Wachstumstreiber verzweifelt gesucht
Chinas BIP
Wachstumstreiber verzweifelt gesucht
Chinas Wachstumskräfte wirken trotz Handelskonflikt noch intakt. Die weiteren Perspektiven stimmen allerdings weniger zuversichtlich.
Von Norbert Hellmann
Die heile Optik ist zunächst gewahrt. Chinas Bruttoinlandsprodukt wächst mit 5,2% im zweiten Quartal ein wenig kräftiger als erwartet. Zur Jahresmitte liegt man noch einigermaßen komfortabel über dem sakrosankten Wachstumsziel der Regierung von 5%. Der Handelsstreit mit den USA kostet Körner, schürt Unsicherheit und trägt nicht gerade dazu bei, das Wirtschaftsvertrauen zu stärken. Dennoch haben die wilden Strafzollattacken der Trump-Regierung Chinas Exportindustrie nicht aus den Angeln gehoben, wie zeitweilig befürchtet werden konnte.
Skeptische Prognosen
Chinas Exportsektor erweist sich noch immer als besonders robuster Wachstumstreiber, der die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft auf Kurs hält. Das klingt beruhigender als es ist. Nur wenn es gelingt, auch in der zweiten Jahreshälfte den Schwung im Außenhandel beizubehalten, bleibt es beim friedlichen Konjunkturszenario, mit dem Pekings Wachstumsversprechen sicher erfüllt werden kann. Die China-Ökonomen trauen dem Braten nicht. Ihre Wachstumsschätzungen für das Gesamtjahr pendeln sich bei 4,6 bis 4,8 % ein. Das heißt nichts anderes, als dass China in der zweiten Jahreshälfte spürbare Wachstumstempoverluste bevorstehen.
Geschöntes Bild
Warum der latente Pessimismus? Chinas überraschend solide Exportperformance in den vergangenen Monaten lässt sich kaum in die Zukunft fortschreiben. Die gegenwärtigen Strafzollraten für Ausfuhren in die USA haben ihre Bremswirkung noch nicht voll entfaltet. In den vergangenen Monaten haben Vorzieheffekte mit beschleunigten US-Lieferungen das Bild geschönt. Zudem stehen hinter stark wachsenden Ausfuhren nach Südostasien auch Umgehungsmanöver für Warenverschiffungen nach USA. Hier könnten Avancen der US-Regierung gegenüber Ländern wie Vietnam der Sache einen Riegel vorschieben.
Das eigentliche Problem scheint zu sein, dass Chinas Bemühungen, mit der Stärkung der Binnennachfrage und des Konsums ein Gegengewicht zu schaffen, noch kaum von Erfolg gekrönt sind. Die laufenden Stimulus-Programme mit Verbrauchersubventionen und Umtauschprogrammen für E-Autos, Konsumelektronik und Haushaltsgeräte sind eine temporäre Lösung und drohen rasch an Wirkung zu verlieren.
Deflation lauert
Es gilt abseits der Exportschiene einen nachhaltigen Wachstumstreiber zu finden und der Deflationstendenz bei Erzeuger- und Verbraucherpreisen entgegenzuwirken. Der sogenannte BIP-Deflator als breitester Maßstab für die Preisentwicklung liegt nun bereits zum neunten Quartal in Folge im Minusterritorium, die längste Durststrecke in Chinas Wirtschaftsgeschichte mit entsprechender Bremswirkung für Unternehmensgewinne und Einkommensentwicklung.
Zahnlose Geldpolitik
Die Deflationsproblematik lähmt in gewisser Weise auch die Effektivität geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen, weil sie auf Ebene der Realzinsen und effektiven Kreditkosten der Unternehmen weitgehend verpuffen. Chinas Leitzinsen befinden nach einer Reihe von Senkungen bereits auf einem historischen Tief. Die Impulswirkung bleibt aber bescheiden und die Kreditnachfrage zeigt sich wenig angeregt. Hier Abhilfe zu schaffen, ist bekanntermaßen schwierig. In Chinas staatsgeleiteter Wirtschaft gibt es Einwirkungsmöglichkeiten, die aber wegen Interessenüberschneidung vernachlässigt wurden.
Peking geht Preiskämpfe an
Mit massiven Förderprogrammen zur Ankurbelung der Industrieproduktion werden in Starbranchen wie Elektromobilität und Umwelttechnik Überkapazitäten geschaffen, die sich in heftigen Preissenkungskämpfen entladen und Deflationsgefahren anheizen. Die Parteiführung beginnt nun umzudenken und kündigt straffere Maßnahmen zur Eindämmung eines „ungeordneten Preiswettbewerbs“ und forscheren Abbau von Produktionskapazitäten an. Das ist ein überfälliger struktureller Ansatz, der Chinas langfristiges Wachstumspotenzial stärkt, aber das Erreichen der diesjährigen Zielvorgabe nicht wahrscheinlicher macht.