DIE PROGNOSEGÜTE DES KONJUNKTURTABLEAUS - IM INTERVIEW: PROF. WOLFGANG FRANZ, ZEW

"Bei Trendentwicklungen das Lineal anlegen kann jeder"

Chef der Wirtschaftsweisen: Unsicherheit derzeit groß

"Bei Trendentwicklungen das Lineal anlegen kann jeder"

Prof. Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), begutachtet als Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einmal pro Jahr die Konjunktur in Deutschland. Im Interview der Börsen-Zeitung geht er auf Fragen zu den speziellen Problemen der Prognostik ein.- Herr Prof. Franz, lieben Sie Prognosen?Mit Liebe hat das nichts zu tun. Der Sachverständigenrat erfüllt mit den Prognosen seinen gesetzlichen Auftrag.- Als größtes Problem bei Voraussagen gelten Wendepunkte. Warum sind diese so schwer vorhersehbar?Wendepunkte vorauszusagen ist in der Tat die heikelste Herausforderung bei Prognosen. Bei Trendentwicklungen das Lineal anlegen kann jeder. Die Schwierigkeiten liegen unter anderem darin, dass die erforderlichen statistischen Informationen erst mit einer teilweise erheblichen zeitlichen Verzögerung von mehreren Monaten vorliegen können und es dann sehr schwer ist, einen statistischen “Ausreißer” von einem wirklichen Wendepunkt zu unterscheiden.- Warum wurde die Rezession von 2009 in den Prognosen so krass verfehlt?Die Rezession 2009 war die schwerste in der deutschen Nachkriegsgeschichte und insoweit ohne historisches Beispiel für die Bundesrepublik. Prognosemodelle werden aber mit Erfahrungswerten aus der Vergangenheit gefüttert, das ist bei den Wettervorhersagen nicht anders. Wenn diese Erfahrungen fehlen, steigt das Risiko immens, danebenzuliegen.- Haben die Auguren aus ihrem Versagen gelernt?So schlecht sind wir nun auch wieder nicht. Beispielsweise hat der Sachverständigenrat im November 2011 für das Jahr 2012 eine Wachstumsrate von 0,9 % prognostiziert. So wie es aussieht, machen wir damit praktisch eine Punktlandung.- – Das liegt also auch daran, dass dieses Jahr keine überraschende Katastrophe passiert ist wie die Lehman-Pleite 2008. Wäre es aber nicht sinnvoller, grundsätzlich mehr als nur einmal pro Jahr das voraussichtliche Wirtschaftswachstum zu berechnen?So einfach ist es nun auch wieder nicht. Die Prognose für 2013 ist wie bereits für 2012 mit erheblichen Risiken behaftet. Entscheidend ist zunächst, dass die Krisen im Euroraum eingedämmt werden. Auch besteht eine hohe Unsicherheit bezüglich der Preisentwicklung importierter Rohstoffe angesichts der politischen Spannungen im Nahen Osten. Zudem wissen wir nicht, welchen wirtschaftspolitischen Kurs eine neue Regierung in Italien einschlägt und wie darauf die Finanzmärkte reagieren. Was die Prognosehäufigkeit anbelangt, so findet die Gemeinschaftsdiagnose zweimal im Jahr statt.- Welche Zukunft hat die Prognostik?Solange die Menschen in die Zukunft blicken wollen, brauchen wir Prognosen.—-Die Fragen stellte Reinhard Kuls.