Notiert inSchanghai

„Staycation“ auf chinesische Art

Chinas ausgedehnte Maifeiertagspause schärft den Blick für neue Reisekonzepte, die zur Faulpelz-Generation-Z passen.

„Staycation“ auf chinesische Art

Notiert in Schanghai

„Staycation“ auf chinesische Art

Von Norbert Hellmann

„Tang Ping − einfach nur flach liegen“ − ist seit der Pandemiezeit ein Schlüsselbegriff in Chinas Sozialen Medien. Es drückt ein der Generation Z anhaftendes und wenig sozialproduktförderndes Lebensgefühl aus, mit dem sich kerngesunde, arbeitsfähige Youngster − Uni-Diplom hin oder her − demonstrativ der Leistungsgesellschaft entziehen. Mit zur Schau getragener Faulpelzhaftigkeit kann man Chinas Parteiideologen und Wirtschaftsplaner leicht in Rage bringen. Glorifizierter Müßiggang beißt sich mit Konsumförderungsplänen in längst nicht mehr so blühender Konjunkturlandschaft.

Neue Feiertagsbrücke

Auf der Dienstleistungsseite braucht es mehr Anschub. Der Staat tut sich neben Verbrauchersubventionen zur Beflügelung des Einzelhandels auch mit maßgeschneiderten Feiertagsregelungen hervor. Sie schaffen über die üblichen „Goldenen Wochen“ zum Neujahrsfest und zum Nationalfeiertag hinaus neue Saisonhöhepunkte, von der Tourismus-, Gastronomie- und Unterhaltungsbranchen profitieren sollen. In diesem Jahr ließ man den Tag der Arbeit mit einer Feiertagsbrücke auf besondere Weise adeln und schuf eine durchgehende Pause vom 1. bis 5. Mai.

Flachliegen wird salonfähig

Die Parteimedien jubeln über den Erfolg der Maßnahme. Sie strotzen vor gutgelaunten Verweisen auf das Tang-Ping-Motiv mit der augenzwinkernden Aufforderung, passende Reiseziele anzusteuern, um dort der Gemütlichkeit und Zurückgezogenheit zu frönen. Ein zuvor geächtetes Ruhebedürfnis wird nun ins Zentrum von gehobenen Konsum- und Tourismusprogrammen gerückt. Das Flachliegen ist auf wirtschaftsplanerischer Ebene salonfähig geworden, weil es neue Möglichkeiten einer Hotelerlebnisinfrastruktur bietet, die vor allem in ländlichen Gegenden mit kräftigen Investitionsschüben staatlich gefördert wird.

Ansprechende Boutiquehotels und Airbnb-Gasthäuser schießen wie Pilze aus dem Boden und locken zur „Staycation“, um in abgeschiedenen Gegenden abzuhängen und sich wie zu Hause zu fühlen. Westler verbinden mit „Staycation“ einen ausgabenschonenden Urlaub in den eigenen vier Wänden und nächster Umgebung. Für China taugt das Konzept nicht. Niemand hat einen eigenen Garten, es gibt keine Freibäder und zu wenig öffentliche Grünflächen für Erholungszwecke. Der Großteil der Apartments in den riesigen Hochhaus-Wohnanlagen hat zwar einen Balkon, doch wird dieser von den meisten verglast, um eine vergrößerte Wohnfläche im Innenraum zu erzielen.

„Balkonien“ bringt es nicht

Mit Ferien in „Balkonien“ kann man in China keine Erholungspunkte sammeln. Seelenlose Gruppenfahrten mit permanentem Souvenirkaufzwang passen nicht mehr zum Zeitgeist. Methodisches Abklappern von Sehenswürdigkeiten und Hetze durch überfüllte Themenparks erlauben keine innere Einkehr. Sportlich angehauchter Abenteuerurlaub ist nicht für jedermann. Schon gar nicht, wenn es sich im Netz mit der Staycation-Bildstrecke zum Flachliegen in spannender Umgebung derweil besser angeben lässt.

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