Im BlickfeldBiologische Vielfalt und Banken

Biodiversität für Banken nur hehres Ziel

Ökosysteme als Bilanzfaktor: Die Finanzbranche bewertet Biodiversität zunehmend als wesentlich. Eine Umfrage zeigt Fortschritte – aber auch Zurückhaltung bei Strategie, Reporting und Steuerung.

Biodiversität für Banken nur hehres Ziel

Biodiversität für Banken nur hehres Ziel

Die Finanzbranche bewertet biologische Vielfalt zunehmend als wichtig. Daten zeigen Fortschritte – aber auch Zurückhaltung bei Strategie, Reporting und Steuerung.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die deutsche Finanzbranche entdeckt Biodiversität als harten Faktor. Was vor wenigen Jahren noch am Rande abgehandelt wurde, rückt inzwischen in Prozesse von Risiko, Strategie und Aufsicht. Das zeigt eine Erhebung des Sustainable Finance Cluster Germany. Die Befragung zeigt: 72% der teilnehmenden Kredit- und Förderinstitute stufen den Schutz von Ökosystemen heute als „wesentlich“ ein, doch erst 40% erfüllen sämtliche Offenlegungs­pflichten der EU-Corporate-Sustainability-Reporting-Directive (CSRD). Mehr als die Hälfte verzichtet vorerst auf einen eigenständigen Biodiversitätsbericht, während 86% Aufwand und Kosten als größte Hürden nennen.

Biodiversitätsstrategie fehlt meist

„Nahezu alle befragten Institute haben Biodiversität als wichtiges Thema identifiziert“, sagt Matthias Hübner, Director beim Sustainable Finance Cluster. In der zeitlichen Abfolge lassen sich laut Hübner drei Schritte erkennen: „Viele Institute starten mit einer umfassenden Portfolioanalyse, das haben die meisten bereits gemacht. Danach folgt in der Regel die Festlegung eines oder mehrerer Biodiversitätsziele. Hier zeigt sich aktuell ein gemischtes Bild." Letzter Schritt sei eine umfassende Biodiversitätsstrategie, diese stehe bei den meisten noch aus. Thematisch halten laut Hübner viele Institute „die Auswirkungen auf Landnutzung und Umweltverschmutzung sowie die Abhängigkeit von Wasserverfügbarkeit und -qualität für essenziell.“

Immer mehr Vorgaben

Der Handlungsdruck entsteht vor allem durch regulatorische Vorgaben. Die CSRD setzt Naturkapital erstmals neben Klimarisiken, die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) formulieren Berichtspunkte, und die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) liefert ein Raster fürs Risikomanagement. Die Deutsche Bundesbank identifizierte im Juni 2025 in ihrem Bericht „Climate-related Disclosures“ die „gegenseitige Verstärkung von Klima- und Naturverlust“ als potenzielle Quelle für Kreditrisiken.

In den Banken entstehen derweil unterschiedliche Organisationsformen. Manche verankern Biodiversität in Nachhaltigkeits- und Risikoabteilungen, andere bilden bereichsübergreifende Taskforces oder unterstellen das Thema direkt dem Vorstand. Die Herangehensweise ist meist pragmatisch: Zunächst Transparenz schaffen, dann steuern. Deshalb beginnen Institute mit Grob-Screenings ihrer Kredit- und Investmentportfolios. Universell verbreitet sind Tools wie Encore, vielfach ergänzt um den WWF-Biodiversity-Risk-Filter. Diese Tools lokalisieren Hotspots, etwa große Flächenversiegelung in der Projektfinanzierung oder Wasserknappheit in exportorientierten Lieferketten.

Häufig genannte Risikotreiber sind Landnutzungs­änderungen, Verschmutzung und Klimawandel; auf der Abhängigkeitsseite dominieren Wasserverfügbarkeit und -qualität. Wirklich tiefgehende Risikoanalysen beim Thema Biodiversität, die Wechselwirkungen im Geschäftsmodell quantifizieren und in Limits übersetzen, bleiben vorerst Ausnahmen.

Minimalanforderungen erfüllt

In vielen Nachhaltigkeitsberichten besteht zum Thema Biodiversität Nachholbedarf: „Die Berichte erscheinen, als würden sie die Compliance-Anforderungen eher erfüllen, als dass sie aussagekräftig über die Nachhaltigkeitsstrategie, Maßnahmen und den gewünschten Einfluss auf unsere stille Stakeholderin – Mutter Natur – berichten“, sagt Ev Bangemann, ESG-Spezialistin bei EY. Dabei sei gerade diese Ausrichtung entscheidend. „Die Natur ist die Grundlage für nachhaltige, widerstandsfähige und rentable Geschäftsmodelle.“

„Biodiversität ist komplexer als Klima. Es geht um Wertschöpfungsketten, Standorte und sektorale Abhängigkeiten, nicht um eine einfache Emissionszahl“, sagt Christoph Betz, Partner bei KPMG mit Fokus auf Sustainable Finance. Bisher beobachte man „eine eher grundlegende Erstbefassung: Transparenz schaffen, Risiken grob einordnen; weitergehende KPIs oder Transitionspläne sind bisher Fehlanzeige“. Außerdem seien positive Effekte schwer zu monetarisieren: „Die großen Geschäftschancen sind noch rar und eher Wunschdenken. Erhalt der Natur bringt bislang kaum Ertrag; das bleibt überwiegend Entwicklungsbankengeschäft.“

Große Portfolios vor der Tür

Die Förderbank KfW kündigte im Mai an, ihr 12,6-Milliarden-Euro-Portfolio für Umwelt- und Klimafinanzierungen künftig über im Rahmen der EU-Initiative „Global Gateway“ aufgelegte Plattformen und Fonds zu erweitern, um privates Kapital für Biodiversitäts­investitionen zu mobilisieren. Die Deutsche Bank setzt im Wealth Management auf eDNA-Messprogramme, um Artenvielfalt rund um Blue-Economy-Investments fortlaufend zu überwachen. Institute wie die Commerzbank schärfen Ausschlusskriterien gegen Entwaldung und testen Sektorrichtlinien.

Integration fraglich

Offen bleibt, wann Naturkapitalkennzahlen tatsächlich in Pricing-Modelle und Limit-Systeme der Banken einsickern. Anders als beim CO2-Fußabdruck existiert keine einzelne Leitgröße; vielmehr verlangen heterogene Ökosysteme, regionale Besonderheiten und lange Wirkungszeiträume eine komplexe Daten­architektur. Aufsicht, Wissenschaft und Datenprovider werden bei Biodiversität noch stärker kooperieren müssen, um robuste Indikatoren zu entwickeln.

Die Finanzbranche steht am Beginn eines Anpassungsprozesses, der verlässliche Daten, einheitliche Standards und tragfähige Modelle für Naturkapital erfordert. Fortschritte gelingen nur, wenn Institute ihr Know-how bündeln, gemeinsame Klassifikationen entwickeln und biodiversitätsbezogene Produkte testen. Wer frühzeitig belastbare Systeme zur Bewertung von Naturrisiken etabliert, kann zudem Reputationsrisiken begrenzen.

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