AUS DEM BUNDESBANK-MONATSBERICHT

Die Angst vor dem "Lohnschock"

Bundesbank: Höhere private Nachfrage verpufft wegen negativer ökonomischer Folgen - Aber: Wahl des Rechenmodells entscheidend

Die Angst vor dem "Lohnschock"

Die Deutsche Bundesbank hat mitten in der laufenden Tarifrunde vor überzogenen Lohnerhöhungen gewarnt und entsprechende Forderungen von ausländischer Seite scharf zurückgewiesen. Ein “Lohnschock” würde die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder ansteigen lassen.Von Stephan Lorz, Frankfurt Der Internationale Währungsfonds (IWF) will es, aus Frankreich sind ebenfalls derlei Forderungen zu vernehmen, und von den Gewerkschaften kommen sie sowieso: Die Rufe nach deutlichen, über das bisherige Maß – also die Produktivitätsentwicklung – hinausgehende Lohnerhöhungen in Deutschland.Der IWF sieht darin eine Möglichkeit, dass sich der deutsche Leistungsbilanzüberschuss zurückbildet und durch die erhöhte private Kaufkraft hierzulande die Nachfrage nach Exporten aus den europäischen Krisenländern anzieht. Paris schielt eher darauf, Deutschlands enorme Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten etwas zu schmälern, damit der Wettbewerbsabstand zur Grande Nation nicht zu groß wird und der Reformdruck im eigenen Land etwas zurückgeht. Und die Gewerkschaften erhoffen sich davon neben einem wohltuenden Kaufkraftgewinn für Arbeitnehmer und Angestellte, dass sich auf diese Weise die Schere zwischen Kapital- und Lohneinkommen wieder etwas schließt und mittlere Einkommen wieder Anschluss finden an die Spitzenverdiener. Alle gehen davon aus, dass die höheren Löhne über die gestiegene Nachfrage zudem das Wirtschaftswachstum ankurbeln und damit auf diese Weise auch Unternehmen und Staat davon profitieren. Der Bundesbank sind derlei Argumentationen aber ein Dorn im Auge. Sie hält sie für grundfalsch und hat unter Hinweis auf “wichtige Mechanismen und Rückwirkungen innerhalb wie außerhalb einer komplexen international verflochtenen Volkswirtschaft” die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines “Lohnschocks” anhand eines “Weltwirtschaftsmodells” einmal durchrechnen lassen. Sie geht dabei von einer nominalen dauerhaften Lohnerhöhung um 2 % gegenüber dem Basisszenario einer produktivitätsorientierten Tarifsteigerung aus.Herausgekommen ist ein düsteres Szenario, das in seinen Beschreibungen eine mittlere Depression verheißt und entsprechend abschreckend wirkt bzw. wirken soll. Denn geht es nach dem Modell ist die unmittelbare Folge eines solchen “Kostenschocks” der Abbau von Arbeitsplätzen. Auch die gewerblichen Investitionen werden sogleich “erheblich zurückgefahren”. Dadurch verpufft nach Darstellung der Bundesbank auch die Nachfrageausweitung aufgrund der Lohnerhöhung. Und selbst diesen erhofften expansiven Effekt halten die Bundesbankvolkswirte für “keinesfalls eindeutig”. Denn den Lohnsteigerungen der Arbeitnehmer stünden ja Einkommenseinbußen jener gegenüber, die ihre Arbeitsplätze verloren hätten.Aufgrund der kontraktiven Wirkung auf die heimische Wirtschaft bleiben in diesem Szenario auch die – IWF-Wünsche – nach expansiven Effekten auf die Partnerländer aus. Zwar sinkt das deutsche Ausfuhrvolumen aufgrund der verschlechterten preislichen Wettbewerbsfähigkeit, doch gleichzeitig gehen nach den Berechnungen wegen der Wirtschaftsschwäche auch die realen Einfuhren zurück. Die höheren Preise heimischer Erzeugnisse wiederum würden die Privathaushalte dazu bewegen, eher ausländische Produkte nachzufragen, was die deutsche Wirtschaft noch stärker in die Bredouille stürzen werde.Die Geldpolitik müsste in der Folge wegen des Kosten- und Preisauftriebs die Zügel anziehen, erwartet die Bundesbank. Das ließe die Zinsen ansteigen, wodurch “der Schock über eine Aufwertung des Euro dann auf den Rest der Welt übertragen” wird. Die erhofften positiven Wirkungen einer Lohnerhöhung im unterstellten Maß kehren sich also nach Meinung der Bundesbank direkt ins Gegenteil um: Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche sind die Folgen.Am Schluss ihrer Ausführungen teilt die Bundesbank indes mit, dass die Ergebnisse solcher Modellrechnungen natürlich “mit der gebotenen Vorsicht zu behandeln” seien. Warum? “Weil andere Modelle auch andere Resultate generieren können”, gibt sie sich selber die Antwort. Es ist also eine eher politische Stellungnahme, welche die Bundesbank im Kleide einer rechnergestützten Folgenabschätzung präsentiert. Die im Bundesbankmodell hervorgehobenen ökonomischen Wirkungsketten sind in ihrer Abfolge zwar durchaus plausibel und gut begründet – inwieweit ihr Ausmaß aber der Wirklichkeit entspricht und ob sie nicht durch andere nicht genannte Faktoren überlagert werden, bleibt indes anheimgestellt. Es ist das Modell einer angebotsorientierten Ökonomie, das hier präsentiert wird, das einem stärker nachfragegetriebenen Denkansatz in vielen Bereichen widerspricht.Letztlich setzt die Bundesbank damit einen Kontrapunkt zu aktuellen Tendenzen in der Ökonomie, die gerade die nachfragegetriebenen Komponenten stärker betonen. Erst jüngst hat der IWF die Debatte in diesem Sinne angefacht, als er dargelegt hatte, dass schuldenfinanzierte Ausgabenerhöhungen des Staates unter dem Strich womöglich doch mehr positive als negative Effekte auf Volkswirtschaften haben kann. Das ist eine Vorstellung, die den gegenwärtigen Konsolidierungsbestrebungen in der Fiskalpolitik diametral entgegensteht. Viel spricht dafür, dass die IWF-Anstöße eher interessengeleitet als wissenschaftlich unterfüttert sind.Gleichwohl hätte es der Bundesbank als nur der Geldwertstabilität verpflichtete Institution, die politisch neutral agieren sollte, gut angestanden, wenn sie ihre Aussage im aktuellen Monatsbericht nicht nur auf eine Modellrechnung gestützt hätte, sondern auch zu anderen Ergebnissen kommende Modelle zumindest vorgestellt hätte. Sie hätte sie miteinander vergleichen, Unterschiede der Herangehensweise herausstellen und in einer abschließenden Wertung dann klar Stellung beziehen können. Lohnmoderation sinnvollSo aber ist alles auf den erhofften Abschreckungseffekt gezielt, was indes Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Darstellung laut werden lässt. Letztlich wollte die Bundesbank ja nur sagen, was sie auch am Ende der Ausführung beschreibt: dass Lohnzurückhaltung sich primär auf die Binnenwirtschaft richtet, um Arbeitslosigkeit zu verringern, und eben nicht darauf, über eine höhere internationale Wettbewerbsfähigkeit globale Ungleichgewichte zu produzieren. Und dass insofern Lohnmoderation auch in den europäischen Peripherieländern ein wichtiger Bestandteil der Anpassungsprozesse ist. Es gehe auch hier nicht so sehr um preisliche Wettbewerbvorteile auf den internationalen Märkten, sondern um die Senkung der Beschäftigungsschwelle.