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Zähes Ringen um bessere Aussichten für Hamburger Hafen

Zu hohe Kosten im Containersegment, zu niedrige Produktivität an den Terminals: Der Hamburger Hafen hat über Jahre Marktanteile im europäischen Wettbewerb verloren. Nun soll der Einstieg der weltgrößten Reederei beim Hafenkonzern HHLA für einen Aufschwung sorgen. Doch die Transaktion ist umstritten, die Effekte sind unklar.

Zähes Ringen um bessere Aussichten für Hamburger Hafen

Zähes Ringen um Zukunft des Hamburger Hafens

Der größte deutsche Seehafen hat über Jahre Marktanteile verloren. Nun soll der Einstieg der Reederei MSC beim Hafenkonzern HHLA für Aufschwung sorgen. Doch das reicht nicht.

Von Carsten Steevens, Hamburg

Es geht um die Zukunft des größten deutschen Seehafens. Die Parlamentarier der Hamburgischen Bürgerschaft sollen bald – nach Vorstellungen des rot-grünen Senats in dem Stadtstaat noch vor der Sommerpause – über einen Einstieg der Mediterranean Shipping Company (MSC) aus Genf beim Hamburger Hafen- und Logistikkonzern HHLA entscheiden. Die Transaktion, mit der der Senat die Beteiligung der Stadt an dem Hafenunternehmen bis auf einen knappen Mehrheitsanteil reduzieren will, ist umstritten.

So spricht die Opposition in der Bürgerschaft von einem Schnellschuss nach jahrzehntelanger Vernachlässigung des Hafens und kritisiert, es werde städtisches Eigentum an ein Familienunternehmen verscherbelt, das nichts über seine Geschäfte mitteile, aber wegen rüder Geschäftsmethoden berüchtigt sei. Der Vertrag mit MSC sei für 40 Jahre geplant, betriebsbedingte Kündigungen würden aber nur für fünf Jahre ausgeschlossen.

Verdi warnt

Der Teilverkauf wird auch insgesamt abgelehnt. Die Interessen eines privaten Investors wie die einer Reederei deckten sich nur in den wenigsten Punkten mit denen der Stadt und ihrer Bürger, so die Gewerkschaft Verdi, die zudem vor möglichen negativen Auswirkungen auf Beschäftigung und Tarife durch eine weitere Privatisierung warnt. Anstatt die falsche Entscheidung zur Teilprivatisierung der HHLA aus dem Jahr 2007 zu korrigieren, wolle der aktuelle Senat die städtischen Anteile weiter reduzieren.

Rund 31% des Teilkonzerns Hafenlogistik waren im Herbst 2007 zu 53 Euro je Aktie an die Börse gekommen. Vor der Ankündigung des MSC-Übernahmeangebots notierte der HHLA-Kurs bei 11,25 Euro. Bedenken gegen den Teilverkauf, vor allem Sorgen um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen im Hafen, sieht Verdi auch nach Ostern nicht ausgeräumt.

Höhere Wellen bei Cosco

Der Beschluss wird von erheblicher Tragweite sein, auch wenn die geplante Minderheitsbeteiligung der weltgrößten Containerreederei aus Genf an dem Hafenunternehmen über Hamburg hinaus für deutlich weniger Wellen sorgt als die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am kleinsten der drei Hamburger HHLA-Terminals. Diese erhielt im Frühjahr vergangenen Jahres erst nach Reduzierung des ursprünglich vorgesehenen Umfangs von 35% auf unter 25% grünes Licht durch die Bundesregierung.

Die HHLA begrüßte die Minderheitsbeteiligung der Cosco Shipping Ports Limited (CSPL) am Containerterminal Tollerort mit dem Hinweis darauf, dass China derzeit größter Handelspartner Deutschlands und des Hamburger Hafens sei, dass damit Beschäftigung gesichert und die Bedeutung Hamburgs als Logistikstandort sowie der Industrienation Deutschland gestärkt würden.

Schwund beim Umschlag

Wie dringend neuer Schwung in den Hafen kommen muss, zeigen aktuelle Zahlen: Im vergangenen Jahr schrumpfte der Containerumschlag an den drei HHLA-Terminals um 6,3% auf 5,7 Mill. Standardcontainer (TEU) – vor allem infolge eines Rückgangs der Mengen auf den Fernost-Routen. Mit 7,7 Mill. TEU gingen im Hamburger Hafen insgesamt 6,9% weniger Stahlboxen über die Kaikanten als im Jahr zuvor. Die Marketingorganisation des Hafens begründet den Rückgang vor allem mit der schwierigen geopolitischen und wirtschaftlichen Situation, die alle Marktteilnehmer betreffe.

Tatsächlich gingen die Umschlagsmengen in den beiden größeren Häfen der sogenannten Nordrange, Rotterdam und Antwerpen/Zeebrugge, mit 7% bzw. 7,2% noch stärker zurück. Doch 7,7 Mill. TEU bedeuten für den Hamburger Hafen den niedrigsten Wert seit 2009 und den zweitniedrigsten seit dem Jahr des HHLA-Börsengangs und der Bestmarke von 9,9 Mill. TEU beim Containerumschlag.

Marktanteile verloren

Projektionen, die von noch deutlich höheren Volumina in der Zukunft ausgingen, erwiesen sich als Fehlannahmen. So sank der Umschlag von 2007 bis 2023 um gut 22% – zuletzt verstärkt im Zuge der Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Kriegs. Zugleich schrumpfte der Marktanteil des Hamburger Hafens am Containerumschlag in der Nordrange um rund 10 Prozentpunkte auf etwa 20%, wie der Hamburger Hafenexperte Jan Ninnemann von der Hamburg School of Business Administration (HSBA) in einer unlängst veröffentlichten Studie im Auftrag der Handelskammer Hamburg festgestellt hat.

In der Rangliste der weltgrößten Seehäfen, die unverändert von Handelsmetropolen in Asien wie Schanghai (49,2 Mill. TEU) und Singapur (39 Mill. TEU) angeführt werden, ist Hamburg mit dem Rückgang des Containerumschlags 2023 weiter abgerutscht. Einer Auswertung des maritimen Branchendienstes Alphaliner zufolge verdrängte der marokkanische Hafen Tanger Med nach einem Wachstum des Umschlagvolumens um 13,4% auf rekordhohe 8,6 Mill. TEU im vergangenen Jahr den drittgrößten Containerhafen in der EU um einen auf Platz 22.

Tanger Med zieht vorbei

Unter den 20 größten Häfen legte im vorigen Jahr nur der chinesische Hafen Qingdao mit einem geschätzten Wachstum von knapp 17% stärker zu als der 2007 eröffnete Seehafen an der Meerenge von Gibraltar. Die Logistikbranche misst dem ersten afrikanischen Hafen, der es in die Top 20 geschafft hat, strategische Bedeutung bei: Er gilt als ein idealer Transshipment-Hub für das westliche Mittelmeer, für Afrika und auch für Südamerika. Seit 2020 ist die Hamburger Containerreederei Hapag-Lloyd mit 10% am Containerterminal TC3 in Tanger beteiligt.

Handelsströme verändern sich – mit Folgen für einzelne Umschlagplätze. Mittelmeerhäfen wie Tanger Med oder Piräus legen zu. Dazu passt, dass nun die Reedereien Mærsk und Hapag-Lloyd im Zuge ihrer im Januar angekündigten „Gemini“-Kooperation von 2025 an ihr Netzwerk auf weltweit zwölf Terminal-Hubs ausrichten, darunter in Nordeuropa auf Rotterdam, Wilhelmshaven und Bremerhaven. Avisiert ist, dass Hapag-Lloyd als Reederei mit der größten Umschlagsmenge ihr Volumen in ihrem Hamburger Heimathafen um 10% kürzt. Der Hamburger Hafen hat, darauf weist der Wissenschaftler Ninnemann hin, aber auch seine Hub-Funktion für den Ostseeraum in Teilen eingebüßt.

Dass der Hamburger Hafen neuer Impulse bedarf, unterstreicht ein im März veröffentlichtes „Impulspapier“ der Handelskammer Hamburg und des Unternehmensverbands Hafen Hamburg. Die nationale Bedeutung des Hafens werde nicht angemessen berücksichtigt, Regulatorik und Strategie seien nicht wachstumsfördernd, wird bemängelt. Ziel politischer Bemühungen Hamburgs müsse es sein, den Hafen „gemeinsam mit dem Bund als Motor der Wirtschaft zurück in den Takt eines nachhaltigen Wachstumskurses zu bringen“.

Nachteile durch Regulatorik

Ein Schritt in diese Richtung könnte die Ankündigung der Länderfinanzminister in dieser Woche sein, das Erhebungsverfahren der Einfuhrumsatzsteuer zu reformieren. Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe begrüßt mit Blick auf Wettbewerbsnachteile den Beschluss, fordert zugleich aber „schnellstmöglich“ weitere Schritte ein, um „das teure und bürokratische deutsche System durch das deutlich effizientere Verrechnungsmodell zu ersetzen, das alle unsere EU-Nachbarn bereits anwenden“. Die Ursachen für die Probleme des Hafens sind seit langem bekannt. Dazu gehören deutlich höhere Kosten in dem für Hamburg wichtigen Containersegment sowie die im Wettbewerbsvergleich zu niedrige Produktivität an den Terminals. Hamburg habe sich zu lange auf dem 2002 fertiggestellten Containerterminal Altenwerder ausgeruht und sei im Bereich der Automatisierung inzwischen von Wettbewerbern überholt worden, so Ninnemann, Professor für maritime Logistik.

Ausblick pessimistischer

Verglichen mit anderen Einschätzungen kommt die Handelskammer-Studie zu einer pessimistischeren Prognose für den Hamburger Hafen: Wachstumserwartungen von mittelfristig mehr als 10 Mill. TEU seien aus heutiger Sicht fraglich. Ein Ausblick im Auftrag der Hafenbehörde HPA avisiert einen Anstieg des Containervolumens auf 11,1 bis 14,0 Mill. TEU bis 2035. Die Seeverkehrsprognose des Bundes geht von 16,3 Mill. TEU im Jahr 2030 aus.

Ninnemann plädiert für eine konsequente Automatisierung der Terminals, um den aktuellen Kostennachteil gegenüber den Wettbewerbern in Rotterdam und Antwerpen zu kompensieren und den wachsenden Herausforderungen durch den Fachkräftemangel zu begegnen. Eine höhere Produktivität der Anlagen könnte auch durch Terminalbeteiligungen von Reedereien, die Einfluss auf Abläufe nehmen, erreicht werden. Die Handelskammer-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Häfen mit einer vielfältigen Beteiligungslandschaft als krisenfester gelten.

Hoher Investitionsbedarf

Die hohen Investitionsanforderungen im Hamburger Hafen sind auch Motiv für den geplanten Einstieg von MSC bei der HHLA. In einem ersten Schritt wollen die Stadt Hamburg und die Reederei 450 Mill. Euro Eigenkapital für Investitionen zur Verfügung stellen, um die Wettbewerbsposition der HHLA zu stärken. Daneben soll – wie mit den Terminalbeteiligungen von Hapag-Lloyd und Cosco – Ladung an den Hafen gebunden werden.

MSC will den Containerumschlag bis 2031 schrittweise auf 1 Mill. TEU pro Jahr steigern und nennt aus dem eigenen Terminalnetzwerk Valencia in Spanien und Gioia Tauro in Italien als Beispiele für einen verbesserten Hafenbetrieb und gestiegenen Umschlag. Zum Vergleich: Hapag-Lloyd, die bei der HHLA nicht zum Zuge kam, weil sie den Hafenkonzern vollständig übernehmen wollte, trug 2023 über 2 Mill. TEU zum Ladungsaufkommen bei.

Auch wenn andere Kunden des Hafens den Plänen zufolge nicht benachteiligt werden sollen: Im Zuge des MSC-Einstiegs könnten andere Carrier Mengen abziehen, befürchten Kritiker des Deals.

Weitere Schritte notwendig

Sollte es grünes Licht durch die Hamburger Bürgerschaft geben: Klar ist, dass das Engagement der Reederei bei der HHLA nicht reichen wird, um die Wettbewerbsfähigkeit des Hafens zu stärken. Neben zu langen Planungs- und Genehmigungsverfahren, wie sie sich gerade exemplarisch an der Debatte über einen Ersatz für die 50 Jahre alte Köhlbrandbrücke manifestieren, führen die relativ hohen Kosten, Mieten und Pachten zu Nachteilen, weil sie Investitionen bremsen.

Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der norddeutschen Seehäfen könnte auch eine Weiterführung von Gesprächen über eine Kooperation der Seehäfen in der Deutschen Bucht dienen. Diese wurden nach Beginn der Coronakrise auf Eis gelegt, wie es damals hieß.

Hafenstrategie mit Lücke

Moniert wird ferner, dass der nationalen Bedeutung des Hamburger Hafens, der die internationale Vernetzung der deutschen Wirtschaft wie die nationale Versorgungssicherheit gewährleiste, stärker Rechnung getragen werden müsste. Die norddeutschen Küstenländer dringen auf eine Erhöhung des Hafenlastenausgleichs für Infrastrukturprojekte von derzeit 38 Mill. Euro jährlich – auf mindestens 400 Mill. Euro. Die Bundesregierung indes hat bei der Präsentation ihrer Nationalen Hafenstrategie im März zwar strategische Ziele und 139 operative Maßnahmen vorgeschlagen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen See- und Binnenhäfen zu stärken. Finanzzusagen blieben aber offen.

Dass Deutschland bei Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, die 2 bis 3% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, im EU-Vergleich hintere Plätze belegt, beklagt auch die Hafenwirtschaft zu Recht. Bund und Länder sollten sich schnell über die Seehäfenfinanzierung verständigen.

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