Zwischen Aufbruch und Überforderung
CSRD-Berichte
Zwischen Aufbruch und Überforderung
Die CSRD soll Nachhaltigkeit messbar und vergleichbar machen, doch mangels Fokussierung läuft sie ins Leere.
Von Wolf Brandes
Wer einen Kompass in der Hand hält, weiß noch lange nicht, wohin er gehen soll. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich die EU mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Europa will Vorreiter sein in Sachen Nachhaltigkeit – nicht mehr nur in Sonntagsreden, sondern im operativen Geschäft der Unternehmen. Die neue Berichtspflicht soll Nachhaltigkeit aus der PR-Ecke holen und zur steuerungsrelevanten Größe machen. Und tatsächlich: Die ersten CSRD-Berichte zeigen, dass der Impuls zur Transformation angekommen ist. Nachhaltigkeit hält Einzug in Geschäftsmodell, Risikomanagement und Finanzkommunikation.
Zwischen 30 und 300 Seiten
Doch zugleich offenbart sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirkung. Die erhoffte Vergleichbarkeit und Glaubwürdigkeit drohen an der uneinheitlichen Umsetzung zu scheitern. Beobachter berichten von Umfängen von 30 bis knapp 400 Seiten. Oft sehr detailliert werden „Impacts, Risks & Opportunities“ (IROs) offengelegt – zentrale Elemente der CSRD, die zeigen sollen, wie Unternehmen Umwelt und Gesellschaft beeinflussen und welchen nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen sie ausgesetzt sind. Was als Vielfalt gedacht war, entwickelt sich zum Wildwuchs. Für Investoren, Aufsichtsbehörden und Analysten sind die ESG-Profile so kaum vergleichbar. Statt einer Steuerungsgrundlage entsteht Papierflut.
Mehr als 1.000 Datenpunkte sind zu viel
Ein zentrales Problem liegt im Aufbau der CSRD selbst: Je nach Unternehmen mehr als 1.000 Datenpunkte und umfassende Prüfpflichten sind ambitioniert. Hinzu kommt die doppelte Wesentlichkeit, die verlangt, dass ein Unternehmen gleichzeitig offenlegt, wie seine Aktivitäten Umwelt beeinflussen und wie umgekehrt Nachhaltigkeitsthemen seine eigene Lage tangieren können.
Die Anforderungen an Datenqualität sind hoch, doch der Spielraum ebenso: Die Spanne reicht von fundierten CO2-Bilanzen bis zu groben Schätzungen auf Branchenbasis. Besonders im Finanzsektor wird diese Inkonsistenz sichtbar: Laut einer aktuellen Studie ist die ESG-Leistung deutscher Banken erstmals rückläufig – vor allem bei Umweltkennzahlen. Selbst regulierte Akteure tun sich schwer, Nachhaltigkeit in Steuerungsprozesse zu integrieren.
Entlastungspaket durchgewunken
Die EU-Kommission hat mit dem Omnibus-Paket erste Schritte zur Entlastung eingeleitet. Künftig sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten sowie einem Nettoumsatz von über 450 Mill. Euro berichten, womit rund 80 % der bislang erfassten Firmen aus dem Raster fallen. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) begrüßt die eingeschränkten Berichtspflichten grundsätzlich, fordert jedoch nachdrücklich, dass die Entlastung ausdrücklich auf bankspezifische Offenlegungen ausgeweitet wird. Der Fondsverband BVI warnt: „Die Vorschläge der EU bauen Bürokratie an der falschen Stelle ab“, und Investoren würden von essenziellen ESG-Daten abgeschnitten. Am 23. Juni 2025 wurde in einem ersten Schritt die allgemeine Ausrichtung zum Omnibus-I-Paket für Nachhaltigkeit verabschiedet.
Die European Banking Federation (EBF) fordert ein klar strukturiertes Set an Kennzahlen – entscheidungsrelevant und praktikabel. Die Fülle der Datenpunkte sei weder realistisch noch wirksam. Diese Forderung erscheint mehr als gerechtfertigt.
Bauchgefühl nicht gefragt
Ohne belastbare ESG-Daten kann der Kapitalmarkt seine Lenkungsfunktion nicht entfalten. Klimaziele, Scope-3-Emissionen oder Biodiversität lassen sich nicht nach Bauchgefühl steuern – genau das geschieht jedoch oft. Beobachter schätzen, dass in ESG-Berichten vieler Banken nur ein kleiner Teil der Daten als belastbar gelten. Die CSRD bewegt sich damit zwischen dem Wunsch nach Transparenz und der tatsächlichen Überforderung von Unternehmen. Es braucht einen Mittelweg: weniger Datenballast, mehr inhaltliche Steuerbarkeit. Denn Nachhaltigkeitsberichte sind kein Selbstzweck – sie sollen Wirkung entfalten. Dafür braucht es verständliche, relevante und belastbare Informationen. Standards sollten sich nicht an Seitenzahlen, sondern an Aussagekraft messen lassen.