Laute Hilferufe und neue Sorgen

Wirtschaft appelliert wegen Lockdown an die Politik - Risiken dämpfen Zuversicht der Ökonomen

Laute Hilferufe und neue Sorgen

Noch halten führende Ökonomen überwiegend an ihrem Konjunkturoptimismus für Deutschland fest – doch die Warnungen vor Abwärtsrisiken angesichts des verlängerten und verschärften Lockdowns nehmen zu. Deutlich zu vernehmen sind Kritik und Dringen auf zusätzliche Staatshilfen aus Teilen der Wirtschaft.rec/ms Frankfurt – Der bis mindestens Ende Januar verlängerte und nochmals verschärfte Lockdown in Deutschland lässt Rufe nach zusätzlichen Hilfen für die Wirtschaft laut werden und sorgt Ökonomen. Nach den Beschlüssen von Dienstagabend waren gestern Kritik und Appelle von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften aus mehreren Lagern zu vernehmen. Unter führenden Volkswirten hält die generelle Zuversicht in Bezug auf die konjunkturelle Erholung im angelaufenen Jahr zwar nach wie vor an, weil die gesamtwirtschaftlichen Folgen noch als überschaubar gelten. Zugleich mehren sich aber mahnende Stimmen.Die Regierungschefs von Bund und Ländern hatten beschlossen, den Einzelhandel und andere Geschäfte mit Ausnahme der Supermärkte den gesamten Monat über geschlossen zu halten. Zugleich zogen sie die Kontaktbeschränkungen weiter an und vereinbarten, die Bewegungsfreiheit in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen einzuschränken.Stefan Genth, Verbandschef der hauptbetroffenen Einzelhändler, forderte einen Fahrplan, wann Geschäfte öffnen dürfen. Auch müssten staatliche Hilfen nachgebessert werden: “Es zeichnet sich eine Pleitewelle ab, wie wir sie noch nicht erlebt haben.” Der Tourismusverband bezeichnete die Beschlüsse hingegen als schmerzlich, aber nachvollziehbar. Die Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten und Verdi pochten auf ein höheres Kurzarbeitergeld für Beschäftigte der Gastronomie. Zweite Rezession rückt naheAn zügige Fortschritte bei der Impfkampagne klammern Volkswirte auch ihren überwiegend intakten Konjunkturoptimismus. Zugleich schränkte Wieland ein: Geschlossene Schulen und Kindergärten würden “die Arbeitstätigkeit von Eltern in vielen Wirtschaftsbereichen deutlich einschränken. Das trifft dann auch die Exportindustrie und andere Wirtschaftszweige, die bisher vom Shutdown kaum oder gar nicht erfasst wurden”, befürchtet Wieland: “Es ist also damit zu rechnen, dass der verlängerte Shutdown die Wirtschaft im ersten Quartal empfindlich trifft.”Die Verluste bezifferte Wieland pro Monat fortgesetzter Schließungen von Restaurants, Hotels, Dienstleistungen und Einzelhandel auf “1 bis 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts im Quartal”. Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, ergänzte: “Jeder Tag im harten Lockdown kostet die deutsche Volkswirtschaft ganz grob über den Daumen gepeilt 1 Mrd. Euro.” Etliche Ökonomen halten eine neuerliche Rezession über die Wintermonate, also zwei aufeinanderfolgende Quartale mit BIP-Rückgängen, für ausgemacht. Das werde nun “noch wahrscheinlicher”, schrieben die Volkswirte der Commerzbank. Als Hoffnungsschimmer für mögliche Lockerungen im Februar werten sie, dass die Zahl der am Coronavirus erkrankten Patienten auf Intensivstationen nicht mehr steigt (siehe Grafik). Für “unvermeidlich” hält Ken Wattret, Europa-Chefvolkswirt von IHS Markit, eine zweite technische Rezession, wie er der Börsen-Zeitung sagte – “wenngleich die Ausgaben- und Produktionsverluste weniger extrem ausfallen werden als im Frühjahr 2020”. Immerhin erweise sich der jüngste Rücksetzer anhand “harter” Daten, die bis November vorliegen, als nicht so drastisch wie befürchtet.Deutsche-Bank-Ökonom Eric Heymann sagte: “Mit der nun beschlossenen Verlängerung und Verschärfung steigen die Abwärtsrisiken.” Trotz der nicht eingepreisten Lockdown-Verlängerung werde man aber vorerst an der BIP-Prognose von 4,5 % Wachstum für 2021 festhalten. Wielands Kollege im Sachverständigenrat für Wirtschaft (SVR), der Vorsitzende Lars Feld, hatte angedeutet, die Weisen müssten ihre Wachstumsprognose von 3,7 % “voraussichtlich etwas nach unten korrigieren”.