Jan Ehrhardt

„Inflation ist langfristig nicht das Hauptrisiko“

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von DJE Kapital, Jan Ehrhardt, setzt weiterhin auf Aktien. Die größte Gefahr für die Märkte sieht Ehrhardt in der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas.

„Inflation ist langfristig nicht das Hauptrisiko“

Wolf Brandes.

Herr Ehrhardt, wie schätzen Sie die künftige Geldpolitik in Europa und in den USA ein?

Das ist die Kernfrage für die Märkte. Entscheidend ist die weitere Entwicklung der Inflation. Denn davon hängt ab, wie viel Zeit den Notenbanken für ihre Maßnahmen bleibt. Die letzte Zahl aus den USA mit 6,2% für Oktober war natürlich eine Hausnummer. Bemerkenswert ist, dass in den USA die Ursachen für den enormen Preisanstieg breit gefächert sind. Daher dürfte die Fed auch früher reagieren als die EZB.

In der Eurozone ist die Teuerung auf mehr als 4% hochgeschnellt. Ist das ein Grund stillzuhalten?

Der Unterschied besteht darin, dass in Europa die Inflation von 4% zur Hälfte der Preissteigerung im Energiebereich geschuldet ist. In den USA spielen die Immobilienpreise und Mieten bei der Inflation zusätzlich eine erhebliche Rolle. Hinzu kommt dort auch das Thema der Arbeitskräfte und der möglichen Lohnsteigerungen, da die Engpässe in den USA in vielen Sektoren noch größer sind.

Sprechen wir von einer dauerhaften Inflation in den USA und einer transitorischen in Europa?

Das muss man differenzierter sehen. Ein Großteil der Inflation in den USA und Europa ist vorübergehend, aber eben nicht alles. Natürlich wird der Ölpreis nicht im gleichen Maße weiter steigen, sondern sich voraussichtlich auf leicht tieferem Niveau einpendeln. Bei den Strompreisen sieht es schon anders aus, denn dort wird für ein bis zwei Jahre im Voraus eingekauft. Das ist einer der Gründe, warum die ­Inflation in Europa so schnell nicht wieder unter die 2% fallen wird. Es dauert lange, bis sich Preis­steigerungen durch die Wertschöpfungskette fortsetzen. In Europa wird sich der Wert auf unter 3% einpendeln.

Eine sich beschleunigende Inflation befürchten Sie nicht, oder?

Nein, es braucht zwar, bis beispielsweise Tarifsteigerungen eingepreist werden, aber das hat keine so starken Effekte. Die Inflation wird in diesem Jahr in Europa und in den USA ihren Höhepunkt erreicht haben. In den USA wird die Notenbank gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen. Wir rechnen mit ein bis zwei Zinsschritten 2022 und könnten uns einen Anstieg des US-Leitzinses auf 1% vorstellen. Die EZB wird die Zinsen so schnell nicht erhöhen, so dass wir in Europa weit entfernt von einem höheren Leitzins bleiben. Das bedeutet, dass es für die Wirtschaft und die Märkte keinen Gegenwind von der Geldpolitik geben wird.

Zinsen für zehnjährige deutsche und US-Staatsanleihen waren im ersten Quartal gestiegen und sind dann zurückgekommen. Was erwarten Sie im nächsten Jahr?

Es ist erstaunlich, dass die zehnjährigen US-Zinsen auf die Inflationszahl von 6,2% kaum reagiert haben. Das zeigt, dass die Märkte nicht von einer längerfristig hohen Inflationsrate ausgehen. Einen Crash am Bondmarkt erwarten wir ohnehin nicht, allenfalls leicht steigende Renditen. Das führt aber dazu, dass wir uns bei Anleihen etwas abgesichert und die Duration von drei auf zwei Jahre verkürzt haben. Wir gehen davon aus, dass wir bei den US-Staatsanleihen in Richtung 2,5% gehen. Für ein höheres Zinsniveau ist die internationale Verschuldung zu hoch.

Werden Zinssteigerungen die Märkte verunsichern?

Nein, darauf achten die Notenbanken. Es wird sehr genau und sehr viel kommuniziert, die meisten Notenbanken werden vorsichtig agieren. Allerdings könnte es Staaten, insbesondere Schwellenländer, geben, die gezwungen sind, wegen des starken Dollars ihre Zinsen stärker zu erhöhen.

Brasilien, Russland und Länder in Osteuropa haben ihre Leitzinsen schon erhöht. Wird das für diese Märkte problematisch?

Schwer zu sagen, es hängt vieles vom Dollar ab, und Währungen sind ganz schwer zu prognostizieren. Für Europa kann man sagen, dass die EZB einen leicht niedrigeren Euro akzeptiert, um die Wirtschaft zu stützen.

Macht Ihnen die Verschuldung Sorgen?

Staatsverschuldung macht mir keine Sorgen, problematischer ist es dagegen bei den Unternehmen und den Konsumenten. Um die Staaten muss man sich bei Zinsen von 0 oder 1% keine Gedanken machen. Dass eine ausufernde Unternehmensverschuldung aber eine Gefahr werden kann, zeigt das Beispiel der Immobilienunternehmen in China. Wenn Unternehmen am Kapitalmarkt sich für 7 oder 8% oder noch viel mehr finanzieren müssen, dann ist das nicht von Dauer. Zwar ist das nicht zu vergleichen mit der Lehman-Krise, weil die Staatsbanken im Zweifel bereitstehen. Aber auf Dauer kann die Immobilienkrise in China ein Problem werden, weil das Wirtschaftswachstum in China schwächer ausfällt.

Welche Rückwirkungen hätte das auf die Märkte?

Als Maß für das China-Problem muss man auf die Anleihekurse der Firmen schauen, deren starker Preisrückgang ein ernstes Warnsignal ist. Ein weiteres negatives Indiz ist, dass die Immobilienentwickler kaum noch neues Land kaufen. Wir haben 60% Rückgang mengenmäßig in Quadratmetern bei den 300 größten Städten in China, das gab es zuletzt 2014 und 2015. Gepaart mit einer mittelfristig möglichen Abwertung des Yuan führte das damals zu erheblichen Kursverlusten an den europäischen und amerikanischen Börsen.

Wie groß ist das China-Risiko für die Märkte?

Die Inflation ist langfristig nicht das Hauptrisiko, sondern die politische und wirtschaftliche Entwicklung in China. Neben den Problemen im Immobiliensektor muss man sagen, dass der Staat nicht genug stimuliert. Derzeit ist mir das Risiko, in China stärker zu investieren, zu groß.

In Ihren Portfolios sind Sie überwiegend in Europa engagiert und haben gemessen am MSCI World die USA untergewichtet. Warum?

Entscheidend für unsere Allokation ist, dass die Unternehmen im Durchschnitt günstiger sind als der Gesamtmarkt. Das spricht eher für Europa. Wir messen das an verschiedenen Bewertungskennzahlen wie KGV, Kurs-Cash-flow und Dividendenrendite. Im Schnitt liegen wir 30% unter der Bewertung des MSCI World. Ein Grund dafür ist, dass wir bei sehr teuren US-Unternehmen sehr vorsichtig sind, selbst wenn die ein großes Gewicht im Index haben.

Warum machen Sie bei Amazon eine Ausnahme, die nicht mal eine Dividende zahlen?

Der Fonds heißt DJE Dividende & Substanz und nicht nur DJE Dividende. Unbestritten hat Amazon eine große Substanz, denn es ist kein reiner Marktplatz, sondern hat beispielsweise eine eigene Logistik und das Cloud-Geschäft. Das Modell ist so leicht nicht mehr zu kopieren. Die Bewertung des Umsatzes mit dem 4-Fachen und des operativen Gewinns mit dem 21-Fachen sind sehr gute Werte. Außerdem befürchten wir bei Amazon trotz der Marktmacht keine Eingriffe der Regulierer, anders als bei anderen großen Tech-Werten. Amazon wird in der Form auch in fünf Jahren noch existieren. Den fehlenden Anteil bei der Dividendenrendite des Fonds müssen wir dann bei anderen Werten wieder hereinholen.

Wohl aber nicht bei ihrem größten Wert im Fonds. BlackRock weist zuletzt eine gesunkene Dividendenrendite auf.

Das stimmt, aber ich bin zuversichtlich, dass die wieder steigen wird. Der Rückgang ist durch eine gestiegene Marktbewertung zu erklären, das KGV ist von 17 auf 22 gestiegen. Bei US-Unternehmen kommen aber auch Aktienrückkäufe dazu. Aber sicherlich muss man bei einem solchen Wert aufpassen.

Sie sind in Deutschland mit 18% stark gewichtet, was man als Home-Bias bezeichnet. Einer Ihrer Favoriten ist Hannover Rück. Warum nicht andere Rückversicherer wie Munich Re?

Hannover Rück ist seit vielen Jahren unter unseren Top-Ten-Werten und hat immer eine hohe Dividende gezahlt. Außerdem sind sie bei Schäden nicht im gleichen Ausmaß betroffen. Verglichen mit den beiden anderen größeren Rückversicherungsunternehmen ist die Kostenstruktur günstiger. Daher ist die Hannover Rück schon eines unserer liebsten Versicherungsunternehmen.

Welche Einschätzung haben Sie zu Linde, ebenfalls ein Top Ten?

Die Firma arbeitet zum Teil in einem oligopolistischen Markt und kann über den Anlagenbereich etwa bei Wasserstoff die Kunden stark binden. Hinzu kommt ein bedeutendes Healthcare-Geschäft. In der Summe ein Unternehmen, das auch Wirtschaftsabschwünge verkraften kann.

Glauben Sie, dass die Coronakrise noch massiven Einfluss auf die Märkte haben wird?

Wir befinden uns in einer Phase mit hohen Infektionszahlen und geringen schweren Verläufen. Es ist zusätzlich davon auszugehen, dass weltweit viel mehr Menschen als bekannt die Infektion durchgemacht haben, weil die Dunkelziffer immer noch sehr hoch ist. Ich denke, dass wir die Belastungen für die Wirtschaft durch Corona hinter uns gelassen haben, die Märkte haben sich inzwischen auch daran gewöhnt. Spannend ist dagegen Asien. Von dort erwarte ich eher positive Effekte, wenn immer mehr Volkswirtschaften öffnen. Das betrifft zwar nicht China mit seiner Null-Covid-Politik, aber viele andere Länder.

Sie haben China als großen Risikofaktor genannt. Wie passt das zusammen?

Die anhaltende Schließung des Landes und die Krise in der chinesischen Immobilienwirtschaft kann zu kurzfristigem Rückgang der Märkte führen. Die Situation hat nicht das Potenzial dazu, dass die Märkte im nächsten Jahr insgesamt fallen. Gleichwohl fühle ich mich besonders wohl mit defensiven Aktien wie den Pharmafirmen Roche, Pfizer und Novo Nordisk. Trotz der positiven Aussichten für Aktien möchte ich derzeit ungern ganz große Risiken eingehen und werde ganz sicher nicht auf den Big-Tech-Trend in den USA aufspringen.

Das Interview führte

BZ+
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