Lernfähige Algorithmen

KI bietet breites Anlagepotenzial

Software-Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz steht laut Marktforschern ein kräftiges Wachstum bevor. Für Investoren entstehen dabei breit diversifizierte Partizipationschancen.

KI bietet breites Anlagepotenzial

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Sie ist vielbesungene Zukunftstechnologie und ethischer Streitpunkt: künstliche Intelligenz. Im Zuge des Digitalisierungsschubs während der Coronakrise hat das Thema noch an Relevanz gewonnen – und Software-Anwendungen auf KI-Basis steht im laufenden Jahr laut Marktforschern erneut ein kräftiges Wachstum bevor. Gemäß Prognosen des Analysedienstleisters Gartner wird der Gesamtumsatz im Geschäft mit lernfähigen Technologien 2022 um 21,3% auf nahezu 62,5 Mrd. Dollar klettern. Einerseits dürften demnach angesichts der Corona-Pandemie Lösungen rund um den digitalen Arbeitsplatz noch deutlich an Popularität gewinnen, andererseits sollten die Erlöse aus dem autonomen Fahren stark anziehen.

Das stärkste Wachstum werde aber das Wissensmanagement erfahren. Gegenüber dem Vorjahr dürften die globalen Erlöse in diesem Segment laut Gartner um 31,5% auf nahezu 7,2 Mrd. Dollar steigen. Unternehmen nutzen Knowledge-Management-Systeme, um ihr Wissen und Informationen zu sammeln, organisieren, bewerten und verwalten und somit das Risiko falscher Marktentscheidungen zu verringern. Künstliche Intelligenz trägt in diesem Konzept zu einer stärkeren Skalierung und Effizienzgewinnen bei.

Der praktische Nutzen zeigt sich auch in der Pandemie. „Die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen wäre in dieser Geschwindigkeit nicht ohne vollständig digitalisierte Plattformen, auf denen KI und Machine Learning omnipräsent sind, möglich gewesen“, sagte Brice Prunas, Portfoliomanager des Oddo BHF Artificial Intelligence, im Rahmen einem zweitägigen Anlage- und Finanzforums des Bankhauses Anfang Januar. Das gesamte Ökosystem der US-Arzneimittelhersteller werde künftig über künstliche Intelligenz gesteuert. Insgesamt biete das digitale Gesundheitswesen der Zukunft den spannendsten Anwendungsfall für die Technologie, da für Innovationen im Bereich der Genomik und Zelltherapie gewaltige Datenmengen verarbeitet werden müssten. „Tech-Riesen wie Google, Amazon und Microsoft verfügen als einzige über die dafür nötige Rechenleistung“, schränkt Prunas allerdings ein.

Märkte zeigen Grenzen auf

Regulatoren und Verbraucherschützer dürften eine noch zunehmende Konzentration sensibler Daten in den Händen weniger Großkonzerne argwöhnisch beäugen. Doch auch für Anleger stellt sich damit die Frage, wie sie gezielt in das Wachstumsthema KI investieren können. Laut Oddo BHF gibt es mittlerweile aber ohnehin keinen Wirtschaftssektor mehr, der nicht von maschinellem Lernen beeinflusst ist. So dürften die Internet-Riesen die Technologie nicht nur künftig im Gesundheitswesen anwenden, sondern setzen sie bereits jetzt in ihrem Kerngeschäft ein – Netflix nutzt KI beispielsweise zur Analyse des Streaming-Verhaltens ihrer Nutzer. Indes greifen Banken und Assetmanager bei der zunehmend komplexen Marktanalyse ebenfalls verstärkt auf lernfähige Algorithmen zurück. Allerdings werden an den Finanzmärkten laut Verhaltensforschern auch die Grenzen der heute verfügbaren Technologie offenbar. Denn diese kann zwar auf Basis der Informationen, mit denen sie gefüttert wird, bekannte Muster erkennen und auf diese reagieren – bei vollkommen neuen Entwicklungen aber nicht selbständig kreativ handeln. Gerade in Bezug auf junge Assetklassen wie Kryptowährungen dürfte sie in ihrer heutigen Form daher lediglich als Unterstützung für menschliche Portfoliomanager dienen.

Ähnlich verhält es sich laut Experten in Bezug auf das autonome Fahren. „Künstliche Intelligenz wird Autos nicht vollständig auf sich gestellt fahren können“, sagte Luc Julia, Mitschöpfer der Apple-Spracherkennung Siri und inzwischen Chief Scientific Officer bei Renault, im Rahmen des „Oddo BHF Live“-Forums. Level 5 der Autonomie, auf dem es nur noch Passagiere ohne Fahraufgabe gibt und die Technik alle Verkehrssituationen allein bewältige, werde voraussichtlich nie erreicht. Denn automatisierte Fahrzeuge könnten nur auf bekannte Verkehrssituationen reagieren, Menschen fänden jedoch auch bei neuen Ereignissen Lösungen.

Doch auch auf niedrigeren Niveaus der Automatisierung sehen Branchenvertreter großes Potenzial, zum Beispiel über die Entwicklung margenträchtiger GPS-, Fahrassistenz- und Infotainment-Systeme. Und Autobauer wie Daimler machen auf dem Weg zur Autonomie durchaus Fortschritte. So hat Mercedes-Benz im Dezember vom Kraftfahrt-Bundesamt die weltweit erste behördliche Freigabe für hochautomatisiertes Fahren, also Level 3, erhalten. Unterdessen glauben Fondsmanager wie Tom Slater vom schottischen Vermögensverwalter Baillie Gifford durchaus daran, dass ein höheres Maß an Autonomie wenn auch nicht für die Personenbeförderung, so doch für den Warentransport möglich sein dürfte. Einige aus Anlegersicht spannende KI-Anwendungen könnten sich also früher durchsetzen als erwartet.

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