Brexit

Briten wollen Nordirland-Lösung neu verhandeln

Die Brexit-Einigung für Nordirland belastet britische Unternehmen. London will sie radikal umbauen, aber präsentiert unrealistische Vorschläge. Die EU lehnt ab.

Briten wollen Nordirland-Lösung neu verhandeln

bet London

Über ein halbes Jahr nach dem praktischen Vollzug des Brexits hat die britische Regierung die EU aufgefordert, das für den EU-Aus­stieg zentrale Nordirlandprotokoll neu zu verhandeln. Die Vereinbarung, die eine überwachte Grenze zwischen Irland und dem zum Vereinigten Königreich zählenden Nordirland verhindern und damit den Friedensprozess sichern soll, müsse tiefgreifend geändert werden. „So können wir nicht weitermachen“, sagte Brexit-Minister David Frost am Mittwoch im Parlament. Es brauche einen neuen Weg und eine neue Balance.

Die Regierung von Premierminister Boris Johnson hatte die gegenwärtig geltenden Regeln selbst vorgeschlagen und als Wunderlösung für die Nordirlandfrage präsentiert. Bei dem geltenden Modell wird Nordirland dem Zollgebiet der EU zugerechnet, damit an der Landgrenze zur Republik Irland keine Kontrollen für Wareneinfuhren in den EU-Binnen­markt notwendig werden. Stattdessen verlagert sich die Zollgrenze in die Irische See, zwischen Nordirland und Großbritannien.

Das bedeutet, dass britische Unternehmen in den meisten Fällen auch dann Zollerklärungen ausfüllen und Produktnachweise erbringen müssen, wenn sie Waren transportieren, die im nördlichen Inselteil verbleiben sollen und nicht für die EU bestimmt sind. Auch wenn keine eigentlichen Zölle anfallen, stören die bürokratischen Hürden den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland erheblich.

London hat am Mittwoch Vorschläge präsentiert, das Nordirlandprotokoll fundamental umzubauen. Demnach sollen alle Waren, die das Endziel Nordirland haben, von Kontrollen und Nachweispflichten ausgenommen werden. Nur Güter, die für den EU-Markt bestimmt sind, sollen überprüft werden. In Nordirland sollen zudem zwei regulatorische Regime herrschen, je nach Ziel der Waren.

Das Kernproblem des Vorschlags ist die Überwachung der Warenströme, um zu verhindern, dass nicht geeignete Güter ungehindert über die offene Landgrenze in die Republik Irland und damit in den EU-Binnenmarkt geschmuggelt werden können. In früheren Verhandlungen erschien die nahezu vollständige Zollüberwachung der Waren, wie sie die EU bei einem normalen Drittland anlegt, als der einzig gangbare Weg.

Großbritannien schlägt jetzt einen umfangreichen Datenaustausch und eine einfache („light-touch“) Registrierung von Unternehmen vor, um britische von europäischen Waren zu trennen. Brüssel dürfte damit kaum zufriedenzustellen sein – auch deshalb, weil solch ein System auf dem Vertrauen beider Seiten ineinander beruht. Dieses Vertrauen ist durch den seit Monaten herrschenden Konfrontationskurs Großbritanniens erheblich beschädigt. Es wird zusätzlich geschwächt, weil Johnsons Regierung auch die Überwachung des Protokolls ändern möchte. In letzter Instanz soll nicht mehr der bei Brexit-Anhängern unbeliebte Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig sein, fordert London, sondern ein internationales Schiedsgericht.

Die EU werde einer Neuverhandlung des Protokolls nicht zustimmen, ließ Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic am Mittwoch umgehend mitteilen. Internationale juristische Verpflichtungen einzuhalten, sei von überragender Bedeutung. Die EU habe flexible Lösungen gesucht, aber das Protokoll müsse umgesetzt werden. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die EU einer Verlängerung von Übergangsfristen zu­stimmt, wie sie London etwa durch eine Stillhalteperiode fordert.