Kongresswahlen

Eine große Chance für die US-Demokratie

In den USA richten sich Wahlergebnisse fast immer nach der Wirtschaftslage, und trübe Konjunkturaussichten helfen in der Regel der Opposition. Dass die Demokraten bei den Kongresswahlen besser abschnitten als erwartet, lag aber auch daran, dass Wähler dem politischen Extremismus eine klare Absage erteilten. Republikaner und Demokraten sollten nun die Chance zu produktiver Zusammenarbeit nutzen.

Eine große Chance für die US-Demokratie

Vor 30 Jahren hatte der demokratische Stratege James Carville die Prioritäten amerikanischer Wähler in einem Satz akkurat zusammengefasst: „It’s the economy, stupid!“ Im Klartext: Egal welche anderen Probleme die Öffentlichkeit beschäftigen, werden diese immer in den Hintergrund treten, wenn es Wählern wirtschaftlich besonders gut oder besonders schlecht geht. Das bekam der Demokrat Jimmy Carter im Jahr 1980 zu spüren, als die Stagflation zu seiner Niederlage gegen Ronald Reagan beitrug. Zwölf Jahre später waren es dann Carville und dessen Chef Bill Clinton, die aus einer Rezession politisches Kapital schlagen konnten, die dem amtierenden Präsidenten George H.W. Bush zum Verhängnis wurden und zu Clintons Erdrutschsieg führten.

So gesehen sprach alles dafür, dass die Republikaner am Dienstag bei den Kongress- und Gouverneurswahlen einen Durchmarsch feiern würden. Denn auch heute geht es den Amerikanern schlecht. Die Inflation verharrt weiter auf hohem Niveau, und die Angst vor einer Rezession nimmt zu. Jene „rote Welle“, überzeugende Siege der Republikaner also, mit der Experten gerechnet hatten, ist aber ausgeblieben. Zwar sieht es so aus, als würden die Republikaner im Repräsentantenhaus künftig die Mehrheit stellen. Im Senat aber bleibt alles offen, nicht zuletzt deswegen, weil extreme Kandidaten, die der ehemalige Präsident Donald Trump unterstützt hatte, peinliche Schlappen erlitten.

Die Wähler haben also ein klares Wort gesprochen: So sehr sie über Inflation und düstere Konjunkturaussichten besorgt sind, ist das Demokratieverständnis der Amerikaner nach wie vor so ausgeprägt, dass sie keine Kandidaten dulden wollen, die legitime Wahlergebnisse in Frage stellen und in extremen Fällen sogar bereit sind, diese zu kippen. Das ist zugleich eine klare Absage an Trump. Er bekommt nun in der eigenen Partei Gegenwind und wird sorgfältig darüber nachdenken müssen, ob er 2024 tatsächlich wieder antreten will.

Also wird der neue Kongress, der im Januar zusammentreten wird, entweder von Republikanern beherrscht oder zwischen den beiden Großparteien gespalten sein. Sicher ist aber, dass Republikaner ein kräftiges Wort mitreden und Gestaltungsmöglichkeiten haben werden, und sie verdienen allemal die Chance, Farbe zu bekennen und tatsächlich produktive Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Genau das aber wird die entscheidende Frage sein: Wird der Kongress eine Politik verfolgen, die das Land weiterbringt? Wird an die Stelle der Obstruktionspolitik, mit der Republikaner als Oppositionspartei seit 2021 versuchen, Bidens Präsidentschaft zu unterminieren, nun konstruktive Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus treten?

Glaubt man Kevin McCarthy, dem künftigen Mehrheitschef im Repräsentantenhaus, dann sind einerseits Zweifel angebracht. Der Republikaner aus Kalifornien will schärfere Einwanderungsgesetze verabschieden, das Haushaltsdefizit abbauen und eine Schuldengrenze einführen. Dabei ist insbesondere eine Reduzierung der Sozialausgaben zu erwarten. Angedacht ist nämlich eine drastische Kürzung staatlicher Sozialleistungen. Schließlich kokettieren die Republikaner seit Jahren damit, die gesetzliche Rentenversicherung privatisieren und die als Obamacare bekannte Gesundheitsreform kippen zu wollen.

Wem aber wäre damit gedient, wenn das soziale Sicherheitsnetz gerade in einer Zeit zusammengestrichen wird, in der die Wirtschaft in eine Rezession abgleitet und Haushalte auf Unterstützung angewiesen sind? Und sollen striktere Einwanderungsgesetze auch von Anreizen begleitet werden, um qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland, die angesichts der Engpässe am Arbeitsmarkt dringend notwendig sind, in die USA zu locken? Das würde nicht nur die Produktivität steigern, sondern über geringeren Lohndruck auch ein verdienstvoller Vorstoß im Kampf gegen die Inflation sein. Wenn neue Gesetze differenziert sind und auch die Risiken berücksichtigen, etwa im Falle einer Rezession, dann besteht tatsächlich die Gelegenheit, politische Fortschritte zu erzielen.

Die Republikaner haben jedenfalls zusammen mit Demokraten die Gelegenheit, der politischen Dysfunktionalität auf dem Kapitolshügel ein Ende zu setzen und müssen diese Chance nutzen. Denn ein Attribut ist Biden nicht abzusprechen, nämlich die Bereitschaft, mit der Opposition zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu schließen. Die Aussichten auf Fortschritt lassen ebenso Hoffnung aufkommen wie die Tatsache, dass die US-Demokratie gegenüber extremistischen Strömungen eine beachtliche Resistenz bewiesen hat.