Im GesprächCarlo Cottarelli

Hoffen auf Impulse aus höheren deutschen Ausgaben

Trotz großer Herausforderungen und einer nach wie vor hohen Verschuldung sieht der Ökonom Carlo Cottarelli Italien heute als stabiler an als noch vor wenigen Jahren. Und er hofft, dass das deutsche Sondervermögen auch Impulse für die Nachbarländer liefert.

Hoffen auf Impulse aus höheren deutschen Ausgaben

Im Gespräch: Carlo Cottarelli

„Italien ist heute wesentlich stabiler als vor einigen Jahren“

Der Mailänder Ökonom hofft auf Mitnahmeeffekte bei deutschen Programmen – Schulden stabil halten – Mehr Rüstungsausgaben „politisch nicht einfach“

Von Gerhard Bläske, Mailand
bl Mailand

Italien ist nach Auffassung des Ökonomen Carlo Cottarelli „heute wesentlich stabiler als noch vor einigen Jahren. Das spiegelt sich auch im wachsenden Vertrauen der Märkte wider, beispielsweise im Spread, in der Bewertungen der Rating-Agenturen und in ausländischen Investitionen im Lande“, sagt der Professor der Katholischen Universität Mailand im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Der frühere IWF-Ökonom, der politisch im links-liberalen Spektrum zu verorten ist, nennt zur Begründung „die satten Steuereinnahmen, sinkende Zinsen und den Spread für zehnjährige Anleihen, der sich gegenüber Deutschland auf 90 Basispunkte verringert hat.“ Und er lobt die Regierung Meloni: „Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, hat 2024 eine Regierung die Mehreinnahmen nicht für Wahlgeschenke verwendet.“

Große Herausforderungen

Es bleiben jedoch große Herausforderungen. Das Wirtschaftswachstum, das von Impulsen aus Sonderprogrammen etwa zur ökologischen Sanierung von Gebäuden und dem Europäischen Wiederaufbauprogramm NextGeneration profitiert, ist auf 0,7% gesunken. Die Verschuldung ist mit 135% vom Bruttoinlandsprodukt exorbitant hoch. Die Beschäftigungsquote liegt mit 62,9% weit unter dem OECD-Durchschnitt von 70,4%, und die demografische Entwicklung gibt großen Anlass zu Besorgnis. Mit 1,2 Kindern pro Frau liegt Italien europaweit ganz hinten. Die OECD fordert Rom auf, Beschäftigungsreserven bei Frauen und älteren Arbeitnehmern zu heben. Letztere gehen im OECD-Vergleich überdurchschnittlich früh in Rente. Nach Berechnungen der Pariser Organisation schrumpft der Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter zwischen 2023 und 2060 um 34%.

Italien hat sich verpflichtet, die Rüstungsausgaben bis 2035 auf 5% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Davon sind aber 1,5% für Verteidigungs- und sicherheitsbezogene Ausgaben vorgesehen, nicht für Verteidigungsausgaben im engeren Sinn. „Dieser Posten ist derzeit von der NATO nicht klar definiert, so dass wir im Moment nicht wissen, wo wir ansetzen und was wir einbeziehen können. Einige sagen, dass wir sogar die Ausgaben für die Brücke über die Meeresenge nach Sizilien einrechnen können“, wundert sich Cottarelli. Der Corriere della Sera spricht da von „Taschenspielertricks“ und kreativer Finanzpolitik“.

„Theoretisch“ machbar

„Selbst bei den verbleibenden 3,5%, wofür die NATO eine Definition liefert, gibt es Unsicherheiten“, sagt er. Bis vor wenigen Wochen gab die Regierung die Höhe der Ausgaben für Rüstung mit 1,5% an. Jetzt spricht Verteidigungsminister Guido Crosetto plötzlich von 2%. „Bislang ist unklar, wie diese Zahl zustande kommt und was darin enthalten ist. Wir werden abwarten müssen, ob die NATO diese Zahl akzeptiert“, meint Cottarelli.

Dann müssten die Rüstungsausgaben bis 2025 „nur“ von 2 auf 3,5% steigen. „Theoretisch“ hält Cottarelli das für machbar, selbst wenn die Ausgaben für Renten und das Gesundheitswesen wegen der Demografie gleichzeitig zulegen müssten. „Politisch wird dies jedoch nicht einfach sein“, warnt der Ökonom.

Abhängig von den Wachstumsraten

Inwieweit es gelingt, die Schulden zu reduzieren, hängt vor allem von den Wachstumsraten ab. Da aber hinkte Italien in den letzten 20 Jahren, mit Ausnahme der Jahre 2022 bis 2024, anderen Ländern meist weit hinterher. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ende des Wiederaufbauprogramms NextGeneration, dessen größter Nutznießer Rom ist, auf die Wirtschaft auswirken wird. Die Regierung will die Schulden trotz höherer Rüstungsausgaben nicht ansteigen lassen.

Die US-Strafzölle könnten Italien allerdings weit zurückwerfen. Die USA sind nach Deutschland zweitwichtigster Handelspartner: Die Exporte dorthin beliefen sich 2025 auf fast 65 Mrd. Euro – 10,4% der Ausfuhren. Rom hofft auf einen Kompromiss. Aber Experten erwarten einen Exportrückgang von bis zu 30 Mrd. Euro. Notenbank-Gouverneur Fabio Panetta fürchtet, die Wachstumsrate könnte um bis zu einen halben Prozentpunkt schrumpfen. Cottarelli will mit Prognosen warten, bis gesicherte Daten vorliegen.

Profitieren von Deutschland

Er hofft, dass Italien „von der deutlichen Erhöhung der Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben in Deutschland profitieren wird.“ Cottarelli hält es für wahrscheinlich, dass Rom „nächstes Jahr von der nationalen Ausweichklausel in der EU Gebrauch macht.“ Damit kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen, vorübergehend von den im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Haushaltsregeln abweichen.

Der Ökonom Carlo Cottarelli sieht Italien trotz der Belastungen aus steigenden Rüstungs-, Renten- und Gesundheitsausgaben auf einem guten Weg. Er hofft auf Impulse aus den höheren Infrastruktur- und Rüstungsausgaben in Deutschland.

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