Peking greift ins Smart-Car-Wettrennen ein
Peking bremst im
Smart-Car-Wettrennen
Fortschrittliche Fahrassistenzsysteme prägen den Wettbewerb in Chinas E-Auto-Markt. Das hat seine Tücken, denn junge Käufer verstehen ihr Smart Car bereits als selbstfahrendes Auto.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Aus dem fröhlichen Hype um Smart-Car-Features, mit denen Chinas Elektroautobauer um die Gunst der jungen technologieaffinen Käufer buhlen, ist ein Regulierungsfall geworden. Peking setzt den Marketingstrategien rund um fortgeschrittene Fahrassistenzsysteme neue Grenzen und lässt verführerische Werbebotschaften mit technisch überlegenen Autopilot-Funktionen verbieten. Auf sozialen Medien ziehen Chinas Zensurwächter Videoclips mit Angebereien zum frisch erworbenen Smart Car, dem man das Fahren quasi selbst überlassen kann, so weit wie möglich aus dem Verkehr.
Chinesen ticken anders
Sogenannte Advanced Driving Assistance Sytems (ADAS) sind ein Schlüsselfaktor im mächtig aufgeheizten Wettbewerb unter heimischen Elektroautobauern. Chinesische Kunden ticken hier etwas anders als westliche, die der jüngsten Studie von J.D. Power zufolge bei der tatsächlichen Nutzung von ADAS-Funktionen wenig Begeisterung zeigen. Besonders fortschrittlich daherkommende Fahrassistenz-Technik gehört zwar zur Ausstattung von Luxusautos, wirkt sich aber wenig auf die Markenwahl aus.
Je autonomer, desto besser
In China ist das Gegenteil der Fall. Die Generation Z als mittlerweile wachstumsträchtigstes Kundensegment für die Branche nimmt das Cockpit als einen Erlebnisort wahr, der alle erdenkliche Ablenkung und Unterhaltung bieten soll. Was immer in Richtung selbstfahrendes Smart Car geht, weckt höchstes Interesse und erweist sich als schlagkräftiges Verkaufsargument. Entsprechende Umfrageergebnisse für China zeigen, dass über 80% der potenziellen Kunden von ADAS-Funktionen in ihrer Kaufentscheidung wesentlich mit beeinflusst werden.
Peking hat sich mit Fördermaßnahmen rund um das Thema Autonomes Fahren massiv ins Zeug gelegt und weiß die Errungenschaften heimischer Autobauer bei der raschen Fortentwicklung digitaler Ökosysteme gerade auch im Blick auf ausländische Konkurrenz sehr zu goutieren. Nun will man allerdings mit Blick auf Chinas unreife Käuferschichten zunächst wieder auf die Bremse treten. Überdrehte Marketingansätze zum vollvernetzten intelligenten Fahren sind zum Problem geworden.
Xiaomi-Unfall als Weckruf
Anlass für den Sinneswandel ist ein besonders tragischer Verkehrsunfall Ende März, bei dem drei Studenten in einem Xiaomi SU7 ums Leben kamen. Aus den telemetrischen Aufzeichnungen ist erkennbar, dass das Fahrzeug mit erlaubter Geschwindigkeit von 116 Kilometern pro Stunde mit Autopilot-Navigation auf einer Autobahn unterwegs war. Der Fahrer wird vom Assistenzsystem wegen eines Hindernisses aufgefordert, das Steuer zu übernehmen. Sekunden, nachdem der Fahrer die Kontrolle wieder übernommen hat, prallt das Fahrzeug auf einen Betonpfeiler und geht in Flammen auf.
Dem erst im vergangenen Jahr höchst erfolgreich ins E-Autogeschäft eingestiegenen Technologiekonzern Xiaomi hat der Unfall zunächst einen Absatzdämpfer verpasst. Zudem wurde der Marktstart eines neuen SUV-Modells YU7 um einige Monate verzögert. Die behördlichen Untersuchungen sind mehr als zwei Monate nach dem Vorfall noch nicht abgeschlossen und es ist damit auch nicht geklärt, ob Xiaomi als Hersteller wegen möglicher Sicherheitsprobleme angegangen wird.
Naivität an Bord
Wichtiger scheint die Aufarbeitung eines tiefergehenden Problems, nämlich der in China besonders auffälligen Sorglosigkeit von jungen Autofahrern. Im Vertrauen darauf, dass das technologisch angepriesene Smart Car im Prinzip schon vollautomatisiertes Fahren beherrscht, werden die Hände immer mehr vom Steuer gelassen. Manche treiben es auf die Spitze. Im Onlinehandel finden sich Gadgets, die man ans Lenkrad klemmen kann, um dem System zu suggerieren, dass der Fahrer alles im Griff hat. So lassen sich lästige Warnrufe eliminieren.
Bei der Fahrzeugautomation unterscheidet man sechs Stufen von Level 0 bis Level 5, die eine aktive Kontrolle des Fahrers charakterisieren. Für in China zugelassene Pkw gilt derzeit Level 2. Das heißt, dass der Wagen sowohl Lenkmanöver als auch Geschwindigkeit unter bestimmten Bedingungen autonom kontrollieren kann, impliziert aber, dass der Fahrer jederzeit aktiv beteiligt ist und die Hände am Steuer behält. Auf der derzeit für private Pkw in China noch nicht genehmigten Stufe 3 steuert sich das Auto in spezifischen Verkehrssituationen selber, und erlaubt auch dem Fahrer sich mit anderen Dingen zu beschäftigen und nur auf Aufforderung des Systems selber wieder einzugreifen. Völlig autonomes Fahren beginnt aber erst auf Stufe 4, wie man sie beispielsweise in Robotaxis vorfindet.
Hallo, hier gibt es Level 2,999
Dass Fahrassistenzsysteme durch automatisches Notfallbremsen und Lenkeingriffe grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von Unfallgefahren leisten, ist unbestritten. Das Problem liegt weniger in den technologischen Fähigkeiten der Autopilotfunktionen, als der Art und Weise wie sie als High-Level-Smart Driving vermarktet und dann auch fahrlässig verwendet werden. Zuletzt übertrumpften sich Markenanbieter mit Sprüchen zum nun erreichten Level 2,9 oder auch 2,999. Ganz zu schweigen von Werbeclips, mit denen umtriebige Autohändler in Showrooms agieren. Da sieht man dann eine ganze Familie in einem auf der Autobahn dahinziehenden Smart Car friedlich schlummern.
BYD prescht voraus
Leistungsfähige Fahrassistenzsysteme, die auf der aufwendigen Lidar-Sensortechnik beruhen, wurden 2024 in rund 55% der in China neu abgesetzten Pkw serienmäßig angeboten. Sie sind aber überwiegend in Preiskategorien von umgerechnet 20.000 Euro aufwärts vertreten. Das soll sich nun rasch ändern, nachdem der für aggressive Preisstrategien bekannte Marktführer BYD nochmals draufgelegt. Künftig soll die gesamte Modellpalette mit der neu entwickelten hauseigenen ADAS-Technologie ohne Kostenaufschlag bestückt werden, was den Druck auf die Konkurrenz stark erhöht.
BYD-Gründer und Chairman Wang Chuanfu spricht von einer „Demokratisierung“ bei High-End-Assistenzsystemen im Dienste der Sicherheit: „Intelligente Fahrzeugtechnologie sollte kein Luxus, sondern eine für alle Verbraucher zugängliche Standardanwendung sein.“ Die rasche Verbreitung von ADAS in China ist damit vorgezeichnet. Umso mehr gilt es Hersteller, Händler und Verbraucher zu disziplinieren, damit der High-End-Copilot nicht zum eigentlichen Sicherheitsrisiko wird.