Credit Suisse

Eine Bank für die Couch

Hätte Credit Suisse in erster Linie an die Bedürfnisse ihrer Kunden gedacht, wären ihr die jüngsten Milliardenpleiten er­spart geblieben.

Eine Bank für die Couch

Braucht die Schweiz überhaupt noch zwei Großbanken? Die Frage ist be­liebt unter Journalisten. Die Credit Suisse muss sie in jüngster Zeit auffallend oft beantworten. Vergangene Woche bemühte CEO Thomas Gottstein einen Vergleich dafür. Credit Suisse und UBS, das sei wie Real Madrid und FC Barcelona. Der Wettbewerb mache die Liga spannender. Die Analogie lässt tief blicken, wie die nachfolgende Analyse zeigen wird.

Seit Jahren lässt Credit Suisse kaum einen Skandal aus, um ihre Reputation zu beschädigen. Wieso ist sie nicht in der Lage, aus ihren Fehlern zu lernen? Die Frage stellt man sich auf dem Schweizer Finanzplatz schon viel zu lange. Ungenügende Kontrollsysteme, eine unausgegorene Risikokultur oder ganz einfach die falschen Manager – die Antworten sind stets die gleichen, und offensichtlich vermögen sie das Problem nicht in der nötigen Tiefe zu erfassen.

Wäre Credit Suisse eine Person, würde sie vielleicht eine Psychoanalyse in Angriff nehmen, mit dem Ziel, den im Unterbewusstsein angelegten gestörten Verhaltensmustern auf die Schliche zu kommen. Eine juristische Person kann sich zwar nicht auf die Couch des Analytikers legen, aber jedes Unternehmen kann und sollte sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen. Der Schweizer Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann sagt: „Unternehmen haben ein unterentwickeltes Langzeitgedächtnis, aber wie jeder lebendige Organismus tragen sie ein Erbgut in sich. Anhand dieser DNA lassen sich rückblickend viele Wendungen als Zwangsläufigkeiten erkennen.“ Im konkreten Fall der UBS während der Finanzkrise stellt Straumann fest: „Das Problem war nicht, dass die Bankleitung bewusst große Risiken eingegangen ist und sich dabei verspekuliert hat, sondern dass man die Risiken eben genau nicht gesehen hat und sich in falscher Sicherheit wiegte.“

Beim Lesen der internen UBS-Berichte habe man förmlich gespürt, wie die Leute in der Bank „ein wahnsinniges Vertrauen in ihre eigenen Verfahren hatten“. Es habe ständig Sitzungen, Gutachten und andere Gelegenheiten gegeben, um sich der vermeintlichen Überlegenheit der eigenen Verfahren vergewissern zu können. Etwa so, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, sollte man sich vermutlich die Psychologie der Credit Suisse vorstellen. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das dreiste, ja grob fahrlässige und dem guten Ruf der Bank überaus abträgliche Geschäftsgebaren seinen Ur­sprung in einer Art kollektivem Minderwertigkeitsgefühl hat.

Seit 50 Jahren hechelt die traditionsreiche und einstmals größte Schweizer Bank der Rivalin UBS hinterher. Diese war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Zusammenschluss wenig glamouröser Schweizer Regionalbanken hervorgegangen und stieß dank des raschen Ausbaus des Filialnetzes in den 1960er Jahren an die Spitze vor. Credit Suisse ließ sich scheinbar kampflos überholen. Man betreibe keine Prestigepolitik und strebe eine optimale statt einer maximalen Filialdichte an, giftete der seinerzeitige Generaldirektor mit einer wohldosierten Prise Arroganz an die Adresse der rasch aufstrebenden Mitbewerberin.

Aus der anfänglich gesunden Rivalität der beiden Banken scheint sich bei Credit Suisse im Laufe der Zeit ein krankhafter Ehrgeiz entwickelt zu haben. Ihre Erfolgsanstrengungen sind primär darauf ausgelegt, das Ansehen der eigenen Firma in den Augen der Konkurrenz zu steigern, statt dem eigentlichen Unternehmenszweck zu dienen. Das ist die Grundlage von Moral Hazard, wie die Angelsachsen das Verhalten von Wirtschaftssubjekten beschreiben, die notorisch auf besonders riskante Geschäfte setzen. Solche Akteure gewichten die Chancen aufgrund einer einseitigen mentalen Ausrichtung, aber auch aufgrund von fehlgeleiteten finanziellen Anreizen systematisch höher als die Risiken – ein Verhaltensmuster, das im Fall der Credit Suisse leicht zu beweisen ist.

So lässt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Fußballvergleich schließen. Wenn der Wettbewerb zum Selbstzweck wird, ist Vorsicht geboten. Die europäischen Fußballligen sind hoch verschuldet, weil sie ihre Bestrebungen nicht mehr in erster Linie an ihren Fans in der eigenen Stadt, sondern an einem imaginären, viel größeren Publikum im virtuellen Raum ausrichten. Hätte Credit Suisse in erster Linie an die Bedürfnisse ihrer Kunden gedacht, wären ihr die jüngsten Milliardenpleiten er­spart geblieben. Doch offensichtlich folgen auch die Anstrengungen der Bank einem Selbstzweck beziehungsweise dem Streben nach Größe und Erfolg an sich.

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