Verflucht nochmal!
Notiert in Buenos Aires
Verflucht nochmal!
Von Andreas Fink
Er hat die Inflation besiegt! Vor den Zwischenwahlen im Oktober preist Präsident Javier Milei das als seinen größten Erfolg. Mit Blick auf die Verbraucherpreise mag das stimmen, denn diese legten zuletzt nur noch um 1,5% im Monatsvergleich zu. Aber gleichzeitig hat Milei eine andere Inflation angefacht, und die scheint außer Kontrolle zu geraten: All die Verwünschungen, Flüche, Schimpfworte und Kraftausdrücke, die er ausspricht oder postet werden immer mehr, immer brutaler und immer irrationaler.
Schimpfen im 2-Minuten-Takt
Die Wochenzeitung „Perfil“ analysierte kürzlich zwei Reden, die Milei Ende Juni gehalten hat. Zusammen dauerten sie 106 Minuten, in die Milei 51 verbale Angriffe gepackt habe, so das Blatt. Ein Schimpfwort-Gewitter im zwei-Minuten-Takt. Nun ist es nicht unbedingt einfach, für diese Gossenausdrücke druckbare deutsche Entsprechungen zu finden, aber ein Versuch sei gemacht: Fünfmal benutzte Milei seinen Lieblingsterminus für Menschen mit linker Weltanschauung: „mentale Parasiten“. Viermal fluchte er über „Idioten“, jeweils dreimal über „Diebe“ und „Volltrottel“.
Jeweils zweimal verunglimpfte er Gegner als „Mandrills“, „Lügner“, „Schwachköpfe“, „Arschlöcher“, „Ratten“, „Dummköpfe“, „Eunuchen“, „Schmutzfinken“, „Drecksschweine“ und „Perverse“. Und jeweils einmal rief er „Idiot“, „Falschspieler“, „Völkermörder“, „Durchtriebener“, „Missgeburt“, „Abschaum“, „Infizierter“, „Unrat“, „dummer Esel“.
Manche finden so etwas vergnüglich. Vor allem die Fans des Lederjacken-Präsidenten. Tatsächlich fühlt sich ein virtuelles Heer aus echten und bezahlten Jüngern befleißigt, übel nachzutreten, wann immer Milei sich mit einem Politiker oder Journalisten anlegt. Oder, auch das immer häufiger, mit Ökonomen, die etwa äußern, dass die Landeswährung überbewertet sei (ein Big Mac kostet in Benos Aires fast das gleiche wie in Zürich, dessen Einwohner freilich ein Vielfaches verdienen). „Econochantas“ lautet Mileis Verwünschung für all jene Fachkollegen, die seiner Ansicht nach falsch liegen, und das – wieder nach seiner Lesart – mit Vorsatz. Diese Wortschöpfung setzt sich zusammen aus „economista“ und „chanta“, wobei das zweite die gebräuchliche Bezeichnung für Schwindler ist.
Widerspruchslos
Nun mag es erstaunen, dass sich kaum Widerspruch erhebt, wenn Milei vor der Wirtschaftselite vom Leder zieht. „So ist er halt", ist einer jener viel geraunten Kommentare unter Argentiniens Unternehmern, die Milei dafür danken, dass er das Geldverdienen deutlich erleichtert hat. Offen zu protestieren trauen sich nur wenige wie der renommierte Journalist Joaquín Morales Solá. In einem Interview auf einem ihm zugeneigten Streaming-Kanal nannte Milei den Leitartikler der konservativen Zeitung „La Nación“ einen „verlogenen Strippenzieher“, ein „Nischen-Drecksstück“, dessen Texte von bestenfalls 50.000 Menschen gelesen würden. „Scheiße in Menschengestalt“ sei der Kommentator.
Nun kann kein Argentinier behaupten, er habe vor der Präsidentenwahl 2023 den leicht entflammbaren Charakter Mileis nicht gekannt. Der anarchokapitalistische Outsider wurde gewählt, um im verkrusteten Staat auszumisten, nach 15 Jahren Stillstand. Das lief im ersten Jahr besser als erwartet, die Kurse boomten und Christian Lindner empfahl gar, Deutschland solle „mehr Milei wagen“. Aber nun liegt die Börse in Buenos Aires um 40% unter dem Höchststand vom Januar. Die Investmentbank JP Morgan riet Ende Juni ihren Kunden, „vorläufig eine Pause“ einzulegen in Argentinien. Im Parlament und in den Provinzregierungen haben sich breite Fronten gebildet, um Milei mehr Mittel für die Rentner, die Kliniken und die Provinzhaushalte abzuringen, was das Haushaltsplus gefährdet. Vergangenen Dienstag endeten jene Sondervollmachten, die Milei das Regieren per Dekret ermöglichten. Ab August werden deutlich weniger Dollar in die Zentralbank strömen, denn 90% der Ernte sind verkauft. Zudem sind auch die Zustimmungswerte leicht gesunken. Das alles mag Mileis Nervosität vor den Halbzeitwahlen erklären. Seine Ausdrucksweise hat noch keiner erklären können.