Klimawandel wird für die EZB zum Inflationsrisiko
Klimawandel wird zum Inflationsrisiko
Ernteausfälle treiben Lebensmittelpreise – Kritiker bemängeln zu starken Fokus der EZB auf Umweltthemen
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Liebhaber von Schokolade oder Kaffee haben derzeit wenig Freude bei ihren Supermarktbesuchen. Während die Gesamtinflationsrate in Deutschland inzwischen um die 2% pendelt, haben die Preise für beide Genussmittel in der ersten Jahreshälfte über 15% zugelegt. Auch bei anderen Produkten im Supermarkt gab es in den vergangenen Jahren extreme Preissprünge. Olivenöl, Orangensaft oder Zucker gehören beispielsweise auf diese Liste.
All diese Waren haben eines gemeinsam: klimabedingte Ernteausfälle haben zu Angebotsengpässen geführt. In der Folge stieg der Preis – manchmal nur vorübergehend, oft aber auch dauerhaft. Denn extreme Hitze, Dürren, Fluten oder Stürme nehmen zu. Natürlich beeinflussen auch andere Faktoren wie gestiegene Logistikkosten oder eine höhere Nachfrage die Lebensmittelpreise. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) prognostizierte in einer Untersuchung für die EZB, dass allein die steigenden Temperaturen die Lebensmittelpreise weltweit bis zum Jahr 2035 um 3,2 Prozentpunkte pro Jahr ansteigen lassen könnten. Inflationäre Effekte durch andere Ereignisse wie Überschwemmungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Climateflation beschäftigt Notenbanken
Somit treiben die klimabedingten Preissprünge bei Lebensmitteln nicht nur wenig erfreute Supermarktbesucher um, sondern auch Notenbanker. Diese haben für das Phänomen inzwischen sogar eine eigene Wortschöpfung kreiert: Climateflation. Bei der EZB gehört bei der Pressekonferenz der Notenbank nach einem Zinsentscheid schon standardmäßig der Satz dazu, dass der Klimawandel in der Eurozone zu einer höheren Inflation als erwartet führen kann.

Für die EZB – und alle anderen Notenbanken – ist Climateflation eine besondere Herausforderung. Zum einen lässt sich die Höhe der inflationären Effekte nur schwer vorhersagen. Auch ist oft nicht klar, wie langanhaltend die Preisanstiege sind. Zum anderen kann eine Notenbank mit Leitzinsen die Klimaeffekte nicht verändern. Die Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln über die Geldpolitik zu beeinflussen, ist zudem auch keine Option. Trotzdem muss eine Notenbank vor allem die langanhaltenden klimabedingten Preiseffekte bei der Geldpolitik berücksichtigen, damit sie ihr Inflationsziel für den gesamten Warenkorb nicht aus den Augen verliert.
Einfluss auf die Wahrnehmung
Eine weitere Herausforderung sind die Inflationserwartungen der Verbraucher sowie ihre gefühlte Inflation. So lag die gefühlte Inflation in Deutschland nach einer Messung des Ifo-Instituts 2024 bei 15,3%. Die vom Statistischen Bundesamt tatsächlich gemessene Rate lag dagegen bei 2,2%. Diese hohe Diskrepanz hat verschiedene Ursachen. Eine wesentliche liegt darin, dass Menschen im Alltag wesentlich öfter mit der Preisentwicklung bei Lebensmitteln konfrontiert sind als mit der Inflation bei etwa Möbeln oder Elektrogeräten. Und die Nahrungsmittelinflation war in den vergangenen Jahren besonders hoch.
Climateflation könnte daher dazu führen, dass die gefühlte Inflation und mit ihr die Inflationserwartungen steigen. Klettern die prognostizierten Preisanstiege zu stark, kann das zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Verbraucher ziehen dann Ausgaben nach Möglichkeit vor, um den erwarteten Preissprüngen aus dem Weg zu gehen. Das hätte zu Folge, dass der Inflationsdruck zunimmt.
Kritik an der EZB
Nicht zuletzt auf Bestreben von EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Direktoriumsmitglied Frank Elderson nimmt die Notenbank das Thema Klimawandel immer stärker ins Visier. Vor einigen Wochen kündigte die EZB beispielsweise an, dass bei der Berücksichtigung von Sicherheiten von Geschäftsbanken für Refinanzierungsgeschäfte ab der zweiten Jahreshälfte 2026 ein sogenannter Klimafaktor gelten soll. Damit erhöht sie den Druck auf die Geldhäuser, ihre Finanzierungen in umweltfreundlichere Sektoren zu lenken.
Solche und ähnliche Aktivitäten stoßen nicht nur innerhalb des Bankensektors auf Kritik. „Für die Förderung des Klimaschutzes ist die Europäische Investitionsbank zuständig, nicht die EZB“, kritisiert etwa Markus Demary, Volkswirt beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, den allgemein starken Fokus der EZB auf das Thema Klimaschutz. Unstrittig ist aber, den Klimawandel muss eine Notenbank wie die EZB allein aufgrund ihres Mandats für die Preisstabilität im Blick haben.
Klimabedingte Ernteausfälle führen immer öfter zu Preissprüngen bei einzelnen Lebensmitteln. Für dieses Phänomen haben Geldpolitiker inzwischen sogar ein neues Wort kreiert: Climateflation. Für Notenbanken wird der Klimawandel gleich auf mehreren Ebenen zu einer großen Herausforderung.