Mailand

Italiens Infrastruktur bröselt an allen Ecken und Enden

Die Touristen sind zurück. Vor allem Deutsche, Schweizer und Österreicher nutzten die seit den Pfingstferien gelockerten Einreisebestimmungen nach Italien und sorgten für einen warmen Geldregen an den oberitalienischen Seen, in Ligurien, aber auch...

Italiens Infrastruktur bröselt an allen Ecken und Enden

Die Touristen sind zurück. Vor allem Deutsche, Schweizer und Österreicher nutzten die seit den Pfingstferien gelockerten Einreisebestimmungen nach Italien und sorgten für einen warmen Geldregen an den oberitalienischen Seen, in Ligurien, aber auch in Venedig und generell an der Adria. Die meisten Feriengäste kamen mit dem Auto – und wurden gleich mit der grausamen Wirklichkeit der maroden Infrastruktur des Landes konfrontiert: Ob in Como, im Großraum Mailand, in weiten Teilen der West-Ost-Autobahn zwischen Turin und Venedig, zwischen Bozen und Verona, rund um Florenz und Rom oder in Süditalien – überall gibt es Baustellen und Sperrungen.

Ganz besonders schlimm trifft es Urlauber, die nach Ligurien wollen. Ein Großteil der unzähligen Brücken und Tunnels des dortigen Autobahnnetzes ist baufällig und muss saniert werden. Es wird noch Jahre dauern, bis die bröselnden Bauwerke, die über Jahrzehnte nicht gewartet worden sind, instandgesetzt sind. Kilometerlange Staus und Streckensperrungen sind die Regel. Der Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia, eine Tochter des Infrastrukturkonzerns Atlantia, der zu 30% von der Familie Benetton kontrolliert wird, hat Wartungsarbeiten verzögert und Untersuchungsberichte geschönt. Der Einbruch der Autobahnbrücke von Genua im Sommer 2018, der 43 Todesopfer forderte, ist noch in lebendiger Erinnerung. Nun will der Staat wieder die Kontrolle bei Autostrade übernehmen, doch ob es damit besser wird, ist nicht gesagt. Rom hatte schließlich auch in den letzten Jahren die Aufsicht über das Autobahnnetz und vor der Vergabe der Konzessionen für die Autobahnnetze an Private hatte der Staat schon einmal die Kontrolle darüber – und investierte damals sogar noch weniger in die Wartung. Genua war außerdem kein Einzelfall. 2019 brach eine weitere Brücke bei Genua ein und in einem Tunnel fielen zentnerschwere Teile von der Decke.

Italiens Infrastruktur ist ein Desaster. Das zeigt auch der Fall der Seilbahnkatastrophe von Stresa am Lago Maggiore. Dort riss ein Zugseil und in einer Gondel stürzten 14 Menschen in den Tod. Besonders schlimm war, dass der normalerweise automatisch ausgelöste Bremsmechanismus mit von Menschenhand eingesetzten Klemmen blockiert worden war, um den Seilbahnbetrieb nicht zu stören. Andernfalls wäre der dramatische Unfall wohl verhindert worden. Ähnlich wie im Fall der Autobahnbrücke von Genua waren es eine fehlende Sicherheitskultur und ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein, die wesentlich verantwortlich waren für das Unglück.

Das beginnt oft schon im Kleinen, etwa wenn von oben Balkonteile auf den eigenen Balkon fallen und plötzlich braunes Wasser aus dem Hahn kommt. Es setzt sich fort, wenn etwa das Meer in Ligurien alljährlich zu dicht an die Küste gebaute Bauwerke wegschwemmt und Wassermassen in den Bergen Geröll und Häuser mit sich reißen, weil selbst die steilsten Hänge noch abgeholzt und bebaut werden. In den Straßen Roms stapelt sich derzeit wieder mal der Müll und zieht Ratten, Ziegen und Wildschweine an, weil sich die Stadtverwaltung um Bürgermeisterin Virginia Raggi um die Verantwortung für die Entsorgung des Abfalls drückt. Ähnliches gilt für die U-Bahn-Stationen in der Hauptstadt, die oft monatelang wegen „Wartungsarbeiten“ geschlossen sind. In Wirklichkeit kümmert sich niemand richtig darum. Das gilt leider auch für die Arbeitssicherheit: In den letzten Wochen gab es gleich mehrere tödliche Arbeitsunfälle.

Im Rahmen des europäischen Wiederaufbauprogramms soll nun alles besser werden. Geld für neue Straßen, neuen Schienen, neue Häfen, Flughäfen, Breitbandnetze und vieles mehr. Allein 25 Mrd. Euro sind für neue Bahnhochgeschwindigkeitsstrecken vorgesehen – diesmal vor allem im Süden. Doch vermutlich wird sich auch diesmal nicht viel ändern, denn all das bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn die Infrastruktur nicht auch in der Breite verbessert und gewartet wird.

Trotz allem bleibt Italien ein Land mit vielen Vorzügen – vor allem einer ausgezeichneten Gastronomie, vielen kulturellen und landschaftlichen Höhepunkten. Darauf haben die Touristen, die nun im Stau stehen, in der Corona-Pandemie zu lange verzichten müssen.