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Wenn der Autozulieferer plötzlich in Rüstung macht

Die stark gestiegenen Verteidigungsausgaben motivieren reihenweise branchenfremde Unternehmen dazu, in die Rüstung einzusteigen. Dafür gibt es mehrere Wege. Allerdings sind die Hürden hoch.

Wenn der Autozulieferer plötzlich in Rüstung macht

Wenn der Autozulieferer plötzlich in Rüstung macht

Die stark gestiegenen Verteidigungsausgaben motivieren reihenweise branchenfremde Unternehmen dazu, in die Rüstung einzusteigen. Dafür gibt es mehrere Wege. Allerdings sind die Hürden hoch.

Von Daniel Schnettler, Frankfurt

Von diesem Wachstum können andere Branchen nur träumen: Plus 9% im vergangenen Jahr, plus 39% binnen zehn Jahren. Die Rede ist vom weltweiten Rüstungsmarkt. Laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri sind die Ausgaben von 2014 bis 2024 kontinuierlich gestiegen. Einen deutlichen Sprung gibt es seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine. Mehr als die Hälfte der Rüstungsausgaben von jährlich zuletzt 2,7 Bill. Dollar entfallen laut Sipri auf Nato-Staaten und damit auf potenzielle, vergleichsweise einfach zugängliche Kunden der deutschen Industrie. Deutschland selbst wird als viertgrößter Rüstungskäufer aufgeführt; die Ukraine als wichtiger Abnehmer deutscher Waffen liegt auf dem achten Platz.

Kein Wunder also, dass sich immer mehr branchenfremde Unternehmen für diesen Markt interessieren – vor allem, wenn es im angestammten Geschäft kriselt. „Im Maschinenbau und in der Autoindustrie prüfen einige Unternehmen gerade die Möglichkeit, in den Verteidigungssektor einzusteigen, um neue zukunftsträchtige Segmente aufzubauen“, berichtet M&A-Experte Alexander Stefan Rieger von der Kanzlei Latham & Watkins. „Die Unternehmen können dabei auf ihr vorhandenes Know-how und ihre Produktionskapazitäten zurückgreifen.“ Es gehe allerdings nicht nur um schweres Gerät. „Verteidigung ist ein weites Feld und sollte deshalb weit gefasst werden. Infrastruktur, Digitalisierung oder Cybersecurity beispielsweise können auch darunterfallen.“

Einige Unternehmen haben den Sprung bereits gewagt: So will Heidelberger Druckmaschinen bald Regelungstechnik und Energieverteilungssysteme für Stromerzeugungsaggregate fertigen, die an die Bundeswehr und andere Streitkräfte gehen. Der österreichische Leiterplatten-Spezialist AT&S wird seine Produkte künftig auch für militärische Anwendungen zuschneiden. Motorenbauer Deutz erwartet sich gute Geschäfte mit Drohnenantrieben.

Die Beratungsgesellschaft Roland Berger hat mehr als 200 Entscheider von mittelständischen Autozulieferern befragt, in welcher fremden Branche sie das größte Wachstumspotenzial sehen. Die Verteidigung wurde zuvorderst genannt – zwei Drittel der Befragten sehen hier hohes oder sehr hohes Potenzial. Erst deutlich dahin folgen die Medizintechnik sowie die Luft- und Raumfahrtindustrie.

Hohe Einstiegshürden

Die Einstiegshürden in die Rüstungsbranche sind allerdings hoch: Zum einen müssen Unternehmen ihren Vertrieb neu ausrichten und Kunden finden; zum anderen müssen sie politische und regulatorische Rahmenbedingungen beachten sowie Zulassungsverfahren durchlaufen und Zertifizierungen erwerben. Überdies müssen sich Quereinsteiger auf die tendenziell geringeren Stückzahlen bei höheren Qualitätsstandards einstellen. Dafür winken ihnen bessere Margen und langfristige Abnahmeverträge.

„Die Anforderungen an Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, etwa durch die Bundeswehr, können hoch sein“, sagt auch Regulatorikexpertin Jana Dammann de Chapto von Latham & Watkins. „Sie müssen unter anderem technische Spezifikationen erfüllen, bürokratische Ebenen berücksichtigen und Vorlaufzeiten beachten. Das erfordert ein hohes Maß an Planung.“ Hinzu komme je nach anvisiertem Markt die Investitions- und Exportkontrolle. „Nach unserer Beobachtung sind Unternehmen sich der Anforderungen bewusst und planen sorgfältig.“

Wege in die Rüstung

Dabei gibt es mehrere Pfade, um in die Rüstung einzusteigen: AT&S geht den Weg alleine. „Wir wurden bereits von Kunden angesprochen und werden nun proaktiv Neukunden ansprechen“, sagte jüngst Konzernchef Michael Mertin. Heidelberger Druck wiederum hat sich mit der früheren Jenoptik-Tochter Vincorion einen Partner gesucht. Die Zusammenarbeit verlaufe planmäßig, erklärte ein Sprecher auf Anfrage, ohne indes Details zu nennen. „Wir befinden uns immer noch in einer frühen Phase verschiedener Projekte.“

Deutz schließlich hat zugekauft. Der Kölner Traditionskonzern mit 5.000 Mitarbeitern übernimmt die 70-köpfige Sobek Group, die mit Motorsport-Komponenten groß geworden ist und mittlerweile Antriebe und Steuerungen für Drohnen herstellt. „Durch Sobek bekommen wir direkten Zugang zum stark wachsenden Verteidigungsmarkt”, begründete Konzernchef Sebastian Schulte den Zukauft. Er will den Umsatz mit den margenträchtigen Drohnen-Antrieben bis zum Jahr 2033 in etwa verzwanzigfachen. Deutz kann dabei auf seine Expertise als Großserien-Hersteller zurückgreifen – zuletzt liefen 150.000 Verbrennungsmotoren im Jahr vom Band. Wie viele Drohnenantriebe es beim Zukauf Sobek waren, darüber schweigt das Unternehmen.

Zukäufe sind teuer geworden

Ganz billig dürfte die Übernahme nicht gewesen sein. „Die Ebitda-Multiples sind merklich gestiegen“, sagt Latham & Watkins-Experte Rieger. „Früher lagen die Multiples oftmals bei 10 bis 12, heute eher bei 13 bis 15.“ Seiner Beobachtung nach haben die M&A-Aktivitäten im Verteidigungssektor in den vergangenen zwei, drei Jahren spürbar zugenommen. „Wir werden zukünftig noch mehr Carve-outs sehen. Dies bietet anderen Unternehmen die Gelegenheit, ins Verteidigungsumfeld einzusteigen oder ihr Geschäft in diesem Bereich auszubauen.“

Geld für den Einstieg ins Rüstungsgeschäft ist angesichts der veränderten Bedrohungslage jedenfalls reichlich vorhanden. „Die politischen Rahmenbedingungen lassen derzeit eine verstärkte Unterstützung von Investitionen in den Verteidigungssektor erkennen“, sagt Dammann de Chapto. Das könnte gerade für den angeschlagenen Mittelstand ein positives Signal sein, ergänzt Kollege Rieger – und denkt schon einen Schritt weiter, sollte der Einstieg in die Rüstung gelungen sein: „Sollte sich das Geschäft positiv entwickeln, besteht die Option, diesen Geschäftsbereich später abzuspalten.“