Vom Kreditgeber zum Mobilitätsarchitekten
Vom Kreditgeber zum Mobilitätsarchitekten
Autobanken stehen vor einem grundlegenden Wandel: Aus klassischen Absatzfinanzierern werden strategische Mobilitätsakteure. Zwischen Plattformökonomie, Zinswende und regulatorischem Umbau entsteht ein neues Selbstverständnis der Captives.
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Wer in der Automobilwelt nach dem größten Finanzarm eines Herstellers sucht, stößt unweigerlich auf Volkswagen Financial Services (VW FS). Mit einem verwalteten Vermögen von 313 Mrd. Euro liegt VW FS laut zeb.research deutlich vor Toyota Financial Services (269 Mrd. Euro) und BMW Financial Services (165 Mrd. Euro).

Diese Entwicklung fällt in eine Phase des Umbruchs: Viele Captives – so der Fachbegriff für Autobanken – befinden sich derzeit in einer strategischen Neuorientierung. Weg vom Absatzfinanzierer, hin zu umfassenderen Mobilitäts- und Serviceanbietern. Auch Volkswagen passt seine Finanzsparte an diese veränderten Anforderungen an. Ziel ist es, die Finanzdienstleistungen enger mit der Konzernstrategie zu verzahnen und regulatorische wie marktseitige Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Zentrale Rolle der Autobanken
Im Jahr 2024 erzielte der Volkswagen-Konzern einen Umsatz von rund 325 Mrd. Euro und liegt damit weltweit auf Platz 1 unter den Automobilherstellern. Parallel dazu verwaltet VW FS mehr Vermögenswerte als jede andere Captive. Diese Dimensionen verdeutlichen die zentrale Rolle von VW FS im Gesamtkonzern – strategisch, finanziell und operativ.
Die 2023 eingeleitete Umstrukturierung der Finanzsparte ist dabei mehr als eine interne Verwaltungsreform. Kernstück ist die Gründung einer von der EZB beaufsichtigten Finanzholding für das europäische Geschäft, unter deren Dach künftig die meisten europäischen Töchter und Beteiligungen gebündelt werden. Parallel dazu wird die heutige VW FS zur Holding für nichteuropäische Aktivitäten umgebaut. Ziel ist es, die Refinanzierungsstärke der Volkswagen Bank – mit Kundeneinlagen von fast 56 Mrd. Euro – künftig gezielter für das Leasingwachstum in Europa zu nutzen.
Hin zur strategischen Schaltstelle
Für Klaus Strenge, Partner bei zeb.research, ist klar: Die Rolle der Autobanken verändert sich grundlegend. „Die Hersteller nutzen ihre Captives nicht mehr nur zur Absatzfinanzierung – das Geschäft entwickelt sich in Richtung Mobilitätsdienstleister“, erklärt Strenge. Die Einheiten werde damit zur strategischen Schaltstelle im Konzern, die künftig neben Leasing und Kredit auch Flottenmanagement, Wartung, Abo-Modelle und Ladeinfrastruktur umfasse.
Diese Entwicklung ist laut Strenge nicht nur Reaktion auf den Markt, sondern bewusste Transformation: Die Finanztochter werde zum zentralen Instrument, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, etwa im Abo- oder Robotaxi-Bereich. Auch VW FS unterstreicht diesen Anspruch: „Volkswagen Financial Services spielen mit ihren Finanzdienstleistungsprodukten eine wichtige Rolle in der Strategie des Volkswagen-Konzerns und forcieren die Transformation zum Mobilitätsdienstleister“, heißt es aus dem Unternehmen. Als führende Autobank gehört die Volkswagen Bank mit ihren Einlagen auch zu den Top 3 der deutschen Direktbanken.
Enormes Einlagenplus
Ein Blick in die Bilanz zeigt, wie das Modell aufgestellt ist. So betrug der ABS-Anteil im Funding-Mix der VW FS Ende 2024 rund 28,4 Mrd. Euro (19%), während unbesicherte Anleihen 46,5 Mrd. Euro (31%) und Kundeneinlagen knapp 56 Mrd. Euro (37%) ausmachten. „Die Refinanzierung von Volkswagen Financial Services folgt dem strategischen Konzept der Diversifizierung; Kosten- und Risikoaspekte werden bestmöglich abgewogen“, erläutert das Unternehmen. Die Einlagen der Volkswagen Bank stiegen allein im vergangenen Jahr um 18 Mrd. Euro – ein Plus von fast 49%. Für Strenge ist die Struktur ein Wettbewerbsvorteil: „Die Refinanzierung über Einlagen ist beispielsweise für VW günstiger als die Ausgabe von Anleihen.“
Die scheinbare Ertragskraft der Captives sollte dennoch differenziert betrachtet werden. Strenge warnt davor, die Margen isoliert zu interpretieren. „Viele der vermeintlich beeindruckenden Gewinne basieren auf Quersubventionierung durch den Hersteller“, erklärt er. Gerade subventionierte Zinssätze für Leasingverträge – ein beliebtes Mittel, um Fahrzeuge attraktiv zu bepreisen – würden innerhalb des Konzerns verbucht, jedoch nach außen als Gewinn der Captive erscheinen. „Für den Hersteller ist das oft günstiger, als direkte Preisnachlässe zu geben“, sagt Strenge. Diese interne Preissteuerung verschafft den Captives zudem einen weiteren Vorteil gegenüber externen Anbietern: Viele Subventionen laufen nur über Vertragshändler – so bleibt das System hermetisch gegen Wettbewerber von außen. In dieser Hinsicht sei das Modell laut Strenge „ein geschlossenes Ökosystem mit eingebauten Zugangshürden“.
Die strategische Stärke liegt nicht zuletzt in der Plattformfähigkeit. Multi-Brand-Captives wie VW oder Stellantis tun sich laut zeb.research leichter mit zentralen Lösungen als spezialisierte Anbieter. Das schlägt sich auch im operativen Handling nieder: Der Zugang zu skalierbaren IT-Strukturen, zentrale Steuerung und markenübergreifende Datenmodelle bringen Effizienzgewinne und strategische Flexibilität. Die Komplexität eines derart diversifizierten Konzerns macht die Rolle der Financial Services als Integrator dabei umso bedeutender.
Kundengruppen in Gefahr
Dennoch zeichnen sich am Horizont Risiken ab. Sollte sich das autonome Fahren in größerem Stil durchsetzen, könnte die Kundengruppe der privaten Halter langfristig wegfallen, da diese sich über Fahrdienste versorgen könnten. Stattdessen würden neue Zielgruppen wie Mobilitätsplattformen oder Flottenbetreiber entstehen, die andere Finanzierungsbedürfnisse haben und sich womöglich direkt über Kapitalmärkte versorgen.
In diesem Szenario könnte das klassische Captive-Modell der Absatzfinanzierung unter Druck geraten. Strenge: „Wenn autonome Fahrzeuge den Privatkunden verdrängen, verlieren Captives einen Teil ihres klassischen Kundenstamms.“ Das bedeute jedoch nicht zwangsläufig das Ende, sondern einen Umbau: Die Zukunft dürfte denen gehören, die sich neu erfinden und die Schnittstelle zur Mobilität neu denken.
Aktuell jedoch zeigt sich Branchenprimus VW FS robust aufgestellt – operativ, strukturell und strategisch. Die Umstellung auf eine europäische Finanzholding, gepaart mit einem globalen Marktzugang und einem diversifizierten Geschäftsmodell, bietet dem Unternehmen die nötige Widerstandsfähigkeit, um sich auch in einem sich wandelnden Marktumfeld zu behaupten. Dabei wird zunehmend deutlich: Die Autobank von gestern ist heute ein Konzern im Konzern – mit wachsendem Einfluss auf die strategische Ausrichtung eines Fahrzeugkonzerns.