Jahr der Normalisierung
Nach dem starken Aktienjahr, in dem etwa der Dax mit nahezu 16% den höchsten Ertrag seit 2013 erzielt hat, steht an den Finanzmärkten ein Jahr der Umbrüche bevor. Es wird damit ein Jahr sein, das mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden ist. Dazu trägt insbesondere die Corona-Pandemie bei, die leider nach wie vor das Geschehen bestimmt beziehungsweise sich als hartnäckiger erweist, als angesichts der gelungenen Entwicklung wirksamer Impfstoffe erhofft worden ist.
So schlecht die Entwicklung mit stark gestiegenen Fallzahlen und der neuen hochansteckenden Omikron-Variante auf den ersten Blick zu sein scheint, mehren sich allerdings die Informationen, die dennoch auf eine Überwindung der Pandemie in absehbarer Zeit und damit auf Sicht auf eine Normalisierung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hoffen lassen. Auch wenn die Informationen noch mit Vorsicht zu genießen sind, ist es ein ermutigendes Zeichen, dass die Variante deutlich weniger schwere Krankheitsverläufe auszulösen scheint. Zudem sind die Fallzahlen in Südafrika, wo sich Omikron im November zuerst rasend schnell ausgebreitet hat, zuletzt sehr stark gesunken, während sich die Zahl der Genesenen deutlich erhöht hat.
Hartnäckiger als zunächst gedacht halten sich auch die Verwerfungen in den globalen Lieferketten beziehungsweise die Knappheiten an wichtigen Produkten und Materialien wie Halbleiter und Holz. Aber auch in dieser Hinsicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis Normalisierung eintreten wird. Insgesamt bedeutet dies, dass die Weltwirtschaft auch 2022 ein gutes Wachstum aufweisen wird, wenn auch die Erwartungen wegen der Verwerfungen etwa zurückgeschraubt werden mussten. Ein Teil der 2021 verloren gegangenen Aktivität wird nachgeholt, sobald etwa aufgrund von Materialmangel aufgeschobene Aufträge umgesetzt werden können. Auch die stark gestiegene Inflation wird sich allein aufgrund von Basiseffekten normalisieren, d.h. ein Stück weit zurückbilden, auch wenn sie wahrscheinlich nicht mehr auf Vor-Corona-Niveau zurückkehren wird.
Aus Sicht der Aktienmärkte ist relevant, dass die Unternehmensgewinne nach der kräftigen Erholung des alten Jahres mit verringertem Tempo weiter wachsen können. Gleichzeitig profitieren Aktien von einer anderen Art Materialmangel. Die Anleiherenditen werden 2022 voraussichtlich moderat steigen, damit aber letztlich sehr niedrig bleiben. Der Mangel an Alternativen und die hohe, Anlagen suchende Liquidität werden die Aktienmärkte stützen.
Der einfache Teil der Hausse, die mit dem im Corona-Crash vom März 2020 erreichten Tief des Dax von unter 8500 Zählern eingeläutet wurde, ist allerdings gelaufen. 2022 dürften die Anlageerträge bescheidener ausfallen und sich damit ebenfalls normalisieren, und auch mit stärkeren Kursschwankungen ist zu rechnen. Dazu wird wahrscheinlich eine weitere Normalisierung beitragen, ein Umbruch, der bereits begonnen hat und für Verunsicherung sorgen dürfte. Die großen Notenbanken haben die Normalisierung ihrer Geldpolitik, die in den zurückliegenden Jahren einer der Haupttreiber der Aktienmärkte war, eingeleitet beziehungsweise gehen nun dazu über, behutsam aus ihren außergewöhnlichen Stützungsmaßnahmen auszusteigen. Die amerikanische Fed wird ihre Anleihekäufe bis zum Frühjahr auf null zurückfahren und hat für 2022 drei Leitzinsanhebungen von jeweils 25 Basispunkten signalisiert, die Bank of England hat als erste der großen Notenbanken der Industrieländer bereits den ersten Zinsschritt getan.
Mit den somit voraussichtlich moderat steigenden Anleiheverzinsungen wird der Bewertungsvorteil von Dividendentiteln, die sich vor allem in den Vereinigten Staaten nun nicht gerade im günstigen Bereich befinden, ein Stück weit geschmälert. Das haben die Anleger im Hinterkopf, so dass nun ein Umfeld entsteht, in dem Korrekturen drohen, sobald etwa eine neue Corona-Variante oder einer der zahlreichen geopolitischen Konflikte für Irritationen sorgen sollten. Das Korrekturpotenzial dürfte an den Aktienmärkten jedoch begrenzt sein, weil das viele Geld an den Seitenlinien auf günstigere Einstiegsgelegenheiten wartet. Einen Fingerzeig für die Grundrichtung der kommenden Monate hat vor diesem Hintergrund wohl eher der Auftakt am Montag gegeben, an dem der Stoxx Europe 600 auf ein Rekordhoch gestiegen ist und der Dax die Marke von 16000 Zählern zurückerobert hat.