Lockruf der A-Aktien
Mit einem Abstand von zehn Jahren zum Höhepunkt der globalen Finanzkrise ist festzustellen, dass sich die führenden Börsen in der westlichen Welt prima erholt haben und sich derzeit geradezu in Topform präsentieren. Der Shanghai Composite als Chinas wichtigstes Börsenbarometer aber steht in diesem Herbst in etwa auf dem Niveau wie zu Zeiten des Lehman-Debakels. Es scheint, als hätten zehn Jahre eines ungebrochenen, rapiden Wirtschaftswachstums auf Börsenebene kaum Eindruck hinterlassen. In diesem Jahr hat es besonders hereingeregnet. Der marktbreite Shanghai Composite und der Blue-Chip-Index CSI 300 liegen beide mit gut 15 % im Minus, weil sie von den Irrungen und Wirrungen des Handelsstreits zwischen China und den USA besonders heftig erfasst worden sind.Zwar kann man davon ausgehen, dass beide Volkswirtschaften von Handels- und Lieferketten-Verwerfungen und der Belastung durch gegenseitig verhängte Strafzölle negativ erfasst werden, aber ein Blick auf die relative Aktienperformance in beiden Märkten zeichnet ein völlig anderes Bild. Der S & P 500 Index an der Wall Street weist in diesem Kalenderjahr eine Outperformance von 29 Prozentpunkten gegenüber dem CSI 300 aus. Diese dramatische Entkoppelung lässt die Frage aufkommen, ob es beim Anlegersentiment an der Wall Street zu optimistisch und in Schanghai übertrieben pessimistisch zugeht.China mag mit seinem gewaltigen Handelsüberschuss gegenüber den USA von den Strafzöllen proportional stärker betroffen sein, andererseits aber ist der Anteil des US-Geschäfts an den Gesamtumsätzen der in China börsengehandelten Unternehmen mit gerade einmal 3 % extrem gering. Zudem sind Chinas Industriegewinne über das Jahr hinweg durchgehend zweistellig angestiegen, und die Prognosen für die Ertragsentwicklung chinesischer Blue Chips sind auch für das dritte Quartal und den weiteren Jahresverlauf extrem positiv.Mit der jüngsten Ausdehnung des von Strafzöllen erfassten Handelsvolumens könnte auch ein marktpsychologischer Knoten geplatzt sein. Das Gros der von US-Präsident Donald Trump generierten schlechten Nachrichten ist mittlerweile in den Kursen reflektiert. Mit dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober und einer danach folgenden einwöchigen Ferienperiode, in der Chinas Festlandbörsen geschlossen bleiben, ist nun erst einmal eine Verschnaufpause oder auch Reflexionszeit gegeben. Dem könnte nach Einschätzung von chinesischen Analysten eine durchaus imposante Herbstrally folgen, mit der Chinas Anleger die vom Handelsstreit provozierte Schockstarre wieder ablegen.Für positive Begleitmusik sorgen jüngst Ankündigungen der Indexanbieter MSCI und FTSE Russell. Sie wollen chinesische A-Aktien in ihren globalen Benchmarks künftig stärker reflektieren, beziehungsweise im Falle von FTSE Russell erstmals aufnehmen. Es winkt ein breiterer Zustrom an Anlagegeldern von ausländischen institutionellen Investoren, die sich auf festlandchinesische Blue Chips verteilen werden und ein stabilisierender Faktor sein können. MSCI hat mit der Bereitschaft zur Aufnahme von A-Aktien in die wichtigste Schwellenländer-Benchmark MSCI Emerging Marktes Index die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass passiv gemanagte Fondsgelder – der Indexanpassung folgend – zwangsläufig in A-Aktien angelegt werden. Damit schleicht sich China als langfristiger “Megatrend” stärker in die Köpfe der globalen Vermögensverwalter ein. Dies lockt zu weiteren Anlagen.Im bisherigen Jahresverlauf sind umgerechnet rund 33 Mrd. Euro an ausländischen Fondsgeldern über die Stock Connect genannte Hongkonger Anbindungsschiene in A-Aktien investiert worden. Davon gehen rund 21 Mrd. Euro direkt auf die im Juni und September wirksam gewordenen Indexanpassungen von MSCI zurück. Bezogen auf eine Marktkapitalisierung von über 5 Bill. Euro an Chinas Festlandbörsen mag eine solche Liquiditätszufuhr nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. Immerhin aber ist ein Stein ins Rollen gebracht worden.Mit der Entscheidung von FTSE Russell und einer anstehenden deutlichen Aufstockung der noch sehr geringen Gewichtung von A-Aktien in den MSCI-Benchmarks wird sich der Zustrom im kommenden Jahr vervielfachen. Für die vom Handelsstreit aufgescheuchten chinesischen Kleinanleger ist es in jedem Fall eine gute Nachricht, dass große institutionelle Investoren aus dem Ausland über den Handelsstreit hinwegsehen und Chinas Aktienmarkt mehr Vertrauen schenken. —–Von Norbert HellmannChinas Festland-Aktienmärkte sind wegen des Handelsstreits in eine Vertrauenskrise geschlittert. Für globale Investoren aber werden sie immer interessanter.—–