GASTBEITRAG

Zinsstrukturkurven-Inversion ist nicht alles

Börsen-Zeitung, 15.11.2018 Der Zusammenhang zwischen inversen Zinsstrukturkurven und Rezessionen findet besonders in den USA aktuell hohe Beachtung. Bei einer inversen Kurve sind die Renditen von langlaufenden US-Staatsanleihen niedriger als die von...

Zinsstrukturkurven-Inversion ist nicht alles

Der Zusammenhang zwischen inversen Zinsstrukturkurven und Rezessionen findet besonders in den USA aktuell hohe Beachtung. Bei einer inversen Kurve sind die Renditen von langlaufenden US-Staatsanleihen niedriger als die von kurzlaufenden. Als Investor würde man bei einer solchen Inversion wahrscheinlich Aktien zugunsten von Treasuries untergewichten. Schließlich hat der S&P 500 in Rezessionen seit 1929 im Schnitt 33 % verloren, und in Rezessionen gehen meist auch die Zinsen zurück.Aber so einfach ist es leider nicht. In den letzten 60 Jahren ist die Kurve zwar bis auf eine Ausnahme vor jeder Rezession invers geworden, aber manchmal hat es Jahre gedauert, bis die Wirtschaft tatsächlich zu schrumpfen begann. Beispielsweise fiel die Rendite zehnjähriger US-Treasuries Mitte 1998 unter die Rendite zweijähriger Titel. Aber erst zweieinhalb Jahre später fiel die US-Wirtschaft in die Rezession. Bis dahin ist der S&P 500 um über 40 % gestiegen. Auch die Technologieblase fiel in diese Zeit. Timing ein Problem Eines steht fest: Wer weiß, dass eine Rezession bevorsteht, weiß nicht unbedingt, wann sie tatsächlich eintritt. Wer beim Timing falsch liegt, kann viel Geld verlieren. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass die Kurve vor einer Rezession mehrmals invers werden kann, und zwischendurch wieder normal verläuft. Beispielsweise wurde die Kurve zwischen zwei und zehn Jahren vor der Rezession 1990 ein Jahr lang immer wieder invers. Auf welches der vielen Signale hätte man als Anleger reagieren sollen? Schwer zu sagen.Üblicherweise sind die Renditen länger laufender Anleihen (wie zehnjährige US-Treasury Notes) höher als die von Papieren mit kürzerer Laufzeit, weil die Investoren einen höheren Zins verlangen, wenn sie ihr Kapital länger anlegen. Zurzeit ist der Zinsabstand zwischen lang- und kurzlaufenden Treasuries aber recht eng. Wenn sich die Zinsstrukturkurve weiter so schnell verflacht wie zuletzt, wird die Rendite zehnjähriger Treasuries sehr bald niedriger sein als die von zweijährigen Titeln. Aber hat die Zinsstrukturkurve heute, nachdem die Zentralbanken einige Jahre außergewöhnlich stark interveniert haben, noch die gleiche Aussagekraft wie früher? Wir bezweifeln das.Warum werden Kurven flacher und manchmal sogar invers? Meist ist der Grund eine restriktive Geldpolitik der US Federal Reserve, weil sich höhere Leitzinsen auf Kurzläufer stärker auswirken als auf langlaufende Anleihen. In der Regel wird die Kurve gegen Ende eines Konjunkturzyklus flach oder invers, weil die Fed dann restriktiver wird. Und am Ende eines jeden Zyklus steht definitionsgemäß eine Rezession. Wer behauptet, dass die Inversion der Zinsstrukturkurve eine Rezession auslöst, macht aber vielleicht einen Denkfehler. Aus unserer Sicht besteht zwar ein Zusammenhang, aber nicht unbedingt eine Kausalität.Selbst wenn es früher eine solche Kausalität gab, sollten wir Goodharts Gesetz nicht vergessen: “Wenn ein Maß zum Ziel wird, ist es kein gutes Maß mehr.” Anders gesagt: Wenn die Marktteilnehmer, einschließlich der Fed, nur noch auf die Form der Zinsstruktur achten, ist sie möglicherweise als Indikator nicht mehr sinnvoll. Was diesmal anders istDer aktuelle Konjunkturzyklus ist einzigartig und völlig anders als alle anderen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Weniger erfahrenen Investoren sei erklärt, dass der aktuelle Zyklus vom Quantitative Easing der Fed bestimmt wurde, die damit ihre Bilanzsumme aufgebläht hat. Viele meinen, dass sich die Entwicklung der Zinsstrukturkurve durch den Anstieg der Bilanzsumme von 5 % des Bruttoinlandsprodukts vor der internationalen Finanzkrise auf bis zu 25 % im Jahr 2014 völlig verändert hat. Durch die enormen Wertpapierkäufe der Fed ist die Laufzeitprämie zurückgegangen. Die Anleger verlangen also eine niedrigere Zusatzrendite, wenn sie statt in Kurzläufer in langlaufende Anleihen investieren. Volkswirte der Fed schätzen, dass die langfristigen Zinsen bei einer geringeren Bilanzsumme heute 0,75 bis 1 Prozentpunkte höher sein könnten. Einige behaupten, dass die Kurve wegen der niedrigeren Laufzeitprämie infolge des Quantitative Easings erst bei einer Inversion um 50 bis 100 Basispunkte mit gleicher Sicherheit wie früher eine Rezession signalisiere. Allerdings war jeder Konjunkturzyklus seit den 1980er-Jahren einzigartig. Deshalb sind wir auch nicht überzeugt davon, dass das Laufzeitprämienargument bei der Rezessionsprognose wirklich hilft. Niedrige NominalzinsenEbenfalls neu ist, dass die Nominalzinsen derzeit erheblich niedriger sind als früher. Deshalb könnte eine Inversion der Zinsstrukturkurve etwas anderes signalisieren als früher. Man könnte jetzt sagen, dass eine Inversion unwahrscheinlicher ist, wenn die Renditen von Anleihen mit bis zu zwei Jahren Laufzeit (trotz ihres Anstiegs in den vorigen Jahren) noch immer so niedrig sind wie nie. Beispielsweise war die japanische Zinsstrukturkurve trotz der extrem niedrigen Zinsen seit 1991 kein einziges Mal invers. Und doch gab in diesem Zeitraum sieben Rezessionen. Wegen der extrem niedrigen Renditen könnte eine Inversion der US-Zinsstrukturkurve heute eher ein Signal für eine Rezession sein als früher, aber dafür gibt es bislang keine Belege.Hinzu kommt, dass sich im aktuellen Zyklus nicht alle Segmente der Zinsstrukturkurve gleich verhalten. Tatsächlich ist sie im kurzen Laufzeitbereich (Federal Funds Rate bis Zweijahresanleihen) steiler geworden. Im Zwei- bis Zehnjahresbereich, der erheblich genauer beobachtet wird, hat sie sich hingegen verflacht. Bei einer Inversion beider Teile der Kurve müssten wir uns größere Sorgen wegen einer möglichen Rezession machen. Der kurze Laufzeitbereich ist für das Bankensystem sehr wichtig, weil die Institute hier einen Großteil ihrer Gewinne erzielen. Wenn er so stark invers wird, dass die Banken für kurzfristige Bankanlagen mehr zahlen müssten, als sie mit Zweijahresanleihen verdienen, würden sie wahrscheinlich keine Kredite mehr vergeben. Das hätte Folgen für das Wirtschaftswachstum. Auf die Konjunktur achtenAber worauf sollen Anleger bei ihrer Asset-Allokation achten, wenn sie sich nicht mehr auf die Steigung der Zinsstruktur verlassen können? Aus unserer Sicht sollten sie die Konjunkturdaten sehr genau im Auge behalten. In kurzen Abständen veröffentlichte Daten wie die Einkaufsmanagerindizes, die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft und die Erstanträge auf Arbeitslosengeld können zusammen eine bessere Grundlage für Anlageentscheidungen sein als einziges Signal. Diese Art von Konjunkturindikatoren könnten gute Hinweise darauf liefern, ob die Fed ihre Geldpolitik zu stark strafft. Denn dann würden die Kurzfristzinsen zu hoch werden und am Ende tatsächlich zu einer Rezession führen.—-Erik Weisman, Chefvolkswirt und Fixed Income Portfoliomanager bei MFS Investment Management