Chance zum ökonomischen Kurswechsel
Chance zum ökonomischen Kurswechsel
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die langjährige Stagnation der deutschen Wirtschaft sollte auch der SPD die Augen geöffnet haben, dass ein Politikwechsel nötig ist. Das Kabinett Merz tritt zur Nagelprobe an.
Wenn es noch eines Impulses für die Notwendigkeit eines Politikwechsels bedurft hätte, so hat ihn US-Präsident Donald Trump mit seiner Zollpolitik geliefert. Aber auch schon vorher sollte der deutschen Politik klar gewesen sein, dass eine politische Neuausrichtung unaufschiebbar ist: Drei Jahre wirtschaftliche Stagnation, Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität, sowie gegenüber anderen ähnlich produktiven Volkswirtschaften zu hohe Arbeitskosten und Steuern sowie Energiepreise.

ZEW
Die Ökonomenwelt ist sich weitgehend einig: Deutschland muss umsteuern, sich auf seine Stärken besinnen, die eigene Wirtschaft modernisieren, den Unternehmen Investitionen wieder schmackhaft machen, auf neue Technologien und Märkte setzen, und die Politik muss insgesamt die Integration Europas mit aller Kraft voranbringen. Dass die Unionsparteien dazu in der Lage wären, signalisieren sie letztlich in ihren Grundsatzprogrammen. Sie wimmeln von Bekenntnissen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum, Innovationen, Wirtschaftsförderung, Unternehmertum und Europa. Die SPD hingegen hängt noch sehr alten Vorstellungen an, wonach die Quelle allen Wohlstands allein in mehr Staat, mehr Sozialpolitik und in immer mehr staatlichen Vorgaben liegt.
Demografischer Wandel
Ein Beleg: Trotz der Dringlichkeit von Wirtschafts- und Sozialreformen blitzt im Koalitionsvertrag immer wieder altes SPD-Denken auf, etwa wenn es um den demografischen Wandel geht. Die Rentenpolitik atmet den Geist der 70er Jahre. Das bedauert der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach, sehr. In einer Diskussionsveranstaltung des Beratungsunternehmens zeb in Frankfurt zeigte er sich aber zuversichtlich, dass die beiden Koalitionspartner gleichwohl im Sinne eines Politikwechsels handeln. Wambach: „Die Krise ist offensichtlich und verschärft sich, und jede Regierung braucht eine Krise für Reformen“.
Dass es diesmal nicht nur eine Frage der Stimmung ist, zeigt seiner Meinung nach die große Verunsicherung in Gesellschaft und Wirtschaft, wie sie bereits vor US-Präsident Trump spürbar gewesen sei. Das habe zu Attentismus bei Investitionen und Konsum gesorgt. Ein paar Signale und Entscheidungen zu Investitionserleichterungen, Strompreissenkungen, Bürokratieabbau und mehr Ausgaben für Infrastruktur würden zwar nicht ausreichen, um die Krise hinter sich zu lassen. „Aber das sorgt für die nötigen Impulse, die einen ersten Stimmungsumschwung bewirken können, der dann weitere positive Wirkungen mit sich bringt“, ist sich der ZEW-Chef sicher.
Euro keine Alternative zum Dollar
Wambach zufolge kommt es entscheidend darauf an, dass die Produktivität wieder zulegt, nachdem sie zuletzt Jahr für Jahr nachgelassen hat. Er zitiert den Nobelpreisträger Paul Krugman, wonach Produktivität „zwar nicht alles ist, aber auf lange Sicht eben fast alles“. Deutschland müsse sich daher aus der Förderung von Sektoren mit wenig Wertschöpfung zurückziehen, stattdessen auf neue Technologien setzen und sich hochproduktiven Bereichen zuwenden. Das Problem: Das alles hat mit Digitalisierung zu tun – und hierbei steht es in Deutschland nicht zum Besten. Daher müsse diese Baustelle erster Anlaufpunkt der neuen Regierung. Und auch hier scheine die neue Regierung die Dringlichkeit erkannt zu haben, zeigt er sich optimistisch.
Trump schießt sich ins Knie
Was die Reaktion auf die US-Zollpolitik angeht, so rät er Brüssel und Berlin zum „Füße still halten“. Denn Zölle, so Wambach, seien „die einzige Waffe, mit der man sich selber ins Knie schießt, um anderen weh tun zu wollen“. Trump habe seinen „größten ökonomischen Fehler“ gemacht. Er warnte vor zu drastischen Gegenreaktionen, weil Europa noch zu sehr vom Dollarraum und Dollarmarkt abhängig sei. Der Finanzbereich komme ohne den US-Markt nicht aus, weise da eine offene Flanke auf.
Und der Euro als Alternative zum Dollar? Wambach ist skeptisch. Dem Euroraum fehle es an „safe Assets“; und ohne Fiskalunion samt Steuerhoheit könnten internationale Anleger den Euro nicht als Leit- und Welthandelswährung betrachten. Aber das kann ja vielleicht auch ein politisches Ziel sein, weil Europa im Zuge der aggressiven US-Zollpolitik ohnehin nichts anderes übrig bleibt, als den Binnenmarkt endlich zu vervollkommnen. Und hier gibt es noch viel zu tun, weil darin auch enorme Wertschöpfungsressource schlummert.