Sondervermögen kaschiert Unvermögen
Standortpolitik
Sondervermögen kaschiert Unvermögen
Von Stephan Lorz
Die SPD verweigert sich echter Sozialreformen. Das wirft den Wirtschaftsstandort aus der Bahn – Sondervermögen hin, Investitionsoffensive her.
Die Selbstblockade der Bundesregierung bei Sozialreformen setzt den ganzen Wirtschaftsstandort aufs Spiel. Sie lässt zudem Sondervermögen und die jüngste Investitionsoffensive ins Leere laufen. Auch wenn Bundeskanzler Friedrich Merz beim Investitionsgipfel noch den Standort über den grünen Klee lobte und von „Aufbruch“ sprach: Wenn der Sozialstaat weiter so vor sich hin wuchert, er immer mehr Steuermittel für sich vereinnahmt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer angesichts rasant steigender Beitragslasten ihre Zukunftshoffnungen fahren lassen, wird das nichts mit Modernisierung und Neustart der deutschen Wirtschaft.
Dass die Koalition tatsächlich den großen Reformwurf wagen wird, ist zweifelhaft. Denn Teilen der CSU und der SPD scheint es nur wohl ums Herz zu sein, wenn es etwas zu verteilen gibt. Die Mütterrente und die Einführung einer Haltelinie bei der Rente sind Beispiele hierfür. Bei der Konsolidierung des Sozialstaats indes geht nichts voran. Schon die jüngste Ankündigung von Merz, sich im Herbst des Themas annehmen zu wollen, wurde von der SPD zurückgewiesen und ggf. damit verbundene Leistungskürzungen wurden von vornherein ausgeschlossen.
Belastung für die Mitte der Gesellschaft
Wie die Beifallsbekundungen der SPD beim Vorschlag des DIW für einen „Boomer-Soli“ zeigen, steckt hinter der Blockadehaltung mehr: Sie ist Ausdruck einer ideologischen Vorfestlegung. Nicht das System soll reformiert oder auf Veränderungen reagieren, sondern die Belastungen sollen nur neu verteilt werden. In diesem Fall sollen wohlhabende Rentner zahlen; bei anderen Baustellen werden auch gerne „die Reichen“, „die Wirtschaft“ oder – schlicht – „das Kapital“ herangezogen. Damit kann Merz gleich jede Reformoption vergessen. Deshalb setzt er wohl so sehr auf die Investitionsmilliarden – Sondervermögen soll Unvermögen kaschieren.
Längst scheint sich die SPD mit ihrer Rolle einer Kleinpartei abgefunden zu haben. Ihre neue Politik wirft die Partei obendrein weit hinter ihr Godesberger Programm zurück und die Arbeiter, welche die Partei einmal groß gemacht haben, werden letztlich zu ihrer Melkkuh. Alle „Vorschläge“ zur Umverteilung und Umfinanzierung der Sozialversicherungen laufen nämlich darauf hinaus, dass vor allem die Mitte der Gesellschaft immer mehr Geld für die Sozialkassen abdrücken muss. Die Masse der eigentlich adressierten Reichen ist schlicht zu gering, um die Systemprobleme auszuräumen – und obendrein wächst mit der Belastung die Gefahr ihres Exits aus Deutschland.
Realitätsferne Haltung der SPD
Diese realitätsferne Haltung setzt die SPD auch in ihrer Wohnungspolitik fort. Die Dringlichkeit zur Schaffung von mehr Wohnraum wird zwar regelmäßig bekundet, wenn es aber um die Umsetzung geht, gelten Mietpreisbremse und Enteignung als die probaten Instrumente dafür. Dass es Vermieter und Bauherren eher abschreckt, scheint sie nicht zu kümmern, weil sie offenbar nur die Wohnungsbaukonzerne vor Augen haben, denen sie einst die staatlichen Wohnungen verkauft haben.
Der Niedergang der SPD und ihr Kampf um neue Mehrheiten links der Mitte ist auch eine strukturelle Weichenstellung für die Regierung, weil sie als (kleinerer) Koalitionspartner jede Reform verwässern, bremsen oder stoppen kann. Ohne grundlegende Sozialreformen, hat die Industrieländerorganisation OECD berechnet, steuert die Staatsverschuldung rasant auf 100% des BIP zu. Schon heute gibt der Staat rund 42% aller Steuermittel für Soziales aus. Die Ausgaben für das Bürgergeld explodieren. Und die wachsende Beitragsbelastung von Arbeitgeber und Arbeitnehmern schafft Misstrauen, lähmt Investitionen, Wachstum – und es sacken die Steuereinnahmen weg. Jenes Geld also, das die SPD für ihre Fürsorgepolitik eigentlich so dringend braucht.
Die SPD braucht eine „Arbeiterquote“
Dass die Sozialdemokraten noch zur Vernunft kommen, ist zweifelhaft. Eine „Arbeiterquote“ in ihren Reihen könnte für den nötigen Realitätssinn sorgen. Doch bestimmt wird die Politik von Funktionären, die eigenen Gesetzen und Vorstellungen nachjagen. Das Problem in Deutschland ist insofern nicht zuvorderst die schlechte Infrastruktur, wie oft in den Vordergrund gestellt wird, sondern seine strukturelle Reformunfähigkeit, die mangels Mehrheiten, ideologischer Verblendung und fehlender öffentlicher Unterstützung in einem Umfeld aktivistischer Aggressivität von Kleingruppen die Demokratie lähmt und immer mehr Teile der Wählerschaft den etablierten Parteien entfremdet. Sozialreformen sind aktuell zwar am dringendsten, längerfristig aber ist eine Staatsreform sogar noch dringlicher.
Wo müsste man bei einer solchen Staatsreform ansetzen? Eine längere Legislaturperiode etwa. Sie würde den Mut zu Reformen steigern, weil nicht gleich die Abwahl droht und erste Reformwirkungen vielleicht schon spürbar sind, wenn man sich dem Wähler wieder stellen muss. Oder die Einführung eines Mehrheitswahlrechts. Das würde für mehr Stimmgewicht im Parlament sorgen und Regierungen wären in Multi-Koalitionen nicht zum kleinsten gemeinsamen Nenner verdammt. Obendrein wären die Verantwortlichkeit klar. Die handelnden Parteien könnten sich nicht auf koalitionäre Zwänge berufen. Und schließlich braucht der Föderalismus ein Firmwareupdate, weil er in seiner aktuellen Form nicht den Wettbewerb verstärkt, sondern die politischen Strukturen eher verkleistert, Entscheidungen verzögert und zu ineffizientem Handeln verführt.