Labour bittet britische Arbeitnehmer zur Kasse
Labour bittet britische Arbeitnehmer zur Kasse
Im Blickfeld
Labour bittet britische Arbeitnehmer zur Kasse
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves bricht nicht nur die Wahlversprechen ihrer Partei. Sie setzt sich auch über ihre eigenen Beteuerungen hinweg, bei den Steuererhöhungen des vergangenen Jahres habe es sich um ein einmaliges Ereignis gehandelt.
Von Andreas Hippin, London
Gut zwei Wochen vor der Vorstellung des Haushaltsentwurfs der britischen Schatzkanzlerin Rachel Reeves ist klar, dass den Steuerzahlern erneut eine wahre Horrorshow ins Haus steht. Weil sie mit ihren Vorschlägen für Einsparungen bei Sozialleistungen an den eigenen Abgeordneten scheiterte, wird den Steuerzahlern am 26. November eine weitere Runde schmerzhafter Maßnahmen vorgestellt.
Im vergangenen Jahr war Reeves nicht müde geworden, zu beteuern, dass es sich bei ihrem 41,5 Mrd. Pfund schweren Steuererhöhungspaket um ein Einmalereignis gehandelt habe. So tief wollte den Bürgern nicht einmal der Tory-Schatzkanzler Norman Lamont nach Verlassen des Europäischen Währungssystems in die Tasche greifen. Nun geht es vollends ans Eingemachte: Dabei hatte Labour vor der Wahl im Juli vergangenen Jahres versprochen, weder Einkommenssteuer noch Sozialversicherungsbeiträge oder die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Einkommenssteuer im Fokus
Medienberichten zufolge ist nun eine Erhöhung der Einkommenssteuer um zwei Prozentpunkte geplant. Es wäre die erste Erhöhung seit 1975, als Denis Healey (Labour) Schatzkanzler war. Wie die „Times“ berichtet, hat Reeves die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility (OBR) über dieses Vorhaben informiert. Ein Dementi dazu gab es bislang nicht.
„Jeder von uns muss seinen Teil beitragen“, hatte Reeves am Montag vergangener Woche in einer frühmorgendlichen Fernsehansprache gesagt. Ihr Versuch, die Wogen schon vor der Vorstellung des Haushalts zu glätten, löste nur noch mehr Verunsicherung aus.
Wachsende Finanzierungslücke
Zumal sie nicht bereit war, auch nur ein bisschen Verantwortung für das Loch in den öffentlichen Finanzen zu übernehmen. Die konservative Vorgängerregierung, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und der EU-Austritt mussten als Sündenböcke herhalten. Doch merkwürdig: Die angeblich von Rishi Sunak geerbte Lücke von 22 Mrd. Pfund im Haushalt ist trotz Steuererhöhungen in Rekordhöhe nicht geschrumpft. Goldman Sachs schätzt sie auf 30 Mrd. Pfund, was 1% des Bruttoinlandsprodukts entspräche.
Sollte das OBR, wie weithin erwartet, seine Prognose für die Produktivitätsentwicklung senken, könnte sie auch noch größer ausfallen. Wundern würde es keinen. Schließlich steigt die Produktivität nicht, wenn man den Staatsapparat weiter aufbläht und dabei die Bezüge der Beschäftigten im öffentlichen Dienst erhöht.
Rentner im Visier
Nun wäre Labour nicht Labour, wenn nicht so getan würde, als gäbe es einen sozialen Ausgleich für die fiskalpolitischen Grausamkeiten. Angeblich sollen die Sozialversicherungsbeiträge (National Insurance) der Arbeitnehmer um zwei Prozentpunkte gesenkt werden – allerdings nur bis zu einer Einkommensobergrenze von 50.270 Pfund. Die Idee wird Torsten Bell zugeschrieben, dem ehemaligen Chef der linksliberalen Denkfabrik Resolution Foundation, den Reeves ins Schatzamt holte.
Es ist das alte sozialdemokratische Mantra: Die mit den „breitesten Schultern“ sollen die größten Lasten tragen. Es gibt dabei nur einen Schönheitsfehler: Selbstständige und Rentner profitieren nicht von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, denn sie bezahlen keine. Sie trifft die Einkommenssteuererhöhung mit voller Wucht. Von den 8,8 Millionen Pensionären, die Einkommenssteuer abführen, zahlen mehr als eine Million mehr als den Eingangssteuersatz. Zu den größten Verlierern dürften Bezieher von Mieteinkommen und diejenigen gehören, die nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters weiter arbeiten.
„Triple Lock“-Kontroverse
Reeves könnte auf diese Weise die Kontroverse um das sogenannte „Triple Lock“ umgehen. Dabei handelt es sich um das kostspielige Versprechen der Regierung von David Cameron, die Bezüge der Empfänger der staatlichen Rente alljährlich um den höchsten von drei Werten zu erhöhen: die Teuerungsrate, das Lohnwachstum oder 2,5%. Für April 2026 ist damit ein Plus von 4,8% zu erwarten.
Nachhaltig zu finanzieren ist das nicht. Doch wer das „Triple Lock“ knackt, dürfte nur noch wenige Stimmen von älteren Menschen bekommen. Einfacher ist, die Wohlhabenderen unter ihnen mit höheren Steuern und Abgaben zu belegen. Die interessantere Frage dürfte sein, ob die Schatzkanzlerin die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber noch weiter erhöhen will.
KI kostet Arbeitsplätze
Das Chartered Institute of Personnel & Development (CIPD) warnte zuletzt davor, die Arbeitskosten weiter nach oben zu treiben. In einer Umfrage des CIPD gab einer von sechs Arbeitgebern (17%) an, die Belegschaft im kommenden Jahr durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz schrumpfen zu wollen. Ein Viertel (26%) derjenigen, die bei der Belegschaft auf Schrumpfkurs gehen wollen, gab an, die Mitarbeiterzahl um mehr als ein Zehntel reduzieren zu wollen. Das trifft besonders Berufseinsteiger und Büroangestellte.
Stellensuchende bekämen bereits zu spüren, dass sich die Arbeitgeber wegen der gestiegenen Arbeitskosten bei Neueinstellungen zurückhielten, sagte der CIPD-Volkswirt James Cockett. Die erweiterten Arbeitnehmerrechte, die im Employment Rights Bill vorgesehen sind, könnten es Menschen mit weniger Berufserfahrung und größerem Ausbildungsbedarf noch schwerer machen, Arbeit zu finden. Die Arbeitslosenquote erreichte zuletzt 5%. Volkswirte hatten nicht mit so einem schnellen Anstieg gerechnet.
Glaubwürdigkeit am Bondmarkt
Für Reeves geht es angesichts der explodierenden Kosten für den Schuldendienst vor allem darum, am Bondmarkt glaubwürdig zu wirken. Solange man ihr dort glaubt, dass sie lieber die Steuern erhöht als neue Schulden zu machen, dürfte sich der Renditeanstieg britischer Staatsanleihen (Gilts) in einem beherrschbaren Rahmen bewegen. Dafür macht sie auch vor heiligen Kühen nicht halt.
Kraftstoffsteuerausfälle durch die Elektrifizierung des Straßenverkehrs könnten dadurch aufgefangen werden, dass Batterieautobesitzer per gefahrenem Kilometer zur Kasse gebeten werden. Auch die Erhebung von Gewerbeimmobiliensteuer auf Parkplätze mit Ladesäule wird im Schatzamt erwogen.
Parteifreunde als Risiko
Das größte Problem, mit dem die Labour-Finanzpolitikerin zu kämpfen hat, ist die Ahnungslosigkeit der zahllosen neuen Abgeordneten der Regierungspartei, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht. Viele wollen einfach die Notenpresse anwerfen, um ihre sozialpolitischen Wunschträume zu finanzieren.
