Kolumne „Unterm Strich“

Schrumpfen ist keine Lösung

Degrowth, also Schrumpfen und Konsumverzicht statt Wirtschaftswachstum, wäre das falsche Rezept im Kampf gegen Klimawandel und Armut auf der Welt.

Schrumpfen ist keine Lösung

Es gibt immer mehr Menschen, die sich ganz bewusst der täglichen Nachrichtenflut entziehen. Sie löschen ihre Accounts bei den sozialen Medien, hören oder schauen keine Nachrichtensendungen mehr, lesen keine Tageszeitungen. Und wenn man den Berichten dieser Menschen glauben darf, geht es ihnen seither besser. Denn die permanente Krisenberichterstattung der Medien hatte sie krank gemacht, hatte Zukunftsängste und Weltuntergangsstimmung ausgelöst. In der Tat: Viele Medien, auch die sogenannten sozialen, funktionieren nach dem Prinzip „Only bad news is good news“ und überschlagen sich in der Berichterstattung über Katastrophen. Insbesondere Naturkatastrophen wie Hitzewellen und Überschwemmungen, die mit dem Klimawandel in Bezug gesetzt werden, lassen den Eindruck entstehen, dass es längst „fünf nach zwölf ist“ auf dieser Welt – und der Weltuntergang nur noch eine Frage der Zeit.

Natürlich ist der menschengemachte Klimawandel Fakt und keine mediale Erfindung, doch apokalyptische Szenarien und Panik helfen selten bei der Bewältigung von Problemen. Es soll hier nicht um die kriminellen Aktionen von Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ gehen, denen jedes Mittel zum Erreichen ihrer Ziele recht scheint. Doch auch eher nüchterne Zeitgenossen wie Ökonomen stellen die Systemfrage. Sie sehen den Kapitalismus und dessen vermeintlich systemimmanenten Wachstumszwang als Ursache des Klimawandels und als Hindernis auf dem Weg zu ökologischer Nachhaltigkeit.

Zwar hat es auch unter Ökonomen schon immer Weltuntergangspropheten gegeben, die Armut und Hunger als unausweichliche Folge einer kapitalistischen Gesellschaft ansahen. Einer der bekanntesten war der britische Ökonom Thomas Robert Malthus, der Ende des 18. Jahrhunderts das stetige Wachstum der Bevölkerung („Bevölkerungsfalle“) als Ursache von Armut und Verelendung betrachtete. Malthus behauptete, die Bevölkerung wachse exponentiell, die Nahrungsmittelproduktion aber nur linear. Dies sei Ursache eines naturgesetzlichen Zyklus: Hunger, Armut und Verelendung führten zu Krankheiten und Seuchen, die dann die Bevölkerung reduzierten, bis der Zyklus von Neuem beginne. Da er dem Markt nicht zutraute, diese Falle zu schließen, empfahl er Regulierung zur Lösung des Problems, nämlich Bevölkerungskontrolle wie spätere Heiraten und Enthaltsamkeit.

Grenzen des Wachstums?

Was würde Malthus wohl heute sagen, wo die Welt nicht wie zu seiner Zeit von eine Milliarde Menschen, sondern schon bald von acht Milliarden Menschen bevölkert wird? Wo nicht – wie vor 200 Jahren – ein Großteil der Menschheit, sondern „nur“ etwa 10% unter Hunger leiden? Letztere nicht deshalb, weil es auf der Welt zu wenig Lebensmittel gibt, sondern weil diktatorische und korrupte Regime davon profitieren. Fakt ist, dass in demokratischen und „kapitalistischen“ Gesellschaften die Effizienzgewinne durch technologischen Fortschritt weitaus größer sind als das Bevölkerungswachstum. Selbst der chinesische Staatskapitalismus hat erfolgreich den Hunger bekämpft. Trotz seiner falschen Annahmen und Schlussfolgerungen lebt Malthus aber in den Debatten dieser Tage fort. Wachsende Bevölkerung und damit wachsender Konsum würden zum ökologischen Kollaps führen, so das Credo der Neo-Malthusianer. Stattdessen sei eine Strategie des Schrumpfens zu verfolgen, zumindest in den „reichen“ Ländern. Da der Kapitalismus das Wachstum der Wirtschaft und damit der Bevölkerung und des Konsums ermögliche, müsse man ihn beseitigen.

Den Markt unterschätzt

Dass dauerhaftes Wirtschaftswachstum nicht möglich sei, dass es die Ressourcen der Erde erschöpfe und die Umwelt und damit auch die Grundlagen des Lebens zerstöre, war bereits vor 50 Jahren ein Szenario, das viele Menschen alarmierte. 1972 hatten Wissenschaftler im Auftrag des „Club of Rome“ eine Studie mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. In den Modellrechnungen zum Wechselspiel zwischen Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Umweltwirkungen kamen die Wissenschaftler zum Ergebnis, dass ein unbegrenztes Wachstum bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zum Zusammenbruch der Zivilisation führen könnte. Vor 50 Jahren freilich stand die Endlichkeit der Ressourcen im Fokus, insbesondere der Erdölvorkommen. Heute wissen wir, dass die damaligen Annahmen falsch waren. Die Modelle berücksichtigten weder den technologischen Fortschritt angemessen noch die Substitution von Ressourcen bei zunehmender Knappheit beziehungsweise steigenden Preisen.

Steigende Preise wären auch der Hebel, um die heute im Fokus stehenden Klimaprobleme in den Griff zu bekommen. Doch was machen die Politiker weltweit, wenn die Preise beispielsweise von Öl und Gas kräftig steigen? Sie deckeln die Preise und subventionieren den Verbrauch. Nicht nur um Wiederwahl bangende Politiker in Demokratien, sondern auch Autokraten fürchten den Volkszorn. Ein weiteres Problem ist, dass wir bei der Bepreisung der Umweltbelastung erst am Anfang stehen. Dies hat technische, aber mehr noch politische Gründe. Denn auch diese Preise muss sich die Bevölkerung erst mal leisten können. Wer jedoch Wachstumsverzicht will, muss steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen in Kauf nehmen. Zwischen negativem Wachstum und Beschäftigung gibt es einen starken, empirisch belegten Zusammenhang.

Dies ist der Grund, weshalb die Degrowth-Forderungen sich zwar bei Klimaaktivisten und Grünen-Anhängern gewisser Beliebtheit erfreuen, in der Regierungspolitik aber noch keine Rolle spielen – und wohl nie spielen werden. Denn wer will schon von Untergangsapologeten regiert werden, wenn bereits die vielen Krisennachrichten krank machen?

c.doering@boersen-zeitung.de

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