Elektro-Lkw fahren weit hinterher
Elektro-Lkw fahren weit hinterher
MAN startet die Serienfertigung für batterieelektrische Lastwagen, Mercedes-Benz begann vor sieben Monaten. Aber noch immer dominiert Diesel klar. Dafür gibt es aus Sicht der Branche vor allem einen Grund.
Von Joachim Herr, München
Die Lkw-Hersteller beteuern, dass sie ihren Beitrag leisten. „Das Produkt ist da“, sagt Alexander Vlaskamp. Dann drückt der Vorstandsvorsitzende von MAN mit Manfred Weber, dem Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, den roten Knopf. Es ist das Startsignal für die Serienproduktion schwerer Elektro-Lkw im Münchner Werk. Hinter ihnen steht eine nagelneue, blitzblanke batterieelektrische Sattelzugmaschine in blassem „Arktik-Blau“.
Auch das Geschäft mit E-Trucks verblasst verglichen mit dem Dieselantrieb. Es ist von bescheidenem Ausmaß, einem sehr bescheidenen sogar. In den ersten drei Monaten dieses Jahres erhielt Traton gerade einmal Aufträge für 466 Einheiten. Gemessen an allen Bestellungen von knapp 59.000 Lkw waren das nicht einmal 1%.
Appelle an die Politik
Der Anteil am Absatz ist noch geringer: Verkauft wurden 259 vollelektrische Lkw. Immerhin bedeutete das für die Nutzfahrzeugholding von Volkswagen eine Verdoppelung verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. MAN ist eine der vier Traton-Marken. Den anderen Herstellern wie Daimler Truck und Volvo ergeht es nicht besser: Elektro-Lkw fahren weit hinterher.

Das liegt aus Sicht der Branche vor allem an der Ladeinfrastruktur. Immer wieder gibt es Appelle an die Politik. MAN-Chef Vlaskamp nutzt Webers Teilnahme an der Startzeremonie mit Beschäftigten und Journalisten für einen dringlichen Aufruf: „Wir benötigen einen massiven Ausbau der Infrastruktur in Europa bis 2030.“ Bezogen auf Investitionen in Ladestationen laufe Europa weit hinterher. Jetzt brauche es den Willen, eine Umkehr durchzusetzen. Aus Vlaskamps Sicht wäre es gut angelegtes Geld, denn ein umweltfreundlicher Transport käme allen Bürgern in Europa zugute. „Wir müssen schnell handeln“, sagt er an Weber gerichtet.
Der Niederbayer Weber, der auch stellvertretender Vorsitzender der CSU ist und sich auf dem Termin in München sichtlich wohlfühlt, antwortet mit typischen Politikersätzen: „Es geht um einen Schritt in eine nachhaltige Zukunft im Logistik- und Transportwesen.“ Die Ladeinfrastruktur habe für die Europapolitik absolute Priorität: „Wir brauchen ein europäischen Flagship-Project.“
EU plant Vorzeigeprojekte
Auf Nachfrage wird Weber dann doch etwas konkreter und erwähnt die Finanzplanung der EU. Im mehrjährigen Finanzrahmen, kurz MFR, für die sieben Jahre nach 2027 solle weniger Geld im Gießkannenprinzip verteilt werden. Nach seinen Vorstellungen werden die Ausgaben nach klaren Prioritäten und auf Vorzeigevorhaben konzentriert. Das soll dann offenbar auch für das Ladestationen-Netz für Elektrofahrzeuge gelten. Auch die Pkw-Industrie wünscht sich ja einen beschleunigten Ausbau. „Die Investitionsprogramme sind da“, fügt Weber hinzu. „Jetzt braucht es Sicherheit und Stabilität.“ In den nächsten Wochen will die Europäische Kommission ihren Vorschlag für den Finanzrahmen präsentieren.

Foto: MAN
Das dritte der drei Elemente für einen Erfolg der Elektromobilität von Lkw ist die Wirtschaftlichkeit. Verglichen mit dem Diesel ist der Preis der MAN-Sattelzugmaschine E-TGX zwar dreimal so hoch. Vlaskamps Rechnung geht aber so: Da die Stromkosten nur ein Drittel ausmachten, mache sich die teurere Anschaffung nach drei bis vier Jahren bezahlt. Wann genau, hänge von dem Fördergeld und den Strompreisen im einzelnen Land ab. Für die wegen ihrer geringen Margen scharf kalkulierenden Käufer von Lkw – zum Beispiel Speditionen – sind die sogenannten Total Cost of Ownership das Maß für Investitionsentscheidungen. Sie umfassen die Anschaffung und alle Betriebskosten während der gesamten Laufzeit – einschließlich Ausgaben für Wartung, Maut und Versicherung sowie Steuern.
Batteriefertigung in Nürnberg
Rund 1 Mrd. Euro lässt sich MAN in diesem Jahrzehnt den Umbau der europäischen Werke kosten, um die Produktion mit Elektro-Lkw zu erweitern. Ein Viertel davon wurde in Nürnberg investiert. Dort lief die Fertigung von Hochvoltbatterien im April an. Jetzt folgte der Start der E-Serie in München, dem Zentrum für schwere Lkw. Hier können auf einer Linie sowohl wie bisher Fahrzeuge mit Dieselmotor produziert werden als auch jene mit batterieelektrischem Antrieb.
Die Produktion ist sehr flexibel. Unabhängig von der Antriebsart werden die Fahrzeuge genau in der Reihenfolge der Bestellungen hergestellt: „Build to order“ heißt dieses Prinzip in der Fachsprache. „Wir sind zu 100 Prozent flexibel und können so eine saubere Auslastung der Produktion erreichen“, sagt Peter Demmel, der Leiter der Montage, auf einem Rundgang in der Halle. 95% der Anlagetechnik würden für beide Varianten eingesetzt. „Damit sparen wir Kosten und Platz“, erläutert der promovierte Ingenieur die Vorteile dieses Prinzips. Und die Mitarbeiter mussten nur wenig Neues lernen. „Insgesamt eine hohe Effizienz“, fügt Demmel hinzu.
Auch Mercedes-Benz ist voll flexibel
Auch Mercedes-Benz Trucks, eine Marke von Daimler Truck, fertigt Diesel- und E-Lastwagen auf derselben Montagelinie. Der Serienstart des schweren Lkw E-Actros 600 war im November 2024. Der Hochlauf sei abgeschlossen, berichtet eine Sprecherin von Daimler Truck. Wie MAN produziert Mercedes-Benz Trucks die Fahrzeuge in Wörth, dem größten Montagewerk des Unternehmens, nach dem Prinzip „build to order“. „So sind wir in der Lage, uns flexibel auf Markt und Nachfrage einzustellen“, sagt die Sprecherin.
Chinas Busse holen auf
Volle Flexibilität ist von Vorteil, jetzt müsste nur noch die Nachfrage anziehen. MAN-CEO Vlaskamp gibt sich davon überzeugt, dass das in den nächsten Jahren passiert. Er erinnert daran, dass MAN im Jahr 2020 mit dem Verkauf von elektrischen Stadtbussen begann. „Heute machen sie 70% unserer Aufträge in Europa aus." Das liegt freilich auch am Willen der Kommunalpolitiker und der Vorbildfunktion, Umweltziele zu erreichen. Und die Batterien der Fahrzeuge lassen sich über Nacht in den Betriebshöfen laden.

Foto: Daimler Truck
Im Gegensatz zu Lkw sind chinesische Hersteller in Europa mit ihren E-Bussen gut sichtbar, vor allem in Großbritannien und Osteuropa. BYD und Yutong haben im E-Segment zusammen einen Marktanteil von geschätzt 15 bis 25% in Europa. In der Branche wird beklagt, sie erkauften sich den Erfolg mit Kampfpreisen. Moniert wird auch, dass Chinesen in Europa keine lokale Wertschöpfung leisten müssen.