"Zyklische Konsumaktien günstig"
Eine Beschleunigung des Konsums in Europa erwartet Roland Kaloyan, Stratege für europäische Aktien bei der französischen Großbank Société Générale. Deswegen empfiehlt er, für das Börsenjahr 2017 auf zyklische Konsumtitel zu setzen. Auch baunahe Werte findet er attraktiv.- Herr Kaloyan, weshalb erwarten Sie für europäische Aktien ein gutes Jahr 2017?Wir erwarten höheres globales Wachstum, angetrieben von einem Plus um 2,3 % in den USA. Zudem dürfte die Inflation in der Eurozone auf 1,5 % steigen, was ein Paradigmenwechsel ist. Eine etwas höhere Inflation dürfte vor allem europäischen Aktien Rückenwind bringen. Die steigende Inflation führen wir vor allem auf den höheren Ölpreis zurück, der bis Ende 2017 auf rund 60 Dollar je Barrel steigen dürfte.- Was spricht für europäische Titel?Europäische Unternehmen sind gegenüber ihren US-Wettbewerbern geringer verschuldet und bauen Cash-Bestände auf. So erwarten wir auch mehr Übernahmeaktivitäten. Dies könnte ein Kurstreiber sein, entweder in innereuropäischen Konsolidierungen oder von Einkäufen aus China und aus den USA in europäische Unternehmen.- Und in puncto Bewertung?Sie sind – je nach dem, welche Kennziffern hinzugezogen werden – auf vergleichbarer Basis rund 20 % bis 25 % günstiger bewertet als US-Aktien. Das ist selbst im historischen Vergleich ein sehr hoher Abschlag – und nicht normal. Das gab es in der jüngeren Vergangenheit nur in der Finanzkrise 2008 und im Umfeld der Euro-Krise 2012. Hier spielen politische Risiken wie die Auswirkungen des Brexit-Votums in Großbritannien hinein.- Würden Sie europäische Titel gegenüber US-Werten bevorzugen?Gute Frage. Ich würde über die nächsten sechs bis zwölf Monate einen ausgewogenen Ansatz verfolgen. Es gibt in Europa gewisse Unsicherheiten, politischer Art und bezüglich dessen, was die Europäische Zentralbank machen wird. Hinzu kommen mögliche protektionistische Eingriffe einer US-Regierung unter Donald Trump. Über die nächsten achtzehn Monate gesehen wäre ich wesentlich zuversichtlicher für europäische Titel.- Warum haben europäische Aktien schlechter abgeschnitten als US-Werte? Liegt das an der Erwartung einer inflationären Fiskalpolitik Trumps – an Trumpflation?Ich sehe drei Faktoren: Der Ausgang des Brexit-Votums, der eine Underperformance ausgelöst hat, dann die höhere Inflationserwartung, und drittens kam Trump mit einem sehr angebotsorientierten Programm, mit enormen Steuererleichterungen für US-Unternehmen und der Cash-Repatriierung in die USA.- Schwappen daraus positive Effekte auf Europa über?Ja, außer es gibt protektionistische Eingriffe. Die Schwäche des Euro ist ebenfalls eine Unterstützung, die US-Notenbank könnte gezwungen sein, die Zinsen weiter anzuheben.- Was ist Ihre Erwartung für das Gewinnwachstum in Europa?Der Konsens ist derzeit zu hoch, aber dies wird am Markt auch nicht für realistisch gehalten. Wir erwarten insgesamt ein Gewinnwachstum im höheren einstelligen Prozentbereich. Steigende Anleiherenditen sind hier kein Belastungsfaktor.- Sie erwarten einen konsumgetriebenen Aufschwung. Was leitet sich daraus für Ihre Strategie ab?Die zyklischen Konsumaktien sind, verglichen mit Industrie-, Telekom- und Versorgerwerten, derzeit am günstigsten – nach den Finanztiteln. Wir erwarten eine Erholung des Konsums. Zudem hat sich die bereits feststellbare Aufhellung der Konsumentenstimmung noch nicht in einer höheren Bewertung der Konsumwerte niedergeschlagen. Der Arbeitsmarkt ist in den meisten Ländern in einer besseren oder guten Verfassung, zudem ist die Sparquote in Spanien, Frankreich oder Deutschland bereits hoch, so dass wir davon ausgehen, dass steigende verfügbare Einkommen in den Konsum fließen werden. Vor der Finanzkrise trugen die Konsumenten etwa die Hälfte zum BIP-Wachstum bei, heute liegt der Anteil weit darunter. Wir erwarten hier eine Art Normalisierung.- In Ihrem Basisszenario gehen Sie also davon aus, dass Europa aus den Deflationsrisiken in den nächsten zwei bis drei Jahren herauswachsen kann.Ja. Wir rechnen mit einem besonders guten Abschneiden von baunahen Aktien und Konsumwerten.- Dem Bausektor fällt es aber schwer, die Kapitalkosten dauerhaft zu verdienen. Deswegen ist er auch günstiger, oder nicht?Das hängt davon ab, in welchen Bereichen die Unternehmen unterwegs sind. Das Konzessionsgeschäft hat bessere Margen. Wir bevorzugen auf Europa oder auf die USA ausgerichtete baunahe Werte.- Auf was setzen Sie noch?Auch französische und deutsche Autotitel gefallen uns, wobei ich nicht einzelne Namen nennen kann. Hier ist sehr viel Negatives in den Kursen enthalten, wie die Konkurrenz durch Elektromobile, selbstfahrende Autos oder Beschränkungen in China. Das schafft Kaufgelegenheiten. Die Branche ist historisch günstig.- Wegen der Brexit-Risiken raten Sie von britischen Titeln dagegen eher ab.Wir gehen in Großbritannien von einem Rückgang der Konsumnachfrage aus, wegen einer deutlich höheren Inflation und geringem Wirtschaftswachstum. Dies wird vor allem auf den Binnenmarkt ausgerichtete Unternehmen aus dem FTSE 250 belasten. Besser abschneiden dürften dagegen international ausgerichtete Konzerne aus dem FTSE 100, die von der Pfund-Schwäche temporären Rückenwind genießen.- Was ist von der politischen Seite zu erwarten?Die Märkte werden auch 2017 vorsichtig sein. Es gab einige Überraschungen. Das italienische Referendum war für die Märkte eine Art Non-Event, die Volatilität blieb niedrig. Aber sie kann natürlich steigen, wenn der Markt etwas nicht eingepreist hat. Es gibt hier Opportunitäten und Risiken – wie überall.- Für 2019 erwarten Sie aber insgesamt fallende Aktienkurse.In den USA erwarten wir für 2020 eine Rezession, weshalb wir bereits einen Kursrückgang für 2019 prognostizieren. Die Konjunktur in den USA verzeichnet derzeit eine der längsten Aufschwungphasen überhaupt. Zudem dürfte die außergewöhnlich lockere Fed-Politik allmählich auslaufen. Dies wird den Aufschwung noch etwas verlängern.—-Das Interview führte Dietegen Müller.