Im BlickfeldKrise in der Solarindustrie

Man stirbt nur zweimal: Das bittere Déjà-vu der Solarbranche

Krisensitzung in Brüssel. Ampelstreit um einen "Resilienzbonus" in Berlin. Trotz immer neuer Zubaurekorde muss die heimische Solarwirtschaft zum wiederholten Mal einen ungleichen Kampf ausfechten.

Man stirbt nur zweimal: Das bittere Déjà-vu der Solarbranche

Man stirbt nur zweimal: Das bittere Déjà-vu der Solarbranche

Krisensitzung in Brüssel. Ampel-Streit um einen „Resilienzbonus“ in Berlin. Trotz immer neuer Zubaurekorde muss die heimische Solarwirtschaft zum wiederholten Mal einen ungleichen Kampf ausfechten.

Von Andreas Heitker, Berlin

Die Situation in der deutschen Solarwirtschaft mutet auf den ersten Blick paradox an: Der Zubau an Fotovoltaik-Kapazitäten hat sich 2023 nahezu verdoppelt. Die Wachstumsaussichten sind fantastisch. Und dennoch herrscht Krisenstimmung – spätestens seit der Ankündigung des Modulherstellers Meyer Burger, seine Produktion im sächsischen Freiberg einzustellen und lieber in den USA zu investieren. Denn nicht nur diese 500 Arbeitsplätze könnten demnächst wegfallen. Auch andere Unternehmen – wie etwa Solarwatt in Dresden – haben schon einen Abbau von Stellen angekündigt. Weitere Schließungen drohen.

Von der Aufbruchsstimmung in der Branche, der vor nicht allzu langer Zeit eine stärkere politische Unterstützung versprochen worden war, ist nicht mehr viel übrig. Eigentlich war in Berlin und Brüssel ja spätestens mit Kriegsausbruch in der Ukraine erkannt worden, dass man übergroße wirtschaftliche Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern oder Ländern besser vermeiden sollte, insbesondere in Schlüsselsektoren wie der Energiewirtschaft. Das Bundeskabinett brachte im August das Solarpaket I auf den Weg, um Hürden für den Fotovoltaikausbau aus dem Weg zu räumen und zugleich die heimische Produktion zu stärken. Auf EU-Ebene sollte die Branche insbesondere vom Net-Zero Industry Act und von einem neuen Beihilferahmen profitieren.

Die Realität sieht anders aus: Der europäische Markt wird von Billigangeboten aus Asien geflutet, denen die heimischen Hersteller wenig entgegenzusetzen haben. Das Bundeswirtschaftsministerium warnte zu Wochenbeginn insbesondere noch einmal vor der Abhängigkeit von Importen aus China, das mittlerweile einen Weltmarktanteil von rund 75% hat. Laut Ministerium wurden in der EU 2023 Fotovoltaikanlagen zur Stromproduktion von 56 Gigawatt (GW) aufgebaut, rund ein Viertel davon in Deutschland. Künftig sollen es sogar 80 bis 90 GW pro Jahr werden. In der gesamten EU gibt es in der Modulproduktion allerdings nur noch Kapazitäten von knapp 4 GW. Entlang der Wertschöpfungskette Ingots, Wafer und Zellen sind die heimischen Produktionskapazitäten sogar noch sehr viel geringer. Der Rest kommt von den meist preisgünstigeren Wettbewerbern aus Asien.

Angesichts der Bedeutung der Solarindustrie für die Energiewende sind neue Handelsbeschränkungen gegen diese Konkurrenz – etwa in Form von Zöllen – aber kontraproduktiv und politisch kaum durchzusetzen. Dies wurde am Montag auch im EU-Energieministerrat deutlich, der mit Vertretern der Branche über die Krise beraten hat. Es gebe unterschiedliche Vorschläge zur Unterstützung der Industrie, betonte EU-Energiekommissarin Kadri Simson. „Aber offensichtlich können wir nicht die Grenzen schließen, weil wir Solarpanele brauchen.“ Die Bundesregierung schlug bei dem Treffen in Brüssel laut Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold „europäische Resilienzausschreibungen“ vor, die die nationalen Ausschreibungen ergänzen und der heimischen Solarwirtschaft zugutekommen sollen.

Ampelstreit ums Solarpaket

Dieser „Resilienzbonus“, der bei Anlagen mit einem bestimmten Mindestanteil an europäischen Komponenten zum Beispiel eine höhere Vergütung erhält, ist aber schon in der deutschen Debatte ein Reizwort. Das Thema hat dazu geführt, dass das Solarpaket I mit all seinen Erleichterungen noch immer im Bundestag feststeckt. Die FDP will eine solche neue Subvention nicht mittragen, hat aber auch keine konkreten Gegenvorschläge vorgelegt. Der erneute zähe Richtungsstreit innerhalb der Ampel-Koalition sollte zuletzt eigentlich noch im Februar gelöst werden, was aber nicht gelungen ist. Neues Ziel ist nun eine Einigung in den noch verbliebenen zwei Sitzungswochen des Parlaments bis Ostern.

Dem Vernehmen nach verhandeln FDP, Grüne und SPD mittlerweile auf der Ebene ihrer Fraktionsvizevorsitzenden. Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warnte bereits, die Verzögerungen könnten erhebliche Folgen gerade für die ostdeutsche Solarwirtschaft haben. „Wir schauen da mit Sorge drauf.“ Dröge verwies darauf, dass das Solarpaket eigentlich auch ein großes Entbürokratisierungspaket sei. Daher sei es „ein bisschen absurd, dass sich ausgerechnet die Verhandlungen über Entbürokratisierung aktuell so bürokratisch gestalten“.

Dabei haben die Liberalen durchaus auch Fürsprecher aus dem Solarsektor – unter anderem von Installateuren, die von den günstigen Angeboten aus Fernost profitieren. Die Newcomer in der Branche Enpal, 1Komma5 Grad, Energiekonzepte Deutschland (EKD) und Zolar, die 2023 zusammen auf 8.000 Beschäftigte und einen Umsatz von über 2 Mrd. Euro kamen, warnten im Januar gemeinsam, dass Resilienzboni für Endkunden Fehlanreize setzten und die politischen Steuerungsmöglichkeiten einschränkten.

Die Kosten einer solchen Förderung über eine „plumpe Erhöhung der Einspeisevergütung“ seien nicht eingrenzbar. Auch könne das limitierte Angebot heimischer Fotovoltaikmodule die wohl hohe Nachfrage gar nicht bedienen, so die vier Unternehmen, die lieber vorgelagerte Wertschöpfungsschritte wie die Wafer-, Ingots- und Zellproduktion in Europa ausgebaut und gefördert sähen. „Andernfalls droht durch den Resilienzbonus für Endkunden eine massive Überlastung der europäischen Fotovoltaikproduktion.“

Unterschiedliche Strategien

Ende Februar hat Enpal noch einmal nachgelegt: Das Berliner Start-up kündigte an, ein europaweites Konsortium für die heimische Fertigung von Solarmodulen zu sondieren. Der Schweizer Modulhersteller Meyer Burger zieht dagegen die Reißleine und hat der deutschen Politik nun noch bis Mitte März Zeit gegeben, konkrete Lösungen für die Produktion in Freiberg vorzuschlagen. Das Bundeswirtschaftsministerium will Meyer Burger bislang nur eine Exportgarantie für den Aufbau einer Modulproduktion in den USA geben – aber nur unter der Bedingung, dass zumindest der zweite Standort des Unternehmens in Sachsen, in Hohenstein-Ernstthal, erhalten bleibt.

Die ganzen Sondierungen finden vor dem Hintergrund eines geradezu explodierenden globalen Wachstums des Fotovoltaikmarktes statt. Laut Schätzungen von Bloomberg NEF dürften die weltweiten Kapazitäten in diesem Jahr auf 520 bis 655 GW von zuletzt 442 GW (2023) ansteigen. Gegenüber 2021 hätten sich die Kapazitäten zur solaren Stromerzeugung damit verdreifacht.

Weltmarkt boomt

In Deutschland, dem immer noch mit Abstand größten Fotovoltaikmarkt in Europa, sieht das Bild ähnlich aus: Bereits 2023 hat es einen Rekordzubau von mehr als 14 GW gegeben. Der Anteil der Solarenergie an der deutschen Stromproduktion liegt mittlerweile bei 12% – Tendenz stark steigend. Aus dem derzeitigen Fotovoltaikbestand von 82 GW sollen bis 2030 laut den EEG-Ausbauzielen der Bundesregierung 215 GW werden.

Und trotzdem bleibt die Sorge, dass die wenigen deutschen Modulhersteller, die den Kahlschlag zu Beginn der 2010er Jahre überlebt haben, als die Chinesen die damals führenden Europäer aus dem Markt drängten, dieses Mal keine Chance haben. „Die europäische Solarindustrie steht zum zweiten Mal in ihrer Geschichte an einem Scheideweg“, warnten in dieser Woche auch ostdeutsche Linken-Politiker in einem Brief an den Bundeskanzler, den Wirtschafts- und den Finanzminister. Darum müsse es ein Sofortpaket zur Unterstützung der Branche geben. Doch dazu müssten sich die drei Ampel-Parteien erst einmal auf einen gemeinsamen Weg einigen.