen in den Lieferketten und antikapitalistischer Stimmung gegenüber. Das hohe Gewinnwachstum und vor allem der Anstieg der realen Gewinne kann sich nicht mehr so fortsetzen wie in der jüngsten Vergangenheit. Dies wiederum bedeutet, dass Investoren Risiko-Assets neu bewerten müssen. In diesem Umfeld treten unterbewertete und defensive Aktien besonders hervor, sie erscheinen den Anlegern als relativ gesehen besonders attraktiv.

Die gegenwärtige Situation lässt sich als ein perfekter Sturm bezeichnen, da wir eine ganze Reihe negativer Faktoren haben, die zusammenwirken. Wir haben eine deutliche Abbremsung der Konjunkturen, gleichzeitig aber Notenbanken, die weiter auf die Bremse treten müssen und wir haben zahlreiche geopolitische Konflikte hin bis zu einem offenen Krieg in Europa.

Aktuell haben wir zwar andererseits noch einen fiskalischen Stimulus. Die Frage ist jedoch, wie lange die Regierungen dies durchhalten können, wenn die Rezession die Volkswirtschaften in einigen Monaten hart trifft, was die staatlichen Einnahmen reduziert, und gleichzeitig die Zinsen hoch sind, was die Verschuldung stark verteuert.

Gleichwohl müssen die Anleger investieren, die Mittel lassen sich angesichts der Inflation nicht in Cash parken. Eine klassische Anlage für Zeiten der Rezession sind Staatsanleihen, aber wegen der Inflation und vor allem der sich stark verschlechternden fiskalischen Position der Staaten ist das momentan alles andere als eine gute Lösung.

Zusätzlich gibt es noch das Problem der stark gestiegenen Geldversorgung, was zu einem kräftigen Wachstum der Liquidität an den Märkten geführt hat. Nun haben die Notenbanken jedoch die Kehrtwende vollzogen. Man muss sich fragen, welche Auswirkungen das auf die Asset-Preise hat. Wir werden also deflationäre Effekte bei den Asset-Preisen sehen. Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir Inflation bei den Asset-Preisen, aber nicht beispielsweise bei den Verbraucherpreisen. Nun jedoch haben wir Deflation bei den Asset-Preisen und Inflation bei den Verbraucherpreisen. Das Ende der umfangreichen Versorgung der Märkte mit Liquidität durch die Notenbanken kann die Preise sowohl von Aktien als auch von Anleihen weiter nach unten treiben. Die Konsumenten werden ihre Ersparnisse abbauen müssen, um über die Runden zu kommen, wodurch die Versorgung mit Liquidität zurückgeht. Es kann sogar sein, dass die Notenbanken wieder Monetary Easing betreiben müssen.

Wie sollten sich Anleger in der aktuellen Lage positionieren?

Grundsätzlich geht es immer einerseits um den Schutz und andererseits um das Wachstum des angelegten Kapitals. Bisher spielte der Schutz des angelegten Kapitals eine untergeordnete Rolle, weil die Notenbanken immer eingesprungen sind, wenn es schwierig wurde. Nun jedoch können die Notenbanken nur noch dann eingreifen, wenn die Lage wirklich sehr ernst ist. In zwei bis vier Jahren werden die Notenbanken sicherlich wieder umschwenken auf einen expansiven Kurs, bis dahin muss aber zunächst die Inflation zurückgehen. In dieser Zeit sind die Anleger quasi auf sich selbst gestellt. Jeder Anleger muss sich daher über die von ihm eingegangenen Risiken selbst im Klaren sein, diese Aufgabe wird ihm nicht mehr von den Regierungen oder Zentralbanken abgenommen.

Wie lassen sich vor diesem Hintergrund die Ergebnisse der Studie in Anlagestrategien oder Anlageprodukte umsetzen?

Investments in Faktoren, die sich für die aktuelle Situation als erfolgversprechend herausgestellt haben, lassen sich auf mehreren Wegen realisieren. Investoren können es individuell versuchen. Ausgehend vom gesamten Aktienuniversum muss man die risikoreichen und teuren Aktien eliminieren. Dies ist zwar recht arbeitsintensiv, es lässt sich aber bewerkstelligen. Alternativ bieten sich ETFs an, die nach bestimmten Faktoren ausgerichtet sind. Diese haben jedoch den Nachteil, dass sie auf jeweils einen Faktor ausgerichtet sind und Anleger auf diese Weise nicht alle faktorbezogenen Regeln, die sie als sinnvoll erachten, gleichzeitig umsetzen können. Eine dritte Möglichkeit sind Investmentfonds, hier bieten sich aktiv gemanagte defensiv ausgerichtete Multifaktorfonds an, die mehrere der Faktoren gleichzeitig verfolgen.

Glauben sie, dass hinsichtlich des Investment-Ansatzes, den Sie vorschlagen, aktiv gemanagte Fonds Vorteile gegenüber ETFs haben?

Es gibt zwei Arten von ETFs. Einerseits gibt es passive ETFs, die einen Gesamtmarkt abbilden. Diese kommen hier nicht in Frage. Ferner haben wir Faktor-ETFs, beispielsweise Low-Volatility-ETFs. Diese ETFs haben allerdings das Problem, dass sie hoch transparent sind. Dieses Problem wird schwergewichtiger, je größer der ETF ist. Die ETFs geben ihre Transaktionen quasi bekannt, womit sie sich Arbitrage aussetzen. Außerdem, wie erwähnt, handelt es sich in der Regel um ETFs, die nur einen Faktor betrachten. So können beispielsweise defensive Aktien zu teuer sein und es wäre klug, sich auf die niedriger bewerteten, defensiven Aktien konzentrieren zu können. Auf der anderen Seite kann natürlich Transparenz auch ein Vorteil sein. Ein anderer Vorteil von ETFs ist die Liquidität, man kann zu jedem Zeitpunkt in den ETF einsteigen, wenngleich der Spread signifikant sein kann. Faktor-ETFs sind aber durchaus ein geeignetes Investment, in den nächsten Jahren sind sie weitaus sinnvoller als marktbreite ETFs.

Sie managen einen Fonds mit dem von Ihnen beschriebenen Ansatz. Wie hat sich dessen Performance über die Jahre entwickelt?

Wir haben den Fonds 2006 aufgelegt. Die Finanzkrise des Jahres 2008 hat die Funktionsfähigkeit unseres Konzepts bewiesen, im Jahr 2008 hatten wir eine sehr gute Performance. 2009 blieb unsere Performance hingegen zurück. 2010 ging der Markt wieder nach unten, wir verzeichneten aber wieder eine positive Rendite. Von 2011 bis 2016 hatten wir fünf Jahre mit großen Mittelzuflüssen und auch die Rendite entwickelte sich positiv. Von 2016 bis 2022 dominierte allerdings der amerikanische Technologiesektor alles. Wir verzeichneten zwar auch positive Renditen, die allerdings hinter denjenigen beispielsweise von Technologiefonds deutlich zurückblieben. Danach nahm jedoch das Risikobewusstsein der Anleger wieder deutlich zu. Aktuell ist die Rendite des Fonds sehr gut, es handelt sich um das beste oder zweitbeste Jahr seit der Gründung – mit Blick auf diese Frage wird es auf die nächsten Wochen ankommen. Derzeit erleben wir nämlich, dass die langweiligen Aktien, die wir im Portfolio haben, deutlich größeres Interesse finden. Das zieht auch neue Mittel für den Fonds an. Aktuell kommen wir auf eine positive Rendite in der Größenordnung von 3%, während viele andere Investmentfonds Verluste von 20 oder 30% zu verkraften haben.

Welche Lehren ziehen Sie aus den Jahren 2016 bis 2021, als es für risikoreichere Investments besser lief als für defensive Anlagestrategien?

Ein Ansatz, wie wir ihn verfolgen, ist im Grunde sehr einfach. Er hat sich auch über viele Jahrzehnte bewährt. Er ist aber schwierig umzusetzen, wenn das Umfeld beispielsweise von einer Technologierally geprägt wird. Es ist also auch ein Problem der Selbstdisziplin. Man kämpft zuweilen mit sich selbst.

Wenn ein aktiv gemanagter Fonds wächst, wird seine Größe manchmal zum Problem, beispielsweise bei Stock-Picker-Fonds. Bei Ihrem Fonds ist das nicht der Fall?

Nein, wir sind sehr breit aufgestellt und investieren in globale Aktien großer Unternehmen mit ausreichender Liquidität. Für uns sind das im Moment gute Zeiten. Unser Fonds ist in dieser Hinsicht antizyklisch.

Investieren Sie auch in Bonds?

Nein, wir investieren ausschließlich in Aktien. Allerdings ließe sich unser Konzept genauso gut mit Fonds realisieren, die auf Anleihen spezialisiert sind. Bei Robeco investieren wir systematisch in Staats- und Unternehmensanleihen mit Hilfe von Faktoren. Und in der von uns veröffentlichten Studie sind wir auch auf Anleihen eingegangen.

Welchen Ansatz verfolgen Sie bei der Aktienauswahl?

Wir haben einen Bottom-up-Ansatz bei der Auswahl der Aktien. Es tritt aber ein Top-down-Ansatz hinsichtlich der Risikolimits hinzu, damit beispielsweise nicht die gesamten Mittel in wenige Sektoren investiert werden.

Ist Unternehmensgröße ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Aktien? Müssen Unternehmen eine gewisse Größe erreicht haben, um krisenfest zu sein?

Da wir ein großer Fonds sind, haben wir eine Mindestgröße hinsichtlich der Liquidität. Unternehmen müssen mindestens eine Marktkapitalisierung von 1 Mrd. Euro aufweisen, damit wir in sie investieren können. Unternehmensgröße kann ein Faktor sein, der zu einer besseren Rendite führt, darüber wird in der Wissenschaft aber noch gestritten. Denn gerade in einer Zeit der Deglobalisierung gibt es „local winners“, die durchaus klein sein können. Diese sind oft weniger anfällig für globale Trends. In unserem Fonds haben wir ein Übergewicht von Aktien kleinerer Unternehmen, weil diese in der Bottom-up-Analyse oft attraktiver sind.

Wie handhaben Sie die Analyse der Einzeltitel? Wie analysieren Sie, ob es sich um Aktien mit niedrigem Risiko handelt?

Nun, akademisch gesehen ist das ganz einfach. Man betrachtet einfach, ob das Beta über oder unter 1 liegt oder ob die Volatilität größer oder kleiner ist als der Marktdurchschnitt. Wenn man den Ansatz als Individualinvestor selbst umsetzen will, wendet man derartige einfache Regeln an, das funktioniert durchaus. Mit einem großen Fonds können wir hingegen wesentlich differenzierter vorgehen. Wir betrachten mehrere Dimensionen des Risikos, die an den Daten der Vergangenheit überprüft worden sind. Dieser Ansatz ist natürlich proprietär, das heißt, wir veröffentlichen keine Details dazu.

Das bedeutet, Sie nehmen keine Fundamentalanalysen der Unternehmen vor und befragen nicht das Management der Unternehmen, in die Sie investieren?

Man könnte durchaus so vorgehen, es gibt Fondsmanager, die in dieser Hinsicht wirklich gut sind. Wir gehen allerdings rein regelbasiert vor. Wir versuchen nicht, zukünftige Risiken im Dialog mit dem Management zu erfassen, sondern wir schauen auf Marktrisiken und Credit Spreads, die sich als gute Indikatoren erwiesen haben, während das Beta ein eher rückwärts gewandter Indikator ist. Wir sehen es als wichtig an, dass wir in unserem Modell auch nach vorne gerichtete Indikatoren haben. Das Ganze erfordert natürlich eine entsprechende quantitative Infrastruktur. Individualinvestoren können es aber in vereinfachter Form auch selbst tun, was insofern interessant sein kann, wenn man bedenkt, dass einige Private Wealth Manager Gebühren von 2% in Rechnung stellen.

Wie gehen Sie eigentlich im Fall akuter Krisen vor? Bleiben Sie investiert oder steigen Sie zeitweilig aus?

Wir haben unseren Kunden mitgeteilt, dass wir investiert bleiben. Wir gehen strikt nach unseren Modellen vor, die allerdings marktdatenbezogen sind und insofern auf Marktgeschehen und damit auf die Reaktionen der Marktteilnehmer reagieren. Damit sind schnelle Reaktionen nicht ausgeschlossen. Das ist der Vorteil eines strikt quantitativen Investmentansatzes.

Das Interview führte

BZ+
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