LeitartikelFlugzeugbauer

Boeing benötigt einen klaren Neustart

Die kriselnde Boeing wieder auf Kurs zu bringen, wird zu einer der größten Herausforderungen in der US-Wirtschaft. Bewältigen kann sie nur ein Externer.

Boeing benötigt einen klaren Neustart

Flugzeugbauer

Boeing braucht einen Neustart

Mit einer neuen Führung aus internen Kräften wird eine Kehrtwende beim kriselnden Flugzeugbauer Boeing nicht gelingen.

Von Alex Wehnert

Der Austausch der Führungsmannschaft von Boeing ist alternativlos – nun braucht der kriselnde Flugzeugbauer einen klaren Neustart. Insofern ist die Nachricht, dass sich der ab der anstehenden Hauptversammlung unter neue Führung gestellte Verwaltungsrat bei der Suche nach einem Nachfolger für CEO David Calhoun sowohl außerhalb als auch innerhalb der eigenen Management-Ränge umsieht, für Kunden und Aktionäre nicht eben beruhigend. Denn Spitzenkräfte, die in wie auch immer gearteter Form in die Unglücke und Pannen der vergangenen Monate und Jahre involviert waren, können nicht glaubwürdig für eine Aufarbeitung und einen neuen Höhenflug stehen.

CEO David Calhoun ist daran gescheitert, bei Boeing einen Kulturwandel einzuleiten. Foto: AP Photo/J. Scott Applewhite.

Vorstandschef Calhoun selbst liefert dafür den lebenden Beweis. Bevor der heute 66-Jährige Anfang 2020 die operative Leitung des Konzerns übernahm, war er elf Jahre lang im Verwaltungsrat aktiv und führte das Gremium sogar kurzzeitig. Seinen CEO-Vorgänger Dennis Muilenburg, nach tödlichen Abstürzen zweier Boeing 737 Max 8 in den Jahren 2018 und 2019 unter Druck geraten, stützte er bis zum bitteren Ende. Obwohl Calhoun seinerzeit schon als Krisenmanager ins Cockpit gesetzt wurde, gelang es ihm nie, einen Kulturwandel beim Flugzeugbauer einzuleiten.

Falscher Fokus auf Ausgabenseite

Statt auf handfeste Ingenieurskunst und die Umsetzung funktionaler Produktionsdesigns blieb Boeing auch unter ihm auf die Rechenschieberei auf der Ausgabenseite konzentriert, die den Konzern seit dem Merger mit der Rivalin McDonnell Douglas Ende der 1990er Jahre prägt. Denn die Probleme bei Boeing reichen über das 737-Programm, das seit dem Beinahe-Unglück einer Maschine des Typs Max 9 der Alaska Airlines Anfang Januar zum Gegenstand von Ermittlungen von US-Aufsichtsbehörden und des Justizministeriums geworden ist, hinaus. Auch mit Modellen wie dem 787 Dreamliner oder der 777 gab es jüngst Schwierigkeiten, und das nicht zum ersten Mal.

Blick in den Passagierraum der Boeing 737 Max 9, die Anfang Januar im Flug ein Rumpfteil verlor. Foto: NTSB via AP.

Mit dem Plan, den bei der Bewältigung der Qualitätsmängel gescheiterten Calhoun bis Ende 2024 weiterwirtschaften zu lassen, vertut Boeing nur Zeit. Aktionäre dürften darauf hoffen, dass sich die nach der Mitteilung über den Führungswechsel verbreiteten Gerüchte – gemäß denen der CEO doch direkt abtreten würde, sobald ein Nachfolger gefunden ist – bewahrheiten. Wer auch immer sich den Top-Job beim Flugzeugbauer antut, muss einen Augiasstall ausmisten und schon bei Zulieferern wie Spirit Aerosystems ansetzen, die das Rumpfteil einbaute, das auf dem Alaska-Flug zu Jahresbeginn aus der 737 Max 9 herausbrach.

Zerrüttete Beziehungen

Auch die Beziehungen zu aufgebrachten Kunden werden unter Calhoun kaum noch zu kitten sein. Schließlich sollen Airline-Chefs zuletzt direkt zum Verwaltungsrat marschiert sein, um ihrer Frustration Luft zu machen. Bei den Gesprächen übernimmt nun wohl schon nicht mehr der bisherige Leiter des Gremiums und Calhoun-Vertraute Larry Kellner die Führung, sondern sein designierter Nachfolger Steve Mollenkopf. Natürlich werden die US-Fluggesellschaften auch künftig wenig andere Möglichkeiten haben, als auf Boeing zu bauen. Doch wenn der Konzern vereinbarte Lieferziele aus Qualitätsgründen nicht einhalten kann, drohen neuerliche Schadenersatzforderungen, die erheblich auf der Wertschöpfung des Konzerns für seine Aktionäre lasten dürften.

Neben zahlreichen US-Kunden zeigt sich auch der irische Billigflieger Ryanair besonders frustriert über die Probleme bei Boeing. Foto: Urbanandsport/NurPhoto.

Die rechtlichen Probleme, mit denen der künftige CEO konfrontiert sein wird, enden damit aber nicht. Ermittlungen des Justizministeriums zum Alaska-Vorfall sollen auch Aufschluss darüber liefern, ob sich der Flugzeugbauer an die Bedingungen eines 2021 geschlossenen, 2,5 Mrd. Dollar schweren Vergleichs gehalten hat. Mit diesem legte er Untersuchungen zu den Abstürzen der 737 Max 8 bei. Sollte Boeing gegen die Konditionen des Deals verstoßen haben, wäre eine Aufnahme der ursprünglichen Anklage möglich – diese lautete auf Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten. Die in schweren Turbulenzen steckende Boeing auf Kurs zu bringen, wird also zu einer der größten Herausforderungen in der US-Wirtschaft. Bewältigen kann sie nur ein Externer, der nicht durch die problematische Konzernkultur bei dem Flugzeugbauer vorbelastet ist.

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