Corona-Pandemie

Fatale Impf-Hierarchie

Erst mit einer weltweit gerechten Verteilung von Impfstoffen wird sich die Pandemie eindämmen lassen. Ein politischer Paradigmenwechsel ist auch mit Blick auf andere Krisen an der Zeit.

Fatale Impf-Hierarchie

Die eklatante Unterversorgung ärmerer Länder mit Impfstoff ist nach wie vor eines der gravierendsten Probleme in der globalen Bekämpfung der Corona-Pandemie. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bislang mehr als drei Viertel aller Impfungen in gerade mal zehn Ländern verteilt worden. Die eigens gegründete Covax-Initiative, die für eine gerechte Verteilung der Vakzine sorgen sollte, kommt nicht schnell genug voran – finanzielle Mittel, Lieferzusagen und Spenden reichen nicht aus. Während in den USA und in Europa über Impfmüdigkeit und Immunisierung von Kindern debattiert wird, warten in ärmeren Ländern Risikogruppen, die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und ältere Menschen leider nach wie vor auf den ersten Piks. Das Verschenken von Impfstoff mit nur noch begrenzter Haltbarkeit, weil er hierzulande trotz hoher Wirksamkeit von weiten Teilen der Bevölkerung nicht goutiert wird, kann den neuen Empfängerländern zwar nutzen, wird dort aber schwerlich als solidarischer Akt angesehen werden. Stärkung einer internationalen Gemeinschaft sieht anders aus.

Es ist politisches Versagen nicht nur wegen mangelnder Humanität und Kooperation. Mit dem Festhalten an der fatalen Impf-Hierarchie und nationalem Eigennutz schaden sich die reicheren Länder mittelfristig selbst, denn die Pandemie ist nach nahezu einhelliger Meinung der Wissenschaft nur global zu bewältigen. Notwendig ist eine weltweite Immunisierung, damit nicht immer wieder neue und aggressivere Virusmutationen um sich greifen können. Die Virenstämme machen an Grenzen nicht halt, um sie in Schach zu halten braucht es global eine schnelle und gerechte Impfstoffverteilung.

Auch perspektivisch mangelt es an Initiative. In den Diskussionen auf Ebene der Welthandelsorganisation WTO zeichnet sich bislang keine Lösung ab. Im Herbst vergangenen Jahres hatten Indien und Südafrika die Debatte angestoßen, als sie die temporäre Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe vorschlugen. Forciert wurde diese Diskussion, als die US-Regierung überraschend im Mai dieses Jahres Unterstützung für diesen Vorschlag signalisierte. Nach Einschätzung von Beteiligten ist bei der WTO kein Konsens zur befristeten Patentfreigabe zu erreichen, auch die Mehrheit der EU-Länder hat sich dagegen ausgesprochen und dankenswerterweise ein alternatives Konzept eingereicht. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, Exportverbote für Impfstoffe und Vorprodukte aufzugeben sowie den Auf- und Ausbau von Produktion in ärmeren Ländern zu unterstützen – mit Lizenzvereinbarungen und Investitionsanreizen für die Hersteller der patentgeschützten Originale. Es wäre wünschenswert, dass die WTO-Mitgliedstaaten auf Basis des konstruktiven Vorschlags aus Brüssel rasch eine pragmatische Lösung jenseits der üblichen langwierigen Entscheidungswege finden. Das könnte aber auch nur mittelfristig die Situation verbessern, schnelle Hilfe für die unterversorgten Länder ist gegenwärtig vor allem über Impfstoffspenden und Umverteilung möglich.

Eine Patentfreigabe böte auch mittelfristig keine Lösung. Es wäre nicht nur ein gravierender Eingriff in das geistige Eigentum von Pharmaunternehmen, zahlreiche ärmere Länder haben zudem nicht die technologischen Voraussetzungen, um in eigener Regie schnell eine hochwertige lokale Produktion aufzubauen. Und die Debatte, ob mit öffentlichen Mitteln, also auch dem Geld des deutschen Steuerzahlers, geförderte Impfstoffe von privaten indischen Pharmafirmen ohne Zahlung von Lizenzgebühren hergestellt werden dürfen, möchte man nicht führen. Gleichwohl ist die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die ärmeren Länder im Aufbau einer eigenen Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Die abgehängten Staaten wollen nicht dauerhaft Bittsteller bleiben, zudem lehrt Corona, dass ohne lokale Produktion offensichtlich kein fairer Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten möglich ist. Ein Lichtblick ist der Mainzer Corona-Impfstoff-Pionier Biontech mit dem Vorstoß, in Afrika Kapazitäten aufzubauen und zudem die Entwicklung eines Malaria-Vakzins in Angriff zu nehmen.

Die Pandemie bietet die Chance, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Nicht nur in der Bekämpfung von Corona laufen nationale Strategien ins Leere, weil nur eine globale Kooperation am Ende auch das eigene Land schützt. Das lässt sich auf andere existenzielle Bedrohungen wie Klimakrise und Migration übertragen. Auch hier gibt es ohne internationale Zusammenarbeit und Solidarität dauerhaft keine Lösungen.

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