Unterm Strich

Inflation – Gekommen, um zu bleiben

Mehr als die demografische Entwicklung hat die ungleiche Einkommensverteilung langfristige Folgen für Sparen und Inflation.

Inflation – Gekommen, um zu bleiben

Temporäres Phänomen oder gekommen, um zu bleiben? Die deutlich steigenden Inflationsraten in den USA, der Eurozone und in Deutschland erhitzen die Gemüter und scheiden die Geister der Notenbanker und Ökonomen. Für die künftige geldpolitische Strategie der US-Fed wie auch der Europäischen Zentralbank (EZB) ist die Analyse der Inflationsursachen folglich zur Gretchenfrage geworden. Sie wird auch in den Diskussionen der EZB-Ratsmitglieder eine Rolle spielen, wenn sie in der anstehenden Woche über die weitere geldpolitische Strategie beraten. Reichen Sonderfaktoren, wie in Deutschland der Mehrwertsteuereffekt oder global die durch die Pandemie gestörten Lieferketten sowie statistische Basiseffekte zur Erklärung des Preisschubs aus? Offenkundig nicht bei Steigerungsraten der Verbraucherpreise von inzwischen über 5% in den USA und 3% in Euroland.

Erst der Finger, dann die Hand

Die Sorge wächst, das sich auch strukturell etwas verändert hat, selbst wenn es sich im Datenkranz der Analysen von Notenbankern und Wirtschaftswissenschaftlern noch nicht niederschlägt. Noch gilt die Inflationserwartung dies- und jenseits des großen Teichs als gut verankert. Doch wenn sich die Inflationserwartungen erst einmal gelöst haben von den 2%, dann könnte es schon zu spät sein fürs Gegensteuern und den bisher nur andiskutierten Ausstieg aus Anleihekäufen und Nullzinspolitik. Das jedenfalls ist die Erfahrung aus früheren Inflationsschüben, oft begleitet von einer Lohn-Preis-Spirale. Das freilich ist so lange her, dass sich nur noch ältere Semester überhaupt daran erinnern können. Wie der Ökonom und Gewerkschafter Karl Kühne, der einst formulierte: „Fast immer zeigt sich, dass die berufenen Hüter der Preisstabilität selbst dem Gespenst der Inflation zunächst bewusst den kleinen Finger gereicht hatten, um später verzweifelt zu rufen: ‚Haltet den Dieb…‘, als das Gespenst mit kalter Zuneigung die ganze Hand ergriff.“ Wiederholt sich Geschichte?

Der ökonomische Mainstream hat die seit Jahren trotz ultralockerer Geldpolitik sehr niedrigen Inflationsraten vor allem auf strukturelle Veränderungen wie die Globalisierung, die Digitalisierung und die demografische Entwicklung zurückgeführt. Globalisierung und Digitalisierung haben vor allem den Lohndruck in Grenzen gehalten und in den USA wie auch in Europa über viele Jahre ein weitgehend inflationsfreies Wirtschaftswachstum ermöglicht.

Das Wachstum der Weltbevölkerung und vor allem die Generation der Babyboomer in den USA wie auch Europa haben hier wie dort für steigende Sparguthaben und anhaltenden Druck auf den natürlichen Zins gesorgt. Den Effekt der alternden Bevölkerung auf Sparen und Zinsniveau haben vor allem die Ökonomen Charles Goodhart und Manoj Pradhan analysiert und als wichtigen Parameter auch der Geldpolitik postuliert. In einer Studie der EZB vom Dezember 2018 wird daneben zur weiteren Erklärung des langfristig sinkenden natürlichen Zinses außerdem auf die gestiegene Risikoaversion nach der Finanzkrise und das schwindende Produktivitätswachstum hingewiesen.

Stehen wir jetzt vor einer Trendumkehr? Die Globalisierung wird in Teilen zurückgedreht, Zölle erleben eine Renaissance. Die auch politische Besinnung auf nationale Versorgungssicherheit bei bestimmten Gütern führt zu Einschränkungen der internationalen Arbeitsteilung mit der Folge höherer Kosten und steigender Preise. Qualitative Vorgaben für die industrielle Produktion, insbesondere beim Klimaschutz, werden ebenfalls zu Verteuerungen führen. Und die Babyboomer schalten von Sparen auf Konsum um, wenn sie jetzt und in den nächsten Jahren in Rente gehen. Viele Gründe also, weshalb das Schreckgespenst der Inflation vielleicht auch noch im kommenden Jahr um die Ecke lugt und nicht einfach verschwindet.

Einkommensungleichheit steigt

Einen für die Inflation relevanten, aber bisher wenig beachteten Aspekt haben jüngst die Ökonomen Atif Mian (Princeton), Ludwig Straub (Harvard) und Amir Sufi (Chicago Booth) herausgearbeitet. In einer für das Notenbankertreffen in Jackson Hole vor einer Woche erstellten Studie kommen sie auf der Basis empirischer Analysen zum Ergebnis, dass mehr noch als die demografischen Effekte die zunehmende Ungleichverteilung der Einkommen den natürlichen Zins und die Inflation gedrückt haben. Demnach wird das obere Zehntel der Einkommensbezieher nicht nur immer reicher als die übrigen 90%, es hat vor allem eine wesentlich höhere und weiter steigende Sparquote. In den zurückliegenden 20 Jahren stand in den USA das obere Einkommenszehntel für 30 bis 40% aller privaten Ersparnisse. Es spricht viel dafür, dass sich dieser Trend auch für Europa feststellen lässt, wenngleich weniger ausgeprägt. Während die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen ihren Liquiditätspuffer für die Wechselfälle des Lebens zum Nullzins auf Giro-, Festgeld- oder Sparkonto parken müssen und darüber hinaus wenig Möglichkeiten zum Sparen haben, legen die einkommensstarken Gruppen ihr Geld in renditeträchtigeren Assets wie Immobilien oder Aktien an. Ein teuflischer Kreislauf, der per se die Einkommensungleichheit und den Druck auf den Zins verstärkt – jedenfalls so lange die Notenbanken ihre stark expansive Geldpolitik fort­setzen. Allein schon aus diesen verteilungspolitischen Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik wäre die EZB gut beraten, alsbald ihre Anleihe­käufe herunterzufahren und auch die Nullzinspolitik nicht auf Jahre zu ze­mentieren.

Tapering bricht den Trend

Eine Trendumkehr dürfte angestoßen werden, wenn die US-Fed demnächst tatsächlich mit dem Ausstieg aus den Anleihekäufen (Tapering) beginnt. Die spekulative Luft aus den Aktien- und Immobilienmärkten würde weichen, die Einkommensungleichheit und der Druck auf den natürlichen Zins wieder schwächer. Dann könnte auch die Inflation gekommen sein, um zu bleiben.

c.doering@boersen-zeitung.de

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