IM INTERVIEW: JEREMY BAKER

"Gold-Abflüsse haben erst begonnen"

Vontobel-Analyst hält weitere Preisrückgänge bei dem Edelmetall für wahrscheinlich

"Gold-Abflüsse haben erst begonnen"

Der Goldpreis ist in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten, wobei unklar ist, ob sich die Korrektur noch fortsetzt. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Jeremy Baker, Senior Commodity Analyst bei der Vontobel-Tochter Harcourt Investment Consulting, warum die Gefahr weiterer Verluste für Investoren noch nicht vorüber ist. – Herr Baker, rechnen Sie damit, dass sich die aktuelle Korrektur des Goldpreises weiter fortsetzt? Bis wohin könnte der Goldpreis in den kommenden Wochen und Monaten noch fallen?Meiner Meinung nach kann sich die Korrektur durchaus noch fortsetzen. Es ist natürlich schwierig, ein Niveau zu definieren, bis zu dem der Goldpreis noch sinken könnte. Wir hatten nun für mehr als ein Jahr ein Niveau um 1450 Dollar je Feinunze, das jedoch nicht verteidigt werden konnte. Für die Frage, wie weit es noch nach unten gehen kann, sind auch Faktoren wie das Verhalten der Retail-Investoren von großer Bedeutung. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass der Preis mittelfristig noch bis 1250 oder sogar 1200 Dollar nachgeben könnte.Kurzfristig allerdings ist eine Erholung nach den starken Verlusten, die wir gesehen haben, durchaus notwendig. Insofern würde es mich nicht wundern, wenn der Preis wieder bis auf ungefähr 1500 Dollar steigt. Der generelle längerfristige Trend weist aber gleichwohl nach unten.- Was sind die Ursachen für die Preisrückgänge? Gibt es einen generellen Rückzug oder sogar eine Flucht der institutionellen Investoren aus Gold beziehungsweise dem Rohstoffsektor generell?Ich glaube nicht, dass es eine Flucht institutioneller Investoren aus dem Rohstoffsektor gibt. Allerdings ist diese Investorengruppe dabei, ihre Einstellung zu Gold zu reevaluieren. Dabei geht es um die Erwartungen, die diese Investoren hinsichtlich der Entwicklung der Inflation hatten. Gold-Investments sind in einem Umfeld steigender oder hoher Geldentwertung von Bedeutung. Allerdings werden diese Perspektiven zunehmend irrelevant, weil Inflation zumindest auf kürzere Sicht nicht zu einem Problem werden dürfte. Außerdem geht es um die Opportunitätskosten des Gold-Investments, weil in anderen Asset-Klassen die Renditechancen deutlich besser sind. Diese Faktoren haben dafür gesorgt, dass Institutionelle Mittel aus Gold in andere Asset-Klassen umgeschichtet haben. So haben sich Aktien im vergangenen Jahr gut entwickelt, wenngleich 2013 die Kursniveaus wieder gesunken sind. Institutionelle Investoren sind ein wenig langsamer als andere Anleger, was Anpassungen der Allokation ihrer Mittel betrifft. Insofern würde es mich nicht wundern, wenn Institutionelle in den kommenden Wochen und Monaten noch etwas pessimistischer gegenüber Gold werden. Dies hätte vor allem mittelfristig deutliche Auswirkungen auf den Goldpreis.- Wie verhalten sich die in Gold investierten Privatanleger?Kurzfristig kommt es sehr auf das Verhalten der Privatanleger an. Daher betrachten wir derzeit intensiv die Abflüsse aus den amerikanischen Gold-ETF. In den vergangenen zehn Tagen hatten wir ebenfalls signifikante Abflüsse aus diesem Bereich. Diese Entwicklung wird sich kurzfristig wohl noch fortsetzen, bis dann in einigen Monaten auch die Institutionellen Mittel abziehen.- Bedeutet dies, dass die Mittelabzüge aus Gold-Investments gerade erst begonnen haben?Ja, die Gold-Abflüsse haben wohl erst begonnen. Wenn wir uns die kurzfristigen Daten ansehen, haben wir den Eindruck, dass es bereits umfangreiche Abflüsse gegeben hat. Wenn wir uns jedoch auf die langfristigen Daten konzentrieren, sehen wir, dass die Abflüsse der Gold-ETF noch gering sind. Wenn das gegenwärtige Momentum insbesondere bei Retail-Investoren anhält, dann werden wir signifikante Mittelabzüge durch Privatanleger sehen.- Wo wäre denn die Untergrenze für den Preisrückgang bei Gold anzusetzen?Angesichts der Volatilität bei Rohstoff-Investments können die kurzfristigen Preisbewegungen nach unten recht groß ausfallen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Grenzkosten der Goldproduktion. Allerdings gibt es kaum harte Informationen, wo genau diese Grenzkosten bei den Anbietern liegen. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass diese Grenzkosten zwischen 800 Dollar und 1100 bis 1200 Dollar je Feinunze liegen. Damit wären also noch deutliche Korrekturen beim Goldpreis möglich. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass die meisten europäischen Anleger Gold treu bleiben. Zudem belebt sich der asiatische Markt wieder. In Schanghai sind die Handelsvolumina wieder deutlich gestiegen. Es gab zudem in den vergangenen Tagen eine lebhafte Nachfrage aus Indien.- Um einen positiveren Aspekt zu beleuchten: Wie wird sich die physische Nachfrage entwickeln?Die physische Nachfrage wirkt derzeit preisstützend. Die Frage ist nur, wie sehr diese Nachfrage zu stützen vermag. Wenn es weiter Abflüsse aus dem enorm großen Bereich der Retail-Investoren gibt, dann dürften die Preise weiter zurückgehen. Es müsste schon eine sehr deutliche Nachfragebelebung geben, um das auszugleichen. Davon ist momentan kaum etwas zu sehen.- Am Freitag und am Montag hat es Aufregung wegen der Daten der US-Terminbörsenaufsicht CFTC gegeben, bei denen von dem erwarteten starken Rückgang der Long-Positionen bei Gold nichts zu sehen war. Geben Daten dieser Art überhaupt einen guten Überblick, wenn es um die Frage des Rückzugs der Investoren geht?Es sich sicherlich wichtig, den Markt für Gold-Kontrakte an den US-Terminbörsen zu beobachten, weil dieser Indikationen hinsichtlich der Marktentwicklung gibt. Man muss den Terminmarkt aber in Relation zum sehr viel größeren ETF-Markt sehen. Die Nachfrage nach Gold-ETF ist daher der sehr viel bedeutendere Faktor. Zudem spiegeln die CFTC-Daten mehr das Verhalten institutioneller Investoren und weniger das der Privatanleger wider.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.