Außenwirtschaft

Parteien vernachlässigen globale Verflechtung

„Wandel durch Handel“ ist mit autokratischen Staaten nicht gelungen. In den Wahlprogrammen fehlt ein klarer Kurs, wie die Parteien den Konflikt von politischen und wirtschaftlichen Interessen lösen.

Parteien vernachlässigen globale Verflechtung

Von Angela Wefers, Berlin

Mit der zunehmenden Globalisierung muss Deutschland einen Weg finden, um internationale politische Konflikte und wirtschaftliche Interessen neu auszutarieren. Länder wie China oder Russland sind wichtige Handels- und Industriepartner für Deutschland, achten aber Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards nach dem Verständnis westlicher Demokratien nicht. Das staatsinterventionische Modell Chinas ist zudem darauf ausgerichtet, seine Wirtschaftsmacht in der Welt zu stärken. Nach dem deutschen Verfassungsschutzbericht 2021 ist China im Zuge des industriepolitischen Programms „Made in China 2025“ sowie im neuen Fünfjahresplan „verstärkt dazu übergegangen, technologische Lücken durch den Aufkauf deutscher mittelständischer Unternehmen aus dem Spitzentechnologiesektor zu schließen“. Mit Direktinvestitionen werden dem Bericht der Verfassungsschützer zufolge auch geopolitische Ziele verfolgt.

Ausverkauf von Know-how

In den vergangenen Jahren hat sich deshalb die Sorge in der Bundesregierung verstärkt, dass autokratisch geführte Staaten hierzulande Unternehmen und Know-how aufkaufen, um strategische Vorteile zu erzielen. Die deutsche Politik reagierte mit einer zunehmenden Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts. Später zog die EU nach. Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung erlauben es dem Bundeswirtschaftsministerium, Direktinvestitionen von EU-Ausländern zu prüfen, und dem Kabinett, diese zu untersagen. Dazu muss die öffentliche Ordnung und Sicherheit auf dem Spiel stehen. Gesenkt wurden in den vergangenen Jahren wiederholt Eingriffs- und Prüfschwellen, und der Kreis der überprüfbaren Unternehmen und Branchen wurde erweitert. Dies soll den Abfluss von Informationen etwa aus Firmen im Bereich kritischer Infrastrukturen verhindern. Anders als im Wettbewerbsrecht, wo das Bundeskartellamt als unabhängige Behörde agiert, die allenfalls durch eine transparente Ministererlaubnis überstimmt werden kann, entscheidet im Außenwirtschaftsrecht die Exekutive allein.

Nötig wäre ein klarer und für die deutsche Wirtschaft verlässlicher Kurs der Politik in der Außenwirtschaftspolitik. Die Weltwirtschaft wird im Wahlkampf jedoch vernachlässigt, konstatierte das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW Berlin jüngst in einer Analyse. Die Passagen in den Wahlprogrammen sind kurz. Dabei hatte gerade die Corona-Pandemie zutage gefördert, wie stark die deutsche Wirtschaft international eingebunden ist. Die Außenhandelsquote – Exporte und Importe bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt – beträgt knapp 85%. Als drittgrößter Exporteur in der Welt und aufgrund seiner globalen Verflechtung profitierte Deutschland von der schnellen Erholung der USA und Chinas von der Pandemie und kam damit besser aus der Krise als andere europäische Staaten, stellt das DIW fest. Die Offenheit der Weltwirtschaft ist für Deutschland zentral. Schritte zurück – etwa durch neue Zölle – würden die deutsche Volkswirtschaft besonders treffen.

Ähnlich sieht es bei Beschränkungen für Direktinvestitionen aus. Die Wirtschaft befürchtet, dass immer engere Vorgaben ihr Fesseln im Ausland anlegen könnten. Zugleich kämpft sie auf internationalen Märkten mit ungleichen, subventionierten Anbietern, die ihnen Marktanteile streitig machen und ihre Position im Wettbewerb schwächen.

Die Union propagiert im Wahlprogramm mit Blick auf den Willen Chinas, „die internationale Ordnung nach eigenen Vorstellungen zu prägen und zu verändern“, einen zweifachen Ansatz, bleibt dabei aber allgemein: Wo nötig, müssen „wir Chinas Machtwillen in enger Abstimmung mit unseren transatlantischen Partnern und anderen gleichgesinnten Demokratien mit Stärke und Geschlossenheit entgegentreten“, heißt es. Dies gelte besonders beim Schutz geistigen Eigentums, Hochtechnologie und Daten, um nicht „in gefährliche Abhängigkeiten“ zu geraten. „Andererseits wollen wir dort, wo es möglich ist, eine Zusammenarbeit mit China anstreben“, schreiben CDU und CSU weiter. Eine echte Partnerschaft sei nur im Rahmen eines fairen Wettbewerbs unter gleichen Bedingungen und bei Wahrung des Prinzips der Gegenseitigkeit möglich. Dies soll über eine europäische China-Strategie gelingen. Mit einer Anpassung des europäischen Wettbewerbs- und Beihilferechts will die Union auch Verzerrungen beim Handel und im Wettbewerb durch „Staatssubventionen und Interventionen in anderen Teilen der Welt“ reagieren. „Wir brauchen neue Souveränität für Europa in allen systemrelevanten Wirtschaftsbereichen.“

Die Grünen gehen im Wahlprogramm auf das EU-China-Investitionsabkommen ein, lehnen es aber ab. In den Bereichen Level Playing Field und Menschenrechte halten sie es für unzureichend. Auch sie sehen das Heil in einer Reform des EU-Beihilferechts, um „Wettbewerbsverzerrungen durch staatlich geförderte Konzerne aus anderen Weltregionen“ zu verhindern. Den EU-Prüfmechanismus für ausländische Direktinvestitionen halten die Grünen für verbesserungsbedürftig. Dies soll Übernahmen europäischer Unternehmen durch „hochsubventionierten ausländischen Firmen“ verhindern. Die SPD konstatiert lediglich: Die Interessen- und Wertekonflikte mit China nähmen zu. „Europa muss den Dialog mit China über Kooperation und Wettbewerb geschlossen, konstruktiv und kritisch führen.“

Koexistenz in Verantwortung

Der Industrieverband BDI legt im Umgang mit autokratischen Staaten und in der Außenwirtschaft eine gewisse Resignation an den Tag. „Nüchtern betrachtet stößt die Idee des ‚Wandel durch Handel‘ aktuell an ihre Grenzen“, schreibt der Dachverband in einem Strategiepapier. Internationale wirtschaftliche Verflechtungen führten nicht automatisch zu marktwirtschaftlichen und demokratischen Strukturen. Die Industrie ist überzeugt, dass auf absehbare Zeit unterschiedliche Gesellschaftssysteme nebeneinander existieren und konkurrieren werden. Zugleich verlangten die ökologischen und ökonomischen Herausforderungen im Klimaschutz, der weltweiten Gesundheitsvorsorge und der Digitalisierung aber dringend, zu kooperieren. Die Industrie tritt deshalb für ein neues Konzept der „verantwortungsvollen Koexistenz“ in der Außenwirtschaftspolitik ein. Dies im Dialog mit der Wirtschaft auszufüllen wird eine wichtige, wohl noch unterschätzte Aufgabe der neuen Regierung sein.