Liebesbeziehungen der anderen Art
Notiert in Tokio
Liebesbeziehungen der anderen Art
Von Martin Fritz
Bei einer Umfrage des Personalvermittlers Recruit unter 20- bis 49-jährigen Japanern gab rund ein Drittel der Befragten an, noch nie eine Liebesbeziehung eingegangen zu sein. Doch gemäß einer anderen Umfrage des Messengerdienstes Line drücken rund 60% der Japaner ihr Gefühl von Liebe und Zuneigung noch auf einer anderen Ebene aus: Sie haben einen „Oshi“, wörtlich übersetzt „Empfehlung“ und im übertragenen Sinn eine „Sache, die stark unterstützt wird“.
Fans treiben den Privatkonsum
Das kann ein/e Schauspieler/in, Künstler/in, Sportler/in oder ein Bandmitglied sein, eine Figur aus einem Anime, Manga oder Videospiel, auch Tiere, Züge und vieles mehr. Zu den beliebteren Oshi zählen Virtual Youtubers (VTubers), Entertainer, die sich online als Avatar präsentieren, Konzerte live streamen und mit Fans interagieren. Jedem Mitglied einer Boy Group oder Girl Group wird in Japan oft eine Farbe zugewiesen. Wenn die Mitgliedsfarbe meines Oshi in dieser Band gelb ist, dann tragen seine oder ihre Fans gelbe Kleidung oder fahren ein gelbes Auto.
Diese Art von Fankultur erlebte in der Zeit der Pandemie ihren Aufschwung und etablierte sich danach als feste Größe. Mehrere Animes, Manga und ein preisgekrönter Roman thematisierten sie schon, während Ökonomen darin einen neuen Motor für den Privatkonsum sehen. Die Marketingfirmen CDG und Oshicoco schätzten das Ausgabenpotenzial für Oshikatsu (Oshi-Aktivitäten) kürzlich auf 3,5 Bill. Yen (20 Mrd. Euro). Gemeint ist etwa der Kauf von Fanartikeln wie Sammelkarten und Minifiguren, der Besuch von Konzerten, die Veranstaltung von Privatpartys am Geburtstag eines Oshi und Reisen zu Orten, die mit dem Oshi verbunden sind.
Banking-App mit Gamefiguren
Die Oshikatsu-Ausgaben dürften noch zunehmen, da die Unternehmen gerade erst auf die neuartige Nachfrage reagieren. East Japan Railways zum Beispiel bietet neuerdings Eisenbahnfans auf bestimmten Bahnstrecken exklusive Videos und Smartphone-Hintergrundbilder von bekannten VTubern an. Japans größte Bank MUFG lancierte Anfang Juli eine Banking-App mit Figuren aus dem Franchise „The Idolm@ster“. Wer ein Konto bei der neu kreierten „Buzz Bank“ eröffnet, kann seine oder ihre Lieblingsspielfigur in den Screen-Hintergrund einbauen und bekommt einen Plexiglasständer mit ihr.
Oshi-Aktivitäten stillen nicht nur die Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit, ohne dass die Fans vom Objekt ihrer Unterstützung eine Gegenleistung erwarten. Sie dienen vielen nach eigenen Angaben dem Abbau von Stress, beleben sie und bringen ihnen soziale Kontakte ein, wenn sie Freunde mit der gleichen Leidenschaft finden und sich mit ihnen austauschen. Der Soziologe Masahiro Yamada sieht darin ein Rezept gegen die Einsamkeit. Die Kehrseite dieser Kultur ist, dass Fans auch so fanatisch werden können und ihr ganzes Geld für Oshi-Aktivitäten ausgeben. Und sie leiden natürlich, wenn ihr Oshi vom Ideal abweicht, etwa, wenn ein beliebter Sänger oder Schauspieler bei einer sexuellen Belästigung oder bei Drogenkonsum ertappt wird.