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U-Bahn-Streik: Alle Räder stehen still

In der Londoner City hat man keine Angst vor dem angekündigten U-Bahn-Streik. Man freut sich eher auf ein paar Tage mehr im Home Office.

U-Bahn-Streik: Alle Räder stehen still

Notiert in London

Alle Räder stehen still

von Andreas Hippin

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. An diesem Kampflied der Arbeiterklasse aus dem Jahr 1863 orientieren sich die Mitglieder der britischen Gewerkschaft RMT offenbar bis heute. Sie haben einen Streik ab Freitag angekündigt, der – rechtzeitig zum Schulbeginn – den öffentlichen Nahverkehr in der britischen Metropole tagelang lahmlegen soll.

In der City of London, wo auf jedem Quadratkilometer mehr als 100.000 Menschen in der Finanzbranche und professionellen Dienstleistungen arbeiten, hätte ein tagelanger U-Bahn-Streik vor der Pandemie noch für reichlich Unruhe gesorgt. Einer von 48 britischen Erwerbstätigen arbeitet dort. Der Großteil von ihnen ist mit Bussen und Bahnen unterwegs zum Arbeitsplatz. Doch mittlerweile macht man sich in den Unternehmen oft nicht mehr die Mühe, für Arbeitskampfmaßnahmen Notfallpläne aufzulegen.

Hochkonjunktur für Fahrdienste

In zumindest einer britischen Großbank haben die Mitarbeiter noch nichts von entsprechenden Vorbereitungen gehört. „Unser flexibles Arbeitszeitmodell stellt sicher, dass auf alle Fälle der kontinuierliche Betrieb gewährleistet ist“, sagt der Sprecher einer großen Fondsgesellschaft. Außerdem gebe es ja alternative Anreisemöglichkeiten wie den Zug, die Elizabeth Line oder den Bus. Man darf davon ausgehen, dass Fahrdienste wie Uber in den kommenden Tagen durch „Surge Pricing“ deutlich mehr einnehmen werden als sonst zu erwarten gewesen wäre.

Für viele, die nicht unbedingt im Büro sein müssen, bringt der U-Bahn-Streik willkommene zusätzliche Tage im Homeoffice. Für Compliance-Beauftragte könnte er jedoch erheblichen zusätzlichen Stress bedeuten. Schließlich können sie den von ihnen beaufsichtigten Mitarbeitern zu Hause nicht auf die Finger gucken. Alles in allem dürften die Folgen für die City begrenzt sein. Geschädigt werden diejenigen, die schon unter den Ausgangssperren während der Pandemie zu leiden hatten: familiengeführte Sandwich- und Kaffeeläden, scheinselbstständige Gebäudereiniger und andere Dienstleister. Sie alle eint, dass sie keine Mitglieder der RMT sind.

35 Stunden sind zu viel

Es geht bei dem U-Bahn-Streik nicht nur um Geld, sondern auch um Arbeitszeitverkürzung. Zudem wirft RMT-Generalsekretär Eddie Dempsey dem Nahverkehrsbetreiber Transport for London vor, nicht auf Klagen aus der Belegschaft über deren Erschöpfung reagiert zu haben. Dazu muss man wissen, dass die streitlustige RMT für ihre Mitglieder bereits die 35-Stunden-Woche herausgeholt hat.

Die Gewerkschaft hat es auch geschafft, eine ernsthafte Diskussion darüber zu verhindern, warum der U-Bahn-Betrieb in London nicht wie in anderen Großstädten entweder voll oder zumindest teilweise automatisiert werden kann. Die Angaben dazu, was die Fahrer verdienen, gehen auseinander. Doch ob 64.000 Pfund oder mehr als 80.000 Pfund: Die Docklands Light Railway, die City und das Bankenviertel Canary Wharf miteinander verbindet, kommt seit Aufnahme des Betriebs 1987 ohne Fahrer aus.